10 Jahre Fluchtmigration: Beschäftigung knapp unter Durchschnitt - das sind die Herausforderungen

Vor rund zehn Jahren flüchteten binnen zwei Jahren 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland. Altkanzlerin Angela Merkel sagte damals "Wir schaffen das" und schaut auch zehn Jahre später positiv zurück: "Das ist ein Prozess, aber bis jetzt haben wir viel geschafft. Und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden", sagte Merkel im Interview mit den Tagesthemen.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann übt jedoch deutlich Kritik: "Seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen zu uns gekommen und weniger als die Hälfte ist heute in Arbeit - ich finde das, gelinde gesagt, nicht zufriedenstellend", sagte er gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Eine Arbeitsmarktanalyse anlässlich der zehnjährigen Bilanz zeigt jedoch: Die Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt läuft - ihre Beschäftigungsquote nähert sich dem deutschen Durchschnitt an. Insbesondere bei den 2015 zugezogenen schutzsuchenden Männern liegt die Beschäftigungsquote inzwischen bei 76 Prozent - im Vergleich zu 70 Prozent in der deutschen Gesamtbevölkerung.
"Neun Jahre nach dem Sommer 2015 können wir feststellen: In arbeitsmarktlicher Hinsicht ist viel erreicht worden – auch wenn noch Herausforderungen bestehen", so Brücker, Autor des Berichts des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Bilanz: Mehr Beschäftigung, weniger Leistungsbezug
Die Beschäftigungsquoten der 2015 zugezogenen Geflüchteten haben sich weitgehend dem Niveau des Bevölkerungsdurchschnitts in Deutschland angenähert. "Angesichts der anfangs ungünstigen Ausgangsbedingungen war ein solcher Annäherungsprozess keineswegs selbstverständlich“, erklärt IAB-Forschungsbereichsleiter Herbert Brücker.
Bei den Verdiensten bestehe laut der IAB-Auswertung jedoch ein deutlicher Rückstand. Die Löhne und Gehälter liegen häufig nur knapp über der Niedriglohnschwelle. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst vollzeitbeschäftigter Geflüchteter lag im Jahr 2023 bei 2.675 Euro. Dies entspircht 70 Prozent des Medianverdienstes in Deutschland, die Niedriglohnschwelle liegt bei 66 Prozent.
Trotzdem ist es nach Angaben des Instituts etwa 84 Prozent der 2015 nach Deutschland Geflüchteten möglich, ihren Lebensunterhalt ohne ergänzende Leistungen zu bestreiten. Mit der positiven Beschäftigungsentwicklung geht ein Rückgang des Leistungsbezugs einher. Rund 34 Prozent der Geflüchteten waren 2023 auf Leistungen wie etwa dem Bürgergeld oder der Grundsicherung angewiesen.
Im Europavergleich sind diese Ergebnisse positiv zu bewerten. "Wir liegen, zusammen mit Norwegen, recht weit vorn - und wesentlich besser als Dänemark, Niederlande und Italien", so Brücker gegenüber dem Handelsblatt. Deutschland könnte noch besser abschneiden, würden Geflüchtete nicht überdurchschnittlich auf strukturschwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit verteilt, heißt es weiter.
Abschlüsse oftmals nicht anerkannt
Darüber hinaus sei die Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen in Deutschland noch immer eine Hürde. "Das reale Qualifikationsniveau ist sehr viel höher, als die oft nicht vorhandenen formellen Abschlüsse nahelegen - und wie viele Deutsche noch immer glauben", erklärte Brücker dem Handelsblatt. Mehr als die Hälfte arbeite als Fachkraft oder auf einem höheren Niveau.
"Wir müssen die illegale Migration in die Sozialsysteme stoppen und reguläre Zuwanderung in den Arbeitsmarkt fördern", sagte er. "Das sollte unsere Marschroute sein für die nächsten Jahre", hatte Linnemann gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung gefordert.
Der IAB-Bericht entkräftet diese Forderung zumindest teilweise. Bis Abschluss eines Asylverfahrens dürfen Geflüchtete schlichtweg nicht arbeiten. Unter den zugezogenen Schutzsuchenden hatten 83 Prozent ihr Asylverfahren rund zwei Jahre nach Ankunft abgeschlossen. Durch eine Beschleunigung dieser Prozesse würde auch die Arbeitsmarktintegration gefördert.
Für gelungene Integration müssten laut Bericht bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu zählen beispielsweise ein zügiges Asylverfahren, sichere Bleibeperspektiven, Sprach- und sonstige Fördermaßnahmen sowie eine freie Wahl von Wohn- und Arbeitsort.
Auch eine Analyse des Politikwissenschaftlers Dietrich Thränhardt bei der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass an vielen Stellen bürokratische Hürden Geflüchtete davon abhalten, eine Tätigkeit aufzunehmen und entsprechend ihrer Qualifikation zu arbeiten. Darunter fallen langwierige Anerkennungserfahren, hohe Sprachanforderungen oder Genehmigungsverfahren für Umzüge.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede sind in der Auswertung besonders deutlich geworden. "Das größte Potenzial für mehr Erwerbstätigkeit unter Geflüchteten liegt bei den Frauen. Der teils unzureichende Zugang zu Kinderbetreuung bleibt jedoch eine zentrale Hürde für ihre Integration in den Arbeitsmarkt", erklärt IAB-Forschungsbereichsleiterin Yuliya Kosyakova.
Linnemann will "Migration in die Sozialsysteme" stoppen
"Migration in die Sozialsysteme", wie sie Linnemann benennt, wird durch das Asylsystem abgefedert. Sozialleistungen umfassen im Gegensatz zu Asylbewerberleistungen eine andere Form des Schutzes sowei Bürgergeld und Kindergeld. Erst nach abgeschlossenem Asylverfahren haben Geflüchtete Anspruch auf diese Leistungen, wie sie auch Deutschen gewährt werden.
Lediglich ukrainische Geflüchtete hatten aufgrund einer Sonderregelung seit dem 1. Juni 2022 Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder beispielsweise Hilfe zum Lebensunterhalt. Grund dafür war der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Personen, die seit April 2025 aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind, erhalten nun Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Beschäftigungsquote bei ukrainischen Geflüchteten in Deutschland beträgt derzeit 35 Prozent. Die Zahl der Ukrainer, die Arbeit finden, steigt allerdings kontinuierlich. Im Vergleich zum Vorjahr sind knapp 40 Prozent mehr Ukrainer in Arbeit, ergeben die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.
Auch die Bereitschaft, in Deutschland zu arbeiten, liegt laut der IAB-BAMF-SOEP-Befragung 2023/2024 bei 94 Prozent der nicht-erwerbstätigen Geflüchteten. Die Hälfte gab an, dabei - etwa zur Arbeitssuche oder zum Deutschlernen - Unterstützung zu benötigen.
Das Institut für Arbeitsmarkt– und Berufsforschung (IAB) zeigte in einer Studie 2024: Die Beschäftigungsquote der Gelfüchteten aus der Ukraine in Deutschland lag im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Entscheidende Faktoren waren offene Stellen, Betreuungsangebote sowie politische Integrationsstrategien. Diese bedingten auch, wie schnell und nachhaltig die Arbeitsintegration ist oder war.
Ob höhere Sozialleistungen zu geringeren Beschäftigungsquoten unter Ukrainer*innen führen, dafür fand die Studie nur eine schwache Tendenz, aber keine eindeutigen Belege. Den Autor*innen zufolge können geringere Sozialleistungen unerwünschte Langzeitfolgen haben: Personen würden tendenziell schnell eine Tätigkeit aufnehmen und eher einen Beruf unterhalb ihres Qualifikationslevels ausüben.
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