Zölle auf russische Düngemittel: Schwierige Gratwanderung für die EU

Russland und seine Düngemittelindustrie zu treffen, ohne dabei der europäischen Landwirtschaft zu schaden - eine schwierige Gratwanderung, auf die die EU sich begibt. Die Mitgliedsstaaten haben am Wochenende einem Vorschlag der Europäischen Kommission zugestimmt, der zusätzliche Zölle auf die Einfuhr von Agrarprodukten aus Russland und Belarus vorsieht, um die Abhängigkeit der EU von diesen Ländern zu verringern.
Die Kommission argumentiert, dass die 27 EU-Mitgliedstaaten in einer verwundbaren Position wären, wenn Moskau beschlösse, Zwangsmaßnahmen gegen sie einzuführen. Mit anderen Worten: Die Ernährungssicherheit der Europäer stünde auf dem Spiel. Russische Düngemittel machen etwa 25% der Einfuhren in die EU aus.
Die Landwirte sind alarmiert
Die neuen Zölle beunruhigen jedoch die Landwirte. Copa-Cogeca, die die Interessen des Sektors in Brüssel vertritt, weist darauf hin, dass die Branche stark von russischen Düngemitteln abhängig ist.
"Schon heute importieren wir aus anderen Drittländern, aber eine erhöhte Nachfrage wird logistisch mehr Druck erzeugen, also Kostensteigerungen. Und diese Kostensteigerungen werden zu einer Inflation im Agrarsektor führen, die sich in Form von niedrigeren Einkommen der landwirtschaftlichen Erzeuger und einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit auswirkt", klagt Dominique Dejonckheere, Beraterin für Energiepolitik bei Copa-Cogeca.
Nach Angaben der Kommission könnten die zusätzlichen Zölle pro Tonne Düngemittel innerhalb von drei Jahren schrittweise von 40 oder 45 EUR auf 315 oder 430 EUR steigen.
Copa-Cogeca erinnert jedoch daran, dass der Kauf von Düngemitteln im Durchschnitt 10% der Ausgaben für variable Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs ausmache. "Aber in einigen Sektoren, insbesondere bei Ackerkulturen, Getreide und Ölsaaten, machen die Ausgaben für Düngemittel etwa 30 % der variablen Kosten aus", sagt Dominique Dejonckheere.
Copa-Cogeca verweist auf die schon von den Landwirten unternommenen Anstrengungen. Im Jahr 2015 machten die Einfuhren aus Russland und Belarus 40 % des Gesamtvolumens aus.
Das Gleichgewicht finden
Im Europäischen Parlament räumt die Europaabgeordnete Inese Vaidere (EVP), die für den parlamentarischen Bericht zum Thema zuständig ist, ein, dass alle Parteien einen Schritt aufeinander zugehen müssten.
"Ich würde sagen, dass es sich um einen ausgewogenen Vorschlag handelt. Es gibt immer viele Interessen, die auf dem Spiel stehen. Und wenn man einen Gesetzesvorschlag oder sogar einen Rechtsakt ausarbeitet, kann man nicht sagen, dass alle Betroffenen zu 100 % zufrieden sein werden. Das ist nicht der Fall", erklärt die lettische Parlamentarierin.
Sie ist jedoch der Ansicht, dass man handeln und strategisch denken muss."Russland hat dafür gesorgt, dass es aus billigem russischen Gas Düngemittel herstellt und diese auf dem europäischen Markt zu sehr niedrigen Preisen verkauft. Das bedeutet, dass wir, wenn wir diese russischen Düngemittel kaufen, weiterhin die russische Kriegsmaschinerie antreiben. Ist dies akzeptabel? Nein, das ist nicht akzeptabel".
"Meine persönliche Meinung ist daher, dass dieser Vorschlag schon vor drei Jahren hätte orgelegt werden können oder sollen", fügt sie hinzu.
Stärkung der europäischen Industrie und Diversifizierung
Die Kommission ist der Ansicht, dass ihr Vorschlag die inländische Produktion von Düngemitteln steigern und die Industrie durch diese zusätzlichen Steuern stärken wird.
Die Branche hat unter der Energiekrise und den Sanktionen gegen Russland gelitten. Für die Herstellung von Stickstoffdüngern wird nämlich Erdgas benötigt, um Ammoniak für Düngemittel zu produzieren.
"Ja, es gibt immer noch genügend Produktionskapazitäten in Europa. Aber die Frage für uns ist nicht so sehr die Verfügbarkeit, sondern eher eine Frage des Preises. Wir brauchen Düngemittel zu erschwinglichen Preisen, und in dieser Frage haben wir keine Garantien von der Industrie. Das Problem der Industrie sind die zu hohen Energiekosten", meint Dominique Dejonckheere.
Um mehr Transparenz zu schaffen und einen erschwinglichen Preis zu gewährleisten, schlägt die Kommission eine Diversifizierung der Lieferungen aus verschiedenen Drittländern vor.
"Bei Engpässen haben wir Partner auf der ganzen Welt, und das ist auch eine Möglichkeit der Versorgung. Und ich denke, dass dies unsere Produktion von Agrarprodukten nicht ernsthaft beeinträchtigen sollte", versichert Inese Vaidere.
Die Mitgliedstaaten sind sich, abgesehen von Ungarn, im Prinzip einig und wollen Fortschritte machen. Sie bedauern jedoch das Fehlen einer Folgenabschätzung und wollen daher eine regelmäßige Überprüfung.
Das Europäische Parlament wird sich Anfang des nächsten Monats formell mit dem Thema befassen. Sobald es seine Position angenommen hat, müssen sich die Europaabgeordneten mit den Mitgliedstaaten einigen, um einen gemeinsamen Text zu erreichen.
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