Sorge um Frauengesundheit: Designierter EU-Kommissar scheitert bei der ersten Parlaments-Anhörung
Drei Stunden ging die Anhörung, doch das Europäische Parlament hat sich am Mittwochabend noch nicht entschieden: Der designierte EU-Kommissar Olivér Várhelyi wurde noch nicht bestätigt. Er weigerte sich, die Gesundheit von Frauen als EU-Zuständigkeit anzuerkennen.
Nach den Regeln des Parlaments treffen sich die Ausschussvorsitzenden und Koordinatoren nach einer Anhörung hinter verschlossenen Türen, um darüber abzustimmen, ob sie die Kandidaten für das Amt des Kommissars für geeignet halten.
Sobald die Abgeordneten die zusätzlichen Fragen in einer heutigen Sitzung beschlossen haben, hat Várhelyi 48 Stunden Zeit, sie zu beantworten. Es wird erwartet, dass die Fraktionsvorsitzenden seine Antworten am kommenden Montag (11. November) auswerten, um zu entscheiden, ob sie zufrieden sind oder ob eine weitere Anhörung erforderlich ist.
Várhelyi hat keine Gesundheitserfahrung
Várhelyi, der der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán angehört, galt bereits als umstrittener Kandidat für das Gesundheitsressort, da er über keinerlei Erfahrung in diesem Bereich verfügt.
Einige Zuständigkeiten in seinem Ressort könnten nun auf andere Kommissare übertragen werden, um den Weg für seine Bestätigung freizumachen. Vier Europaabgeordnete aus verschiedenen Fraktionen sagten Euronews, dass Várhelyi Gefahr laufe, den Überblick über die reproduktive Gesundheit und insbesondere den Tierschutz zu verlieren.
Ein christdemokratischer und ein liberaler Abgeordneter, die sich anonym äußerten, sagten, dass der Ungar fachliche Vorbereitung gezeigt habe und dass er sich gut auf die Anhörung vorbereitet habe, insbesondere auf Gesundheitsthemen.
Die Abgeordneten waren jedoch der Meinung, dass einige seiner Antworten ausweichend waren, vor allem bei sensiblen politischen Fragen, als er sagte, dass die EU für die Behandlung bestimmter Fragen nicht zuständig sei.
Schwangerschaftsabbruch
Das umstrittenste Thema war die Gesundheit der Frauen. Die EU-Parlamentarier waren hier besonders aufmerksam, da seine Partei Fidesz einen breiteren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in Ungarn ablehnt.
Auf die Frage, ob er die sexuelle und reproduktive Gesundheit als einen wichtigen Teil der EU-Gesundheitsunion betrachte, sagte Várhelyi, dass Abtreibung eher eine Frage der Verfassung und der Menschenrechte als der Gesundheit sei und als solche in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten falle.
Der französische sozialdemokratische Europaabgeordnete Christophe Clergeau war anderer Meinung und argumentierte, dass reproduktive Rechte in den Zuständigkeitsbereich der EU im Bereich Gesundheit fallen.
Er sagte, dass die EU einen umfassenden Frauengesundheitsplan nach dem Vorbild des Beating Cancer Plan auf den Weg bringen könnte, der auch den Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten beinhaltet.
Die Ernennung eines Fidesz-nahen Kommissars zur Überwachung der reproduktiven Rechte sei "eine total rote Linie", sagte der französische liberale Europaabgeordnete Pascal Canfin gegenüber Euronews und deutete an, dass die Europaabgeordneten seine Beteiligung in diesem Bereich nur schwer akzeptieren würden.
Frauen und Impfstoffkontroversen
Andere Abgeordnete äußerten sich besorgt über Várhelyis begrenzte Unterstützung für die Gesundheit von Frauen und die Einbeziehung von LGBTQ+ in die Gesundheitspolitik. Die Atmosphäre während der Anhörung wurde spürbar angespannter, als einige Abgeordnete ihm vorwarfen, die Rechte und Herausforderungen von Frauen und LGBTQ+-Personen im Gesundheitswesen zu ignorieren.
"Warum denken Sie, dass ich kein Verbündeter von Frauen bin? Ich lebe mit vier Frauen zusammen - meiner Frau und meinen drei Töchtern. Halten Sie mich nicht für einen Verbündeten der Frauen?" antwortete Várhelyi abwehrend.
Emma Fourreau, eine linke Europaabgeordnete aus Frankreich, bezeichnete Várhelyi als "einen von Viktor Orbán ferngesteuerten Frauenfeind".
Várhelyi sah sich auch mit Fragen zu Ungarns Entscheidung konfrontiert, russische und chinesische COVID-19-Impfstoffe unter Umgehung der Genehmigung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zuzulassen - ein Schritt, der der gemeinsamen Haltung der EU widerspricht.
Der liberale Europaabgeordnete Canfin erklärte, Várhelyis Unfähigkeit, sich von dieser Entscheidung Orbáns zu distanzieren, habe dazu geführt, dass die Abgeordneten seine Bewerbung um das Amt des Kommissars nicht unterstützt hätten.
Politische Ankündigungen
Várhelyi versprach, innerhalb der ersten 100 Tage seiner Amtszeit das mit Spannung erwartete Gesetz über kritische Arzneimittel vorzulegen, um den Mangel an medizinischen Geräten und Medikamenten zu beheben, falls er bestätigt wird.
Außerdem kündigte er Pläne für eine europäische Initiative zur kardiovaskulären Gesundheit an, die auch Strategien zur Vorbeugung von Diabetes und Fettleibigkeit umfasst. "Unser Plan soll uns dabei helfen, neue und personalisierte Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten für die Europäer zu entwickeln und verfügbar zu machen", erklärte er.
In Bezug auf die EU-Vorschriften für Medizinprodukte zeigte sich Várhelyi bereit, den Rahmen auch kurzfristig zu überarbeiten. "Ich werde die laufenden Arbeiten zur Evaluierung der aktuellen Rechtsvorschriften intensivieren, um im nächsten Jahr mit der Überarbeitung fertig zu sein", sagte er.
Der Ungar bezeichnete Tabak als ein großes Gesundheitsrisiko und verwies auf die bevorstehende Überprüfung der EU-Tabakrichtlinien. Várhelyi versicherte, dass die Kommission bei dieser Überarbeitung keine Scheu vor dem Tabak haben werde.
In Bezug auf zellbasiertes Fleisch verwies Várhelyi auf die wissenschaftliche Bewertung durch die EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA), räumte aber ein, dass eine ethische Debatte über diese Technologie notwendig sei.
Er schlug vor, dass die EU-Länder - ähnlich wie bei genetisch veränderten Organismen (GVO) - ein Opt-out-System für zellbasiertes Fleisch einführen könnten, das es denjenigen, die es ablehnen, ermöglicht, es zu vermeiden.
Auch Fragen des Tierschutzes kamen zur Sprache, wobei Várhelyi versprach, Verbesserungen der Tiertransportbedingungen zu prüfen. Der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz äußerte jedoch Zweifel an Várhelyis Engagement. Er nannte seine Antworten zu diesem Thema unbefriedigend und äußerte ernsthafte Zweifel an seiner Eignung für das Amt.
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