Rechtsstaatlichkeit in Gefahr: In diesen EU-Ländern hat sich die Lage verschlechtert

In der EU besteht eine grundlegende Tendenz der Verschlechterung der Rechtstaatlichkeit, so ein am Montag von der Civil Liberties Union For Europe veröffentlichter Bericht. Er umfasst 1.000 Seiten und wird jährlich veröffentlicht. Die sechste Ausgabe dieses Jahr ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von 43 Menschenrechtsorganisationen aus 21 EU-Ländern, koordiniert von der Civil Liberties Union For Europe.
Der diesjährige Bericht zeigt besonders auffällig, dass es in der gesamten EU immer wieder zu Rechtsverletzungen und einer allgemeinen Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit kommt.
Allgemein lässt sich feststellen, dass alle grundlegenden Aspekte der Rechtsstaatlichkeit - namentlich das Justizsystem, die Korruptionsbekämpfung, die Medienfreiheit, die gegenseitige Kontrolle, der zivile Raum und die Menschenrechte - in den letzten Jahren mit ähnlichen und zunehmenden Problemen konfrontiert waren.
Dies macht deutlich, dass die Rechtsstaatlichkeit in der gesamten EU nach wie vor Mängel aufweist, die systembedingt sind.
"Wir sehen eine große Anzahl von Ländern, in denen die Rechtsstaatlichkeit weiter abnimmt, vor allem natürlich in Italien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn. Der Grund dafür ist, dass die EU nicht konsequent genug auf die Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit reagiert", erklärte Viktor Z. Kazai, leitender Experte für Rechtsstaatlichkeit bei der Civil Liberties Union for Europe und einer der Autoren des Berichts, gegenüber Euronews. "Wenn Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zugelassen werden, und sei es auch nur stillschweigend, ermutigt dies die Regierungschefs zu einer weiteren Vernachlässigung der Rechtsstaatlichkeit."
Länder in verschiedene Gruppen eingeteilt
Der Bericht teilt die europäischen Länder in Gruppen ein, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Dabei werden die verschiedenen Indikatoren bewertet und mit den vorherigen Jahren verglichen. Indikatoren sind beispielsweise die Gewaltenteilung, das Justizsystem, die Korruptionsbekänpfung oder der Raum für bürgerliches Engagement.
Die "Stagnators" sind Länder, bei denen sich zum Vorjahr nicht viel verändert hat oder nur minimale Fortschritte zu sehen sind. Griechenland, Irland, Malta, die Niederlande und Spanien gehören zu dieser Gruppe.
Die sogenannten "Sliders" sind Musterdemokratien wie Belgien, Frankreich, Deutschland und Schweden. Sie gelten traditionell als demokratische Vorbilder, ihre jüngste Leistungsabnahme sei jedoch besorgniserregend. Frankreich gibt nach dem Rückgang in vier von sechs Kategorien besonderen Anlass zur Sorge.
Die "Dismantlers" sind Länder, in denen die Rechtsstaatlichkeit in fast allen Bereichen systematisch und absichtlich untergraben wird. Zu dieser Gruppe gehören Italien, Bulgarien, Kroatien, Rumänien und die Slowakei. Das schwächste Glied ist erneut Ungarn.
Einige Länder zeigten deutliche Bemühungen, den Zustand der Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land zu verbessern. Die sogenannten "fleißigen Arbeiter" - Estland und die Tschechische Republik - zeigten Anzeichen für Verbesserungen. Maßgeblich war dabei die erfolgreiche Rolle der Zivilgesellschaft bei der Schaffung positiver Veränderungen.
Auch Polen kann hier berücksichtigt werden, da die neue Regierung die Initiative zur Wiederherstellung demokratischer Standards, insbesondere der Unabhängigkeit der Justiz und des Medienpluralismus, gezeigt hat. Das Fehlen greifbarer Fortschritte zeigt jedoch, wie schwierig es ist, rechtsstaatliche Institutionen wieder aufzubauen, wenn sie erst einmal ausgehöhlt wurden.
Dem Bericht zufolge ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Europäische Kommission den Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit mit Mechanismen zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit verknüpft. Die EU-Kommission müsse von der Beobachtung ins Handeln kommen. Es wird vorgeschlagen, Maßnahmen wie etwa das Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 gegen Mitgliedstaaten konsequenter durchzuführen, die die europäischen Werte oder die EU-Konditionalität nicht einhalten.
Misstrauen gegenüber Institutionen steigt
Das Rechtssystem leide nach wie vor unter politischer Manipulation, unzureichenden Ressourcen und Hindernissen bei der Prozesskostenhilfe, so der Bericht. Dadurch werden Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz der rechtlichen Maßnahmen untergraben.
Das Gesamtbild zeigt auch, dass im Bereich der Korruptionsbekämpfung ein anhaltender Mangel an Transparenz, eine schwache Strafverfolgung und ein unzureichender Schutz von Hinweisgebern besteht. Das Vertrauens in die Integrität der Regierung wird dadurch erschüttert.
Die Kontrolle und das Gleichgewicht werden weiter geschwächt durch die übermäßige Anwendung von beschleunigten Gesetzgebungsverfahren. Unabhängige Behörden sind des Öfteren politisch beeinflusst und es haben zuletzt mehr Manipulationen bei Wahlen stattgefunden. Demokratische und rechtliche Kontrolle der Regierung wird immer schwieriger.
Die Pressefreiheit ist in vielen Ländern nach wie vor gefährdet. Mechanismen der Regulierung sind nicht unabhängig und teilweise politisch veranlagt. Pluralismus wird durch konzentrierte Eigentumsverhältnisse unterdrückt und die Situation von Journalisten im öffentlichen Raum unsicherer. Es gibt inzwischen mehr Angriffe auf Medienschaffende.
Darüber hinaus ist der zivilgesellschaftliche Raum weiter geschrumpft. Weit verbreitete Verleumdungskampagnen ermutigen die Regierungen dazu, restriktive Gesetze zu erlassen, insbesondere wenn es um das Recht auf friedlichen Protest und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geht.
Auch die Menschenrechte stehen zunehmend unter Druck: aufgrund einer strengeren Migrationspolitik, eines unzureichenden Schutzes für gefährdete Gruppen und einer zunehmenden Diskriminierung und Hassrede, von der Minderheiten in der gesamten Region betroffen sind.
Internationale Herausforderungen verschärfen Rechtsstaatlichtkeitsproblem der EU
Die EU-internen Herausforderungen stehen in einem internationalen Kontext einer sich wandelnden geopolitischen Landschaft, stellen die Autoren des Berichts fest. Rechtspopulismus erstarkt weiterhin. Auch der demokratische Rückschritt in den USA sowie globale Konflikte prägen die politische Entwicklung Europas.
Der wachsende Einfluss der Rechtsextremen bedroht die Einheit der EU. Russlands Krieg gegen die Ukraine und die abnehmende transatlantische Unterstützung für die europäische Sicherheit stellen die Widerstandsfähigkeit der Union auf die Probe. Die Migrationspolitik wird immer härter, die Staaten verschärfen die Grenzen und schränken das Asylrecht ein und nehmen Verstöße gegen internationales Recht dafür in Kauf.
Gleichzeitig sind die Durchsetzungsmechanismen der EU nach wie vor schwach. Es fehle bisher an einem klaren Zeichen für die zentrale Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Ohne entschlossenes Handeln riskiert die EU eine weitere Aushöhlung der Demokratie, eine interne Zersplitterung und eine Schwächung ihrer globalen Position.
"Während der Rechtspopulismus zunimmt und die Demokratie in den USA ins Hintertreffen gerät, verschärft sich die Krise der Rechtsstaatlichkeit in Europa. Der wachsende Einfluss der extremen Rechten bedroht die Einheit der EU", so Viktor Z. Kazai der Civil Liberties Union for Europe. "Um die EU und die auf Regeln basierende Welt zu schützen, muss die Europäische Kommission die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit stärken und sie direkt mit Artikel 7, der Haushaltskonditionalität und den Vertragsverletzungsverfahren verknüpfen."
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