Faktencheck: Könnte Kanada wirklich der EU beitreten?

In den sozialen Medien fordern Europäer und Kanadier gleichermaßen den Beitritt Kanadas zur Europäischen Union, nachdem die neue Feindseligkeit von US-Präsident Donald Trump Ottawa näher an Europa herangebracht hat.
Beiträge auf Reddit und X sind voll von Kommentaren von Social-Media-Nutzern, die vorschlagen, dass Kanada der EU beitreten solle, um sich von seinen Beziehungen zu Washington zu lösen. Die Trump-Regierung droht, Kanada zum 51. US-Staat zu machen und seinen traditionellen Verbündeten in den Nachbarstaaten und in Europa Zölle aufzuerlegen.
Die Befürworter eines Beitritts Kanadas als 28. Mitgliedstaat führen das öffentliche Gesundheitssystem nach europäischem Vorbild, die einzigartige englisch- und französischsprachige Kultur und die Mitgliedschaft in der NATO als Gründe für einen Beitritt an.
Weitere ähnliche Beiträge folgten, nachdem der neue Premierminister Mark Carney bei einem Besuch auf dem alten Kontinent - seiner ersten offiziellen Auslandsreise seit seinem Amtsantritt - auf die europäischen Wurzeln Kanadas anspielte. Er traf sich dabei mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer, um über Trumps jüngste Drohungen zu sprechen.
"Ich möchte sicherstellen, dass Frankreich und ganz Europa enthusiastisch mit Kanada, dem europäischsten aller außereuropäischen Länder, zusammenarbeiten", sagte Carney und fügte hinzu, er wolle "die bestmöglichen Beziehungen zu den USA aufrechterhalten".
Das Treffen fand statt, nachdem eine Ende Februar von Abacus Data veröffentlichte Umfrage ergeben hatte, dass 44 Prozent der Kanadier der Meinung sind, ihr Land solle der EU beitreten, während 34 Prozent sich dagegen aussprechen.
Weitere 46 Prozent der Befragten unterstützen einen Beitritt Kanadas, während 29 Prozent ihn ablehnen würden.
Aber ist das tatsächlich möglich? Könnte Kanada der EU wirklich beitreten?
Was besagt das EU-Recht?
Paula Pinho, Sprecherin der Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, sagte bei einem Briefing Anfang März, dass man sich in Anbetracht der Umfrageergebnisse "geehrt" fühle, da sie die Attraktivität der EU zeigten, fügte jedoch hinzu, dass laut Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union nur europäische Staaten einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen können.
Im Vertrag steht wörtlich: "Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden".
Allerdings ist im Vertrag nicht genau festgelegt, was ein "europäischer Staat" ist.
Ein Dokument der Kommission der damaligen Europäischen Gemeinschaften aus dem Jahr 1992 gibt uns jedoch einen Hinweis. Darin wird die Bedeutung geografischer und kultureller Bindungen hervorgehoben.
"Der Begriff 'europäisch' ist nicht offiziell definiert", heißt es dort. "Er verbindet geografische, historische und kulturelle Elemente, die alle zur europäischen Identität beitragen.
"Die gemeinsame Erfahrung von Nähe, Ideen, Werten und historischer Interaktion lässt sich nicht in einer einfachen Formel zusammenfassen und wird von jeder nachfolgenden Generation überprüft", heißt es in dem Dokument weiter.
Laut Peter Van Elsuwege, Professor für EU-Recht an der Universität Gent, können auch andere kontinentale Organisationen als Barometer für die europäische Identität dienen.
"Ein weiterer Bezugspunkt ist die Mitgliedschaft im Europarat, denn auch diese Organisation steht nur 'europäischen Staaten' offen", sagte er gegenüber EuroVerify. "Die Mitgliedschaft im Europarat gibt also einen Hinweis auf 'die Grenzen Europas'."
In den Richtlinien des Europarates, die jenen EU vorausgingen, heißt es: "Jeder europäische Staat ... kann vom Ministerkomitee eingeladen werden, Mitglied des Europarates zu werden".
Haben außereuropäische Länder bereits einen Beitrittsantrag gestellt?
Länder außerhalb Kontinentaleuropas haben schon früher einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt - und sind ihr auch beigetreten.
Zypern, das kulturell und politisch europäisch ist, aber geografisch in Westasien liegt, wurde 2004 Vollmitglied der EU.
Die Türkei liegt zum Teil in Europa, zum größeren Teil aber auch in Westasien. Dennoch ist das Land ein offizieller EU-Beitrittskandidat - obwohl die Beitrittsgespräche seit Jahren ins Stocken geraten sind.
Marokko hingegen beantragte 1987 den Beitritt, wurde aber abgelehnt, weil es kein europäisches Land ist.
Im Gegensatz zu Zypern und der Türkei ist Marokko kein Mitglied des Europarats. Kanada ist es auch nicht, was laut Van Elsuwege eines der größten Hindernisse für einen EU-Beitritt des Landes darstellt.
"Kanada erfüllt - ebenso wie Marokko in der Vergangenheit - nicht das Kriterium eines 'europäischen Staates'", sagt er. "Vor allem liegt Kanada geografisch nicht in Europa, ist aber auch kein Mitgliedstaat des Europarats und hat keine Verbindungen zur kulturellen Entwicklung Europas".
Van Elsuwege weist darauf hin, dass dies bei Zypern und der Türkei grundlegend anders sei. Im Falle Zyperns entschied die Europäische Kommission, dass die Rolle des Landes bei der Entwicklung der europäischen Kultur und Zivilisation sowie seine engen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Rest des Kontinents die Zulässigkeit seines Antrags begründeten.
Für die Türkei spielen ihre Geographie und Geschichte eine Rolle, um als "europäischer Staat" zu gelten.
"Dies war bereits im Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei von 1963 der Fall, welches einen Verweis auf einen möglichen künftigen Beitrittsantrag der Türkei enthält", so Van Elsuwege.
"Daher sind Zypern und die Türkei eher spezielle Fälle, die nicht als Präzedenzfälle angesehen werden können, um die Annahme zu unterstützen, dass Kanada potenziell als 'europäischer Staat' im Sinne von Artikel 49 EUV betrachtet werden kann."
Die wahrscheinlichste Schlussfolgerung ist daher, dass Kanada der EU nicht legal beitreten könnte, weil es kulturell, politisch oder geografisch nicht europäisch ist. Ein hypothetischer kanadischer Antrag würde daher eine rechtliche Überarbeitung der Verträge erfordern.
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