Soldat und Influencer: zwischen Militär und Gen Z

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 hat sich die Debatte rund um das Thema Sicherheit schlagartig geändert: ein großangelegter Krieg ist zurück auf europäischem Boden.
Neben der westlichen Unterstützung für die Ukraine ist auch die Debatte um die eigenen Streitkräfte und deren Verteidigungsfähigkeit wieder in den Fokus geraten.
Kann sich Deutschland verteidigen?
Ein polarisierendes Thema, das verstärkt seinen Weg in den Diskurs der vergangenen Monate geschafft hat, ist die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. 2011 wurde diese aus Kostengründen von dem damaligen CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ausgesetzt. Obwohl sie laut dem neuen Koalitionsvertrag nicht sofort wieder eingesetzt werden soll, bleibt der Personalmangel in der Truppe ein Thema.
Vor wenigen Wochen war der 31-jährige Soldat und Content Creator David Matei zu Gast im Panel bei "Hart aber Fair". Matei ist nicht nur aktiver Soldat, sondern auch Influencer. Er will das Thema Sicherheitspolitik näher an Gen Z bringen.
In der Talkshow sagte er, dass die Bundeswehr Macken, Herausforderungen und Probleme habe, "die wir angehen müssen. Aber für mich ist Deutschland eine der erfolgreichsten Demokratien unserer Zeit. Deutschland ist es wert!"
Euronews hat sich mit dem 31-Jährigen über seinen Werdegang unterhalten. Kann man mit Influencing Brücken zwischen jungen Menschen und der Bundeswehr bauen?
Euronews: Wir sind ungefähr im selben Alter, ich hatte in meiner Jugend keinerlei Bezug zur Bundeswehr. Wie kam es, dass du dich mit 18 entschieden hast, zur Armee zu gehen?
Es gibt Fotos von mir aus der vierten Klasse, auf denen ich komplett in Flecktarn gekleidet bin: Flecktarn-Chucks, grüner Rucksack, wasserstoffblonde Haare und in der Hand eine Softair-Pistole, mit der ich militärisch grüße. Damals war es einfach cool, mit den Jungs in den Wald zu gehen, zu spielen und so zu tun, als wären wir Soldaten. Mit der Pubertät hat sich das dann gelegt.
Einen persönlichen oder auch familiären Bezug zur Bundeswehr hatte ich nie. Mein Papa musste in Rumänien wegen des Warschauer Pakts Wehrdienst leisten. Er hat oft von dieser Zeit erzählt, von der Schikane, die er erleben musste: wie er mit der Zahnbürste den Boden schrubben musste, die klassischen Demütigungen, die man aus Filmen oder Erzählungen kennt. Diese Geschichten haben bei mir ein negatives Bild vom Militärdienst hinterlassen.
Mit 18 wusste ich nicht einmal genau, was die Wehrpflicht überhaupt ist. Bis dann dieser Brief von der Bundeswehr kam. Plötzlich musste ich mich zum ersten Mal mit dem Thema auseinandersetzen.
Und es ging mir wie allen Jungs aus meiner Stuhlreihe ganz hinten im Klassenzimmer. Wir hatten alle diesen Brief bekommen und wir waren uns alle einig: Wir wollten selbst entscheiden, was wir nach der Schule machen. Wir wollten nicht, dass uns jemand etwas vorschreibt. Es war dieses ganz grundlegende Gefühl: Wenn man zu etwas gezwungen wird, dann will man es automatisch nicht. Und dieses Gefühl sehe ich auch heute noch oft bei jungen Leuten und habe dafür großes Verständnis.
Die anderen Jungs wussten längst, was sie nach dem Abi machen wollten, ich nicht. Also habe ich mir diesen Flyer von der Bundeswehr noch mal angeschaut. Den hatte ich vorher mit Händen und Füßen abgelehnt, sogar dort angerufen und gesagt: "Ich kann nicht, ich hab einen eingewachsenen Zehennagel, ich will nicht, es passt einfach nicht!"
Aber dann lag er da wieder, dieser Flyer. Und wenn ich ehrlich bin: Das Erste, was mich angesprochen hat, war die Gehaltstabelle. Das Zweite war dieses diffuse Gefühl von Abenteuer, etwas machen, herauskommen, weg von zu Hause. Ich habe also noch mal beim Kreiswehrersatzamt angerufen, gesagt: "Hey, der Zehennagel wächst wieder gerade. Habt ihr nicht doch eine Verwendung für mich?"
Dann ging’s zur Musterung. Ich wollte zu den Gebirgsjägern. Das war jedoch gar nicht so einfach, und ich musste mich regelrecht rein schummeln. Damals war ich dünn und ein Emo durch und durch: lange, pechschwarz gefärbte Haare, jeden Tag geglättet mit einem 20-Euro-Glätteisen von Müller, zehn Kilo Haarspray, Kajal.
Mitten in der Musterung bin ich nur in Unterhose durchs Kreiswehrersatzamt aufs Klo gerannt, hab mich an den Wasserhahn gehängt und so viel getrunken, bis ich Bauchschmerzen hatte. Dann schnell zurück zur Truppenärztin, auf die Waage, die nur sagte: "Sorry, immer noch ein halbes Kilo zu wenig."
Ich habe sie dann gefragt: "Können wir da nicht irgendwas machen? Gibt es nicht eine Ausnahmegenehmigung?" Sie meinte, dass ich ihr versprechen muss, Sport zu machen und ordentlich zu essen. Also wurde ich T2 gemustert, nicht die beste Einstufung, das wäre T1 gewesen, aber immerhin.
Damit habe ich dann auch den Platz bei den Gebirgsjägern bekommen und mich dann für neun Monate verpflichtet. Mein geringes Gewicht hat sich natürlich direkt bemerkbar gemacht. Um mich herum nur große, kräftige Soldaten, und ich, wie in einem schlechten Hollywoodfilm, hechelte als Einzige hinter der Formation her. Der Anfang war für mich ziemlich hart. Aber irgendwann hatte ich dann meinen kleinen "Glow-up", und es hat angefangen, Spaß zu machen.
Neben der Gebirgsjägerausbildung hatten wir schon in der Grundausbildung viel politische und ethische Bildung. Besonders intensiv haben wir uns mit dem Soldateneid beschäftigt, der Treue zur Bundesrepublik und dem Auftrag, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Natürlich war die Ausbildung im Gebirge anstrengend und spannend, aber zu wissen, dass das Ganze einen höheren Sinn hat, nämlich für unser Land, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, hat mir nochmal eine ganz andere Motivation gegeben.
Letztlich hat mich das dazu gebracht, auf 15 Jahre zu verlängern. Ich sage immer: Ich bin fürs Geld gekommen, geblieben bin ich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Euronews: Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine war, meines Erachtens, die Bundeswehr für viele junge Menschen negativ besetzt. Wie haben dein Freundeskreis und deine Familie reagiert, als du dich für 15 Jahre verpflichtet hast?
Mein Umfeld hat das am Anfang nur am Rande mitbekommen. Als in den letzten Wochen meiner Schulzeit herauskam, dass ich zur Bundeswehr gehe und dann auch noch zu den Gebirgsjägern, konnten das viele nicht glauben. Die haben gesagt: "Du hältst da keine drei Tage durch. Bei den Gebirgsjägern sind doch nur die Elite! Was willst du da mit langen schwarzen Haaren und Skinny Jeans?"
Mein Jahrgangsstufenleiter hat vor der ganzen Klasse gesagt, ich würde nach drei Tagen heulend zu meiner Mutter zurückrennen. Das hat sich eingebrannt. Später, als ich in der Grundausbildung mal kurz vor dem Aufgeben war, habe ich mich oft daran erinnert. Das hat mich angespornt.
Was die gesellschaftliche Wahrnehmung angeht: Als ich mit 18 oder 21 in den USA war, wurde ich als deutscher Soldat fast freundlicher behandelt als in Deutschland selbst. In Bars wurde ich angesprochen: "Thanks for your service." Bei einem dienstlichen Aufenthalt waren wir im Dienstanzug am Times Square unterwegs und ständig kamen Leute, um sich zu bedanken, sogar Polizisten wollten Fotos mit uns machen.
Das hat mich beeindruckt. Natürlich wünsche ich mir manchmal diese Wertschätzung auch hierzulande. Gleichzeitig finde ich es gut, dass man in einer Demokratie wie Deutschland kritisch mit den Streitkräften umgeht. Dafür gibt es ja den Parlamentsvorbehalt, oder die Wehrbeauftragte. Aber es hat sich viel verändert, gerade seit Beginn der großangelegten russischen Invasion im Jahr 2022.
Die Wehrbeauftragte hat in ihrem aktuellen Bericht formuliert: Wir sind von einem "freundlichen Desinteresse" hin zu einer "interessierten Freundlichkeit" gekommen.
Ich merke das auch im Alltag. Früher dachte ich, wenn jemand hupt, während ich in Uniform unterwegs bin: Oje. Heute ist es oft ein Daumen hoch, ein Lächeln, ein Nicken. Kürzlich hat sogar jemand an der Ampel an mein Fenster geklopft, um sich für meinen Dienst zu bedanken. Ich war erst irritiert, aber es war einfach nett.
Die Älteren sagen oft: "Ich war auch Soldat", erzählen dann von ihrer Wehrpflichtzeit, vom Kalten Krieg. Auch bei den Jüngeren nehme ich ein echtes Interesse wahr, gerade, weil sie keine eigenen Berührungspunkte mehr haben. Die kennen im Freundeskreis kaum jemanden von der Bundeswehr. Dann kommt: "Ach krass, du bist bei der Bundeswehr? Was machst du da eigentlich den ganzen Tag?"
Die Älteren erzählen meist von sich. Die Jüngeren stellen Fragen. Deshalb mache ich ja auch Content Creation, um diese Lücke zu schließen.
Euronews: Was müsste passieren, damit dieser Kontakt zur Gesellschaft breiter wird?
Es tut sich schon einiges. Das Bahnfahren in Uniform hat geholfen. Während Corona waren wir in Pflegeheimen, haben bei Tests an Grenzen oder in Ämtern geholfen. Bei starkem Schneefall haben wir Dächer geräumt, da, wo die Feuerwehr nicht mehr hinkam.
Bei den Gelöbnissen gehen Soldaten und Soldatinnen inzwischen bewusst raus in die Öffentlichkeit, legen den Eid nicht mehr hinter den Kasernenmauern ab.
Also da passiert gerade wirklich viel, vor allem jetzt mit dem Veteranentag, der dieses Jahr zum ersten Mal eingeführt wurde. Da ist man wirklich auf einem guten Weg, die Bundeswehr wieder sichtbarer zu machen. Das Thema bewegt die Menschen ohnehin. Ich sehe zurzeit mehr Soldaten in Uniform und Generäle in Talkshows als je zuvor.
Euronews: Hast du dir als Soldat jemals Gedanken gemacht, ob du die Bundeswehr verlässt und in die Ukraine gehst? Es gibt ja die Fremdenlegion und viele ausländische Soldaten haben sich ja seit 2022 auch ukrainischen Einheiten angeschlossen.
Als aktiver Soldat der Bundeswehr ist es für mich keine Option, in einer anderen Armee zu kämpfen – darüber habe ich nie konkret nachgedacht.
Ich spreche viel mit ukrainischen Soldaten. Vor zwei Wochen war ich bei einem Projekt mit dem britischen Verteidigungsministerium eingeladen als Content Creator. Ich durfte mir ansehen, wie im Rahmen der Operation Interflex ukrainische Rekruten außerhalb der Ukraine ausgebildet werden. Das ist die größte Ausbildungsmission für Ukrainer seit 2022, über 50.000 Soldaten wurden bisher geschult.
Ich habe dort lange mit einem 25-jährigen Ukrainer gesprochen, über seine Erfahrungen, darüber, ob er freiwillig hier ist, wie er das Ganze erlebt. Er hatte nur 50 Tage Ausbildung, bevor er an die Front sollte. Das war für mich sehr emotional. Allein der Gedanke, dass er nächste Woche im Ernstfall eingesetzt wird, dass er sterben könnte.
Als jemand, der sieben Jahre lang Offizierausbildung gemacht hat, ist das ein krasser Vergleich. Dieser junge Mann war vorher Informatiker, wird in wenigen Wochen zum Soldaten ausgebildet und soll dann kämpfen. Ich habe mich gefragt: Wie fühlt er sich? Und was macht das mit mir: Bin ich als Soldat, der nie im Krieg war, weniger wert?
Und dann kommt man natürlich zu dem, was auch unser Verteidigungsminister sagt: Die Bundeswehr soll kriegstauglich sein, um niemals Krieg führen zu müssen. Also dieser Gedanke der Abschreckung. Auch wenn ich nie eingesetzt werde, leiste ich durch meine bloße Existenz als Soldat einen Beitrag zur Abschreckung und damit vielleicht zur Vermeidung eines Kriegs.
Aber natürlich ist es etwas völlig anderes, persönlich mit Soldaten zu sprechen, die aktiv an der Front sind, freiwillig oder nicht, und für ihr Land kämpfen. Das macht emotional viel mit mir.
Euronews: Würdest du, wenn du heute noch einmal 18 wärst, dich in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage erneut für die Bundeswehr entscheiden?
Ich würde mich sofort wieder für die Bundeswehr entscheiden. Vielleicht würde ich heute eine andere Laufbahn wählen, ich habe vieles über die Bundeswehr erst gelernt, als ich schon drin war. Was mich in Bezug auf die Ukraine sehr beschäftigt, ist die Drohnenthematik.
Diese Videos, in denen Drohnen sich gezielt auf junge Menschen stürzen und auf Hüfthöhe explodieren, sind schockierend. Als Infanterieoffizier wäre ich im Ernstfall genau dort unterwegs, abgesessen, verletzlich. Diese Bilder erschüttern mich, sie machen mir Angst.
Wenn ich die Wahl noch einmal hätte, wäre ich wahrscheinlich zur Luftwaffe gegangen. Mich hat die Zusammenarbeit mit denen sehr beeindruckt. Pilot zu werden, zum Beispiel im Kampfjet, wäre für mich in einem anderen Leben eine sehr reizvolle Option gewesen.
Euronews: Vor ein paar Wochen warst du bei “Hart aber Fair” und hast über das Thema Wehrpflicht geredet. Wie hast du die Reaktionen nach deinem Auftritt wahrgenommen, insbesondere auf den sozialen Medien?
Die Reaktionen waren sehr polarisierend, es war sowohl positives, als auch negatives Feedback dabei.
Ich werde von beiden Seiten beschimpft oder beleidigt, sowohl als Nazi oder Kriegstreiber. Ein Kommentar sagte zum Beispiel: "Du bist super nett, schade, dass du so eine linksgrün versiffte Socke bist." Ich bekomme wirklich alle möglichen Reaktionen, vom "Putin Boy" bis hin zum Kriegstreiber.
Da nehme ich alles mit, und für mich ist das ein Zeichen, wenn ich von beiden Seiten kritisiert werde, dann habe ich genau das erreicht, was ich mir vorgenommen habe: neutral und kontrovers über diese Themen zu sprechen. Es ist nicht meine Absicht, meine eigene Meinung in den Raum zu werfen, sondern über Sicherheitspolitik aufzuklären.
In Uniform sehen wir alle gleich aus, aber hinter der Uniform steckt ein Mensch mit einer eigenen Persönlichkeit. Das war für mich immer das Spannende an der Bundeswehr. Ich komme aus einem kleinen Dorf, behütet aufgewachsen, ging aufs Gymnasium und dann in die Bundeswehr.
Dort habe ich viele verschiedene Menschen getroffen, Handwerker, Akademiker – mit denen ich vorher nie zu tun hatte. Die Bundeswehr hat mir gezeigt, wie vielfältig Menschen sein können, auch wenn sie in derselben Uniform stecken.
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