Bürgerfragen: Diese Antworten von Merz, Weidel, Scholz und Habeck haben überrascht
![1](https://static.euronews.com/articles/stories/09/05/37/28/800x450_cmsv2_f2f7d8a9-89a1-5065-9bb7-eb3042a1de0b-9053728.jpg)
Zehn Tage vor der Bundestagswahl, und just am Tag einer Bürgerfrage-Runde mit den vier Kanzlerkandidaten (CDU/CSU, AfD, SPD, Bündnis 90/Die Grünen) im deutschen Fernsehen hat ein weiteres Gewaltverbrechen, ausgeübt von einem Asylbewerber, die Öffentlichkeit erschüttert.
Der Vorfall geschah in München. Dass Sicherheit und Migration im Mittelpunkt der Fernseh-Fragerunde am Abend stehen würde, lag auf der Hand.
In einem ersten TV-Duell am vergangenen Sonntag hatten sich Scholz und Merz bereits einen Schlagabtausch geliefert.
Nun waren Bürger an der Reihe und konnten den Kandidaten Fragen stellen.
In Umfragen liegt Friedrich Merz (CDU/CSU) derzeit mit einem klaren Vorsprung von rund 31 Prozent vorn, gefolgt von der AfD und Alice Weidel mit rund 20 Prozent, der SPD von Scholz, knapp 17 Prozent, und den Grünen, 12-14 Prozent, der Partei des derzeitigen Wirtschaftsministers Robert Habeck, der sich nun auch für das Kanzleramt bewirbt.
Olaf Scholz (SPD), der derzeitige Bundeskanzler, stellte sich zuerst den Fragen der Zuschauer. Eine Bürgerin aus Solingen fragte Scholz, ob er nicht eine "moralische Mitschuld" an jedem einzelnen Mord trage, angesichts der Anschläge und Gewalttaten. Sie erklärte, sie habe "Angst, dass es so weitergeht“ und mache sich "große Sorgen".
Scholz antwortete, dass die innere Sicherheit "höchste Priorität" habe. Man müsse Täter besser beobachten, auch im Internet. Es dürfe nichts unversucht bleiben, um solche Taten wie in München im Vorfeld zu verhindern. "Da darf uns der Datenschutz auch nicht im Weg stehen", so der Bundeskanzler. Es gebe Gesetzesänderungen und Anträge, die noch im Bundesrat liegen.
Und: Der Täter von München werde so bald wie möglich nach Afghanistan ausgewiesen.
Ein Bürger aus Bayern stellte eine Frage zur Ukraine: "Warum wollen Sie die TAURUS nicht liefern, wenn die Ukraine sie zur Abwehr gebrauchen könnte?"
Scholz betonte, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist. "Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich mir nicht sicher bin, ob es sich damit nicht zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO ausweitet." Zudem habe er mit Trump gesprochen und sehr darauf gedrungen, dass die Unterstützung der USA nicht aufhört. Es dürfe keine Verständigung über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben.
Ein Student aus Münster sprach die Wohnungskrise an. Zu Beginn seines Studiums musste er in einer Turnhalle übernachten. Es sei "unfassbar frustrierend“, zu sehen, wie viele Menschen, besonders Studierende und Auszubildende, unter "unbezahlbaren Mieten" leiden. Er frage sich, wie man den Sozialdemokraten noch Vertrauen entgegenbringen könne, wenn sie ihre Versprechen im Wohnungsbau nicht einhalten.
Scholz: "Ich halte an dem Ziel fest, viele neue Wohnungen zu bauen. Warum hat das bisher nicht geklappt? Wegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine."
"Wir haben trotzdem die Mittel ausgebaut", fuhr Scholz fort. "Aber das Bauen ist dadurch schwer geworden." Dennoch habe man sich unter anderem mit den Mieterverbänden zusammengesetzt. Die Vorschläge lägen im Bundestag.
Die Mietpreisbremse sei von der FDP ausgebremst worden, aber auch Neubau sei nötig.
"Ich spiele nicht nur auf Sieg, ich will gewinnen", sagte Scholz auf die Frage der Moderatorin zum Abschluss. "Und ich weiß auch, wie viele noch sehr unentschieden sind." Er sei deshalb "sehr zuversichtlich, dass viele von denen, die jetzt unsicher geworden sind", sich für ihn entscheiden würden.
"Das ist wohl die Wahl, die wirklich am 23. Februar in der Wahlkabine entschieden wird."
Damit endete der Auftritt von Olaf Scholz. Der Grünen-Politiker Robert Habeck betrat das Studio, und die beiden Koalitionspartner begrüßten sich herzlich. Auf Nachfrage bestätigen sie, dass sie sich duzen und ein gutes Verhältnis zueinander haben. Man hatte schon zu früheren Zeiten in Norddeutschland beruflichen Austausch.
Zu Beginn der Fragerunde mit Habeck wurde gleich das Thema verlorenes Vertrauen angesprochen. Ein Zuschauer äußerte sich kritisch über die Ampel-Regierung. Ihm falle es schwer zur Wahl zu gehen, man habe nur die Wahl zwischen Not und Elend, Pech und Schwefel. "Wie wollen Sie die Wähler jetzt noch davon überzeugen, zu wählen?"
Habeck verwies auf das Grundprinzip der Demokratie. Es gebe bei dieser Wahl Richtungsentscheidungen mit den Programmen der verschiedenen Parteien, es lohne sich also, teilzunehmen. Er fügte hinzu: "Wir lernen immer stärker, Kompromisse als etwas Gutes zu betrachten. Auch in meinen Kreisen heißt es manchmal, der ist ja umgefallen. Aber wenn wir das weiterhin so betrachten, dann fällt die Demokratie um." Das Publikum spendete Applaus nach dem Satz.
Ein Geschäftsführer aus dem industriellen Mittelstand aus Hessen (Maschinenbau) wollte eine Antwort: "Gerade in unseren Kreisen brennt der Baum. Der Mittelstand wird zerrieben von der Inflation, von steigenden Energiekosten, Druck aus dem Ausland und der derzeit schlechten Wirtschaftslage überhaupt."
Habeck gab zu, dass man aufgrund der Energiekrise und durch den Verlust von Exportmärkten in den USA und China, mit denen man nicht gerechnet habe, unter Druck stehe. Bürokratieabbau, die Schaffung von mehr und qualifizierten Arbeitskräften, bessere steuerliche Bedingungen für Investitionen und die Modernisierung der Infrastruktur seien "sehr vernachlässigt" worden. Habeck plädierte für die Einführung einer staatlichen Investitionsprämie – einen Steuerabschlag von 10 Prozent.
Ein Geschäftsführer aus Unna meldete sich zu Wort und berichtete, dass er ursprünglich seine Fahrzeugflotte auf E-Autos umstellen wollte. Doch plötzlich wurden die Zuschüsse von der damaligen Ampelregierung gestrichen, und seine Pläne wurden gestoppt. "Über Nacht machen Sie und Ihre Regierung alles zunichte", so der Firmenchef.
Kritikpunkt: Investitionsprämie
Habeck verwies auf die Haushaltsnot der Ampel-Regierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das dazu führte, dass man plötzlich 60 Milliarden Euro einsparen musste. Er räumte die Auswirkungen dieser Entscheidung ein. Seine vorgeschlagene neue Investitionsprämie würde auch E-Autos einbeziehen, so Habeck.
Der Unternehmer lobte Habeck anschließend dafür, dass er seinen Fehler eingesteht. "Das rechne ich Ihnen hoch an", sagt der Mann aus Unna. Das habe er von seinem Vorredner, Olaf Scholz, nicht gehört. Das Publikum applaudierte.
Eine Schneiderin aus Bremen betonte, die Kriminalität steige ins Unermessliche. Vor über einem Jahr sei dreimal innerhalb eines Jahres in ihren Laden eingebrochen worden. Der Täter wurde beim zweiten Mal festgenommen, freigelassen und beraubte sie ein drittes Mal. "Die Polizei macht ihre Arbeit sehr gut", betonte sie. "Was wollen Sie tun, damit diese Kriminellen endlich mal konsequent verfolgt und bestraft werden?"
Habeck erzählte, er habe früher in Hamburg oft Polizeifahrten gemacht, und miterlebt, wie Polizisten sagten: "Wo kommt denn der wieder her? Den haben wir doch gestern festgenommen."
Habeck erklärte die Schritte, die nötig wären, die hohe Zahl von offenen Haftbefehlen zu bewältigen. "Wir haben in Deutschland über 350.000 offene Haftbefehle. 14.000 davon sind tatsächlich Gewaltverbrechen, also Schwerstverbrechen." Es brauche "eine Strafe auf dem Fuße" – und nicht zeitversetzt.
Dazu gehörten Gesetzesänderungen, und die lägen bereits im Bundestag, das habe Herr Scholz schon gesagt.
Weidel trifft auf Habeck
Alice Weidel betrat das Studio. Habeck und sie schüttelten kurz die Hände. Auf die Frage nach ihrem Verhältnis im Bundestag erklärte Habeck mit einem Lächeln, dass sie dort eher "aneinander vorbeigehen". "Ich grüße Sie", sagte Weidel, lächelnd zu Habeck gewandt.
Habeck setzte an zu einer Erklärung, die ZDF-Moderatorin fasste zusammen: Das Ausschließen anderer Parteien sei nicht richtig, aber im Fall der AfD sei es das. Habeck nickte und ging von der Bühne.
Zu Beginn wurde Alice Weidel nach dem Anschlag in München gefragt. Sie sagte, dass der Afghane als abgelehnter Asylbewerber mit der AfD in der Regierung "auch nicht mehr hier gewesen wäre", war aber damit nicht auf dem neuesten Stand. Der ZDF-Moderator informierte anschließend über die neuesten Entwicklungen im Fall. Anders als zunächst von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann berichtet, war der Mann zuvor nicht straffällig und auch nicht ausreisepflichtig.
Ein Mann aus Potsdam, der ein Medizintechnikgeschäft mit Mitarbeitern aus 27 Ländern führt, fragte: "Meine Mitarbeitenden fangen an, das Land zu verlassen, weil sie das Gefühl haben, sie sind nicht gewollt. Wie kann ich meine Leute behalten?"
Weidel antwortete, dass jeder hier in Deutschland bleiben könne, der sich "positiv in die Gesellschaft einbringt, einen Mehrwert leistet, sich benimmt, an die Rechtsordnung hält - es geht darum, dass unser Land in der Lage ist, gute, schlaue Leute anzuziehen. Sie können Ihren Mitarbeitern sagen, sie brauchen gar nichts zu befürchten, denn es geht uns darum, das Gesetz umzusetzen, das abgelehnte Asylbewerber betrifft."
Ein Altenpflegeheimleiter aus Bielefeld war zusammen mit einer Mitarbeiterin im Studio, die aus Georgien stammt. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, weshalb ihre Zukunft in Deutschland nun unklar ist. Weidel zeigt sich der Frau gegenüber sehr wertschätzend. "Wow, Sie sprechen nach nur zwei Jahren wirklich gut Deutsch.“ Weidel erklärt, dass die Frau aus Georgien nach den Vorstellungen der AfD eigentlich gar kein Asyl hätte beantragen müssen, da sie stattdessen als qualifizierte Arbeitskraft in Deutschland hätte einwandern können. "Diese Frau wird gebraucht, sie kann bleiben."
Der Arbeitgeber der Frau kam ebenfalls zu Wort: "Diese Wertschätzung, die ich gerade von Ihnen sehe, spiegelt sich nicht in Ihrem Programm wider. Wir brauchen mehr Migration, nicht weniger. Sie differenzieren hier in einer wertschätzenden Qualität, das kann ich Ihnen nicht abnehmen. "
Weidel antwortet: "Sie müssen einfach unser Programm lesen."
Habe ich getan, antwortet der Mann. "Wir brauchen Migration - uns fehlen 130.000 Pflegemitarbeiter."
Weidel wirft ihm vor, dass "Sie mir nicht zugehört haben, dass Sie unser Wahlprogramm nicht gelesen haben und dass Sie das, was Sie gerade gesagt haben, auswendig gelernt haben."
AfD: Rückkehr zur Atomkraft
Duldung müsse abgeschafft werden laut dem Programm der AfD, versuchte der Moderator einzuordnen. Qualifizierte Einwanderer seien "herzlich willkommen", betonte Weidel.
"Vielleicht lesen Sie mal Ihr Wahlprogramm", so der Pflegeheimleiter zu Weidel.
Nächstes Thema: Windräder. Ein Windradbetreiber fragte, wie die AfD mit dem Thema Erneuerbare Energien umgehe. "Die AfD will die Windkraft abschalten. Woher soll der Strom dann kommen?"
Weidel: "Wir müssen technologieoffen agieren. Ich glaube, dass wir zurück müssen zur Kernkraft. Das EEG hat unsere Energie sehr teuer gemacht. Und, das werden Sie jetzt nicht gerne hören: Wenn sich ihr Windpark nur durch Subventionen rechnet, würde er schließen müssen."
Der Mann schüttelte den Kopf. "Wir haben Kernkraftwerke, die abgestellt wurden", betonte Weidel. "Die Betreiber von Windkraftwerken sind Subventionsbezieher, das ist Planwirtschaft pur. Und natürlich wollen die Betreiber dies beibehalten, sie sind Nutznießer."
Merz: "Frau Weidel, wir sind so weit auseinander... "
Der letzte Gast der Sendung kam ins Studio, Friedrich Merz. Alice Weidel unterbreitete Merz erneut das Angebot, gemeinsam mit der Union "vernünftige Politik" umzusetzen. In einer Koalition mit uns können Sie was bewegen, mit den Grünen nicht", so Weidel. Merz lehnte ab und erklärte, dass er von der AfD immer nur höre, dass man die Union "zerstören wolle". Ein Austritt aus der EU, dem Euro und der NATO, wie es die AfD will, sei für die Union zudem ausgeschlossen. Daraufhin fragte Weidel: "Dann machen Sie es mit den Grünen? Mit Habeck als Wirtschaftsminister?" Merz reagierte ausweichend: "Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten auch wieder ins Parlament zurückkehren."
"Frau Weidel, wir sind so weit auseinander", sagte Merz. "Wir haben eine Entscheidung getroffen: Mit Ihnen nicht."
Warum die CDU an der Brandmauer festhalte, war die erste Frage eines Zuschauers. Anderenfalls könne das doch vielleicht zu einer Art Entzauberung der Wähler führen, die sich dann wieder auf eine Politik der Mitte einpendeln. Zudem gebe es doch Parallelen.
"Wollen wir wirklich mit einer Partei zusammenarbeiten, die offen ausländerfeindlich ist? Frau Weidel kommt elegant daher, aber schauen Sie mal ihr Umfeld an", so Merz. "Ich möchte, dass sich die Parteien der demokratischen Mitte in unserem Land als handlungsfähig erweisen, und dass sie es schaffen, die Probleme in diesem Land zu lösen. Das ist vor allem Migration und Wirtschaftspolitik. Und ich habe das Vertrauen, dass uns das gelingt."
Ein Wärmepumpen-Unternehmer und Energietechniker aus Köln prognostizierte, dass das Heizen mit fossilen Brennstoffen in Zukunft deutlich teurer werden würde und fragte Merz, wie er verhindern wolle, dass bei Neubauten weiterhin zwei Drittel der Kunden in fossile Heizsysteme investieren.
Angst vor der Atommacht Russland
Merz wies darauf hin, dass es 2023 einen "großen Boom" bei Gas- und Ölheizungen gab. "Das war eine ganz typische Reaktion" weil Habeck diese Heizungen verbieten wollte. Daraufhin widersprach der Wärmepumpen-Hersteller: "Die Verbote stehen so nicht im Gesetz!" Merz betonte, dass es de facto Verbote gewesen seien. Man einigte sich darauf, dass "der Staat keine Technologien vorgeben sollte".
Eine Frau drückte ihre Besorgnis über die Atommacht Russland und mögliche Auswirkungen auf Deutschland aus. "Wie stellen Sie sicher, uns vor einem Vergeltungsschlag Russlands zu beschützen?" Merz versicherte ihr, dass er das Thema nicht auf die leichte Schulter nehme. "Wissen Sie, ich habe auch Familie, ich habe auch Kinder." Er wolle, dass die heutige Jugend auch in 25 oder 50 Jahren noch in einem freien und wohlhabenden Land leben könne. Allerdings könne man nicht "aus purer Angst zurückschrecken" vor Putin, denn sonst habe man sich bereits teilweise aufgegeben.
Seine Sorge sei, dass Putin die Nachkriegsordnung zerstöre.
Merz machte zum Abschluss noch eine Äußerung zur Münchner Sicherheitskonferenz, die an diesem Freitag beginnt. Er hoffe, dass die Politik sich vorbereitet hat auf die kommenden Ereignisse, und dass Europa zusammenstehen werde. Man darf also offenbar einige Neuigkeiten erwarten, vor allem bei der Haltung der USA in Bezug auf Strafzölle und den Krieg in der Ukraine.
Yesterday