Habeck im Exklusivinterview: "Klimaschutz kann nur noch an Unfähigkeit oder Unwillen scheitern"

Nach intensiven Verhandlungen gab es schließlich grünes Licht für den Gesetzentwurf, wobei die Grünen ursprünglich gezögert hatten, ihre Unterstützung zu geben. Dies änderte sich, als CDU-Parteichef Merz der Partei vergangene Woche zusicherte, dass 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in die Förderung von Maßnahmen zur Energiewende fließen würden. Die Grünen setzten sich außerdem dafür ein, die geplanten Verteidigungsausgaben zu erweitern.
Nach der Bundestagsabstimmung unterstrich Außenministerin Annalena Baerbock beim Berlin Energy Transition Dialogue (BETD) die enge Verbindung der Bereiche Klimaschutz, Energiepolitik und Sicherheit:
"Das ist ein starkes und kraftvolles Zeichen, auch an unsere Freunde in Europa und der Welt. Deutschland steht bereit, sich den epochalen Herausforderungen aus Sicherheits- und Klimakrise mit voller Kraft zu stellen", sagte Baerbock und fügte hinzu: "Diese 100 Klimamilliarden sind eine direkte Investition in unsere Zukunft und damit auch in unseren Wohlstand und in unsere Sicherheit. Um es klar zu sagen: Klimapolitik ist Sicherheitspolitik."
Der scheidende Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, mahnte an, dass es nun an der Politik liege, das Sondervermögen sinnvoll umzusetzen: "Am Geld wird der Klimaschutz in Deutschland jetzt nicht mehr scheitern. Er kann nur noch scheitern an einer Unfähigkeit oder einem Unwillen."
Obwohl der Klimawandel 2024 noch ein prominentes Thema auf der Münchener Sicherheitskonferenz war, haben die aktuellen geopolitischen Konflikte die Klimakrise vorerst von der politischen Agenda gedrängt. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im Februar war der Klimawandel nur eine Randnotiz.
Beim BETD erklärte Habeck gegenüber Euronews, was nötig sei, um das Thema Klimaschutz wieder auf die politische Agenda zu setzen: "Die Lektionen sind alle da. Der Berlin Energy Transition Dialogue hat das nochmal aufgefächert. Sicherheit, Preise, Klimaneutralität – alles spricht dafür, dieses Thema jetzt nach vorne zu bringen und auf dem Erfolg aufzubauen."
Er betonte weiter: "Es braucht Politikerinnen und Politiker, die wissen, was die Stunde geschlagen hat, und es den Menschen, der Öffentlichkeit immer wieder erklären. Und diese Menschen braucht es auch in den Medien, die immer wieder die richtigen Fragen stellen."
Laut Habeck wäre es im Hinblick auf die Entscheidung zum Sondervermögen einfacher für die Grünen gewesen, zu verhindern, dass CDU-Chef Friedrich Merz Kanzler wird:
"Wir hatten es gestern in der Hand, wir hätten uns querstellen können und Merz wäre nicht Kanzler geworden. Ich wette, die Union hätte es getan, wenn es jetzt eine rot-grüne Regierung gewesen wäre. Und wahrscheinlich hätte es die SPD auch getan, wenn es eine schwarz-grüne Regierung gewesen wäre. Wir haben es nicht getan.”
In ihrer Kritik am ersten schwarz-roten Entwurf des Finanzpakets warfen die Grünen der SPD und CDU zunächst vor, mit dem Paket ihre Wahlversprechen finanzieren zu wollen. Hinreichende Zusagen für den Klimaschutz hingegen fehlten ihnen. Erst nach Gesprächen mit SPD und der Union einigte man sich auf das Finanzpaket mit Klima-Sondervermögen.
EU-Institutionen brauchen eine "echte Reform"
Mit Blick auf Europas Stellung in der aktuellen geopolitischen Weltlage lobte Habeck Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und sagte, die europäischen Institutionen „schlagen sich gut“.
“Die Kommission hat die Stunde der Zeit erkannt, die Kommissare haben, jedenfalls die, mit denen ich eng zusammenarbeite, Energie, Handel, Competition schnell und entschieden Linien vorgegeben und Ursula von der Leyen hat sowieso verstanden, was sie für eine Aufgabe im Moment zu bewältigen hat,” sagte Habeck.
Dennoch mahnte er, dass eine Reform notwendig sei, damit Europa geeint und politisch handlungsfähig auftreten könne.
"Europa braucht eine echte Reform seiner Institutionen", so Habeck weiter. "Das Einstimmigkeitsprinzip muss überwunden werden, wir brauchen Mehrheitsentscheidungen im Rat – auch in der Außen- und Finanzpolitik. Europa braucht eine eigene finanzpolitische Autonomie, die es ihm ermöglicht, Geld einzunehmen. Und dann gilt der amerikanische Spruch: ‘No taxation without representation or legislation’. Das bedeutet, Europa braucht irgendwann auch die Fähigkeit zur Gesetzgebung durch ein volles Mandat."
Für den Grünen-Politiker ist der Weg zu einer föderalen europäischen Republik notwendig. "Die Kommission muss richtig gewählt werden, das Parlament muss ein echtes Parlament sein, das sich gegenüber der europäischen Bevölkerung verantwortet", erklärte er. "Diese Zwischen-Baum-und-Borke-Haltung reicht nicht mehr aus. Das Ganze muss in den nächsten zehn Jahren passieren."
Bereits während der Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 setzten die Grünen sich für eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips ein.
"Demokratie muss erfolgreich sein"
Auf die Frage, wie man dem Erstarken rechter und demokratiefeindlicher Kräfte in Deutschland und Europa begegnen könne, erklärte Habeck, dass es die falsche Strategie sei, die Haltung und Inhalte des Rechtspopulismus in abgeschwächter Form zu übernehmen. Wo dies bereits passiert sei, hätten Populismus und Rechtsradikalismus immer gewonnen – vor allem zum Nachteil der konservativen Parteien, die "aufgefressen werden würden".
"Deshalb ist das Gegenteil richtig", betonte der Bundeswirtschaftsminister. "Man muss sich auf die eigenen Werte konzentrieren und klar erläutern, was Demokratie, Meinungsfreiheit und eine vielfältige Gesellschaft an Mehrwert und Reichtum bieten. Aber es reicht nicht aus, diese Werte nur zu verkünden. Die Demokratie muss auch erfolgreich sein und die drängenden Probleme lösen."
Habeck verwies auf die kürzlich erfolgte Reform der Schuldenbremse durch das deutsche Parlament und die Erhöhung der Sicherheits- und Verteidigungsausgaben, die bereits überfällig gewesen seien. "Die Ampelregierung wäre sicherlich nicht zerbrochen, wenn die Union sich so staatstragend verhalten hätte, wie es meine Partei getan hat", fügte er hinzu.
"Aber die Ampelregierung ist vielleicht gar nicht das Entscheidende", so Habeck weiter. "Wichtig ist, dass wir Jahre verloren haben. Menschen sind arbeitslos geworden, Unternehmen sind insolvent gegangen. Wir haben zu wenig und zu spät für die Ukraine getan, weil die Union den Schritt, den wir gestern als kommende Oppositionspartei gegangen sind, nicht gegangen ist. Mit dieser Schuld werden sie leben müssen – und zwar die nächsten Jahrzehnte."
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