Charli XCXs "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" - Das Euronews Kultur Urteil
Der "Brat Summer" ist zwar vorbei; dennoch gibt es Grund zur Freude für Charli XCX-Fans.
Heute erscheint "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat", ein Remix-Doppelalbum, auf dem der britische Popstar sein Hitalbum mit einer ganzen Reihe von Stars wie Billie Eilish, Bon Iver, Lorde, Troye Sivan, Robyn und vielen anderen neu auflegt.
Genauso wie ich mit den Augen gerollt habe, als eine Deluxe-Edition mit dem Titel "Brat And It's The Same But There's Three More Songs So It's Not" auf den Markt kam, hat mich der Gedanke an eine dritte Auflage so sehr erschaudern lassen, dass ich kurzzeitig Bauchschmerzen hatte.
Es gab bereits eine Wiederveröffentlichung, was zu einem der Dinge beiträgt, die ich am meisten hasse, wenn LPs es schaffen, den Zeitgeist einzufangen: Gierige Plattenfirmen treiben es zu weit und überhäufen die Fans mit weiteren Veröffentlichungen, um sie dazu zu bringen, noch mehr von ihrem hart verdienten Geld auszugeben, weil sie unbedingt diese drei zusätzlichen Songs haben wollen, die eigentlich schon auf dem ersten Album hätten sein sollen.
So sehr ich auch den Club-Vibe von "Brat 1.0" (wie ich es jetzt angesichts der wachsenden Zahl der veröffentlichten Versionen umtaufen musste) geliebt habe und beeindruckt war, wie es plötzlich zu einem kulturellen Eckpfeiler wurde, der einen kollektiven Stimmungswandel mit sich brachte, konnte ich nicht anders, als mich über diesen neuen und übertriebenen Marketing-Unsinn zu ärgern. Es wirkt unaufrichtig und schamlos taktisch.
Außerdem war ich schon immer misstrauisch gegenüber Remix-Alben. Nicht, dass ich mich unbedingt an die strenge, aber romantische Regel halte, dass der Originalmix der beste ist. So beweist Yeah Yeah Yeahs' "Heads Will Roll (A-Trak Remix)" zum Beispiel, dass ein Originalstück übertroffen werden kann. Für mich jedoch wirken komplette Remix-LPs eher wie kommerzieller Opportunismus als künstlerische Bemühungen, ein gewinnorientiertes Kalkül, das großartige Songs zu blassen Imitationen umrüstet, die die emotionale Wirkung der Musik verändern.
Zugegeben, es gibt Ausnahmen von jeder Regel, Anomalien, die tatsächlich einen künstlerischen Mehrwert haben und eine unterhaltsame neue Perspektive auf das Album werfen. Diese Ausnahmen kann ich an einer Hand abzählen.
Massive Attack vs. Mad Professors '"No Protection"; The B-52s "Party Mix!"; Philip Glass "Rework"; Aphex Twins frech betiteltes "26 Mixes for Cash"; und Björks "Telegram" (bis zu einem gewissen Punkt)... Sie alle haben sich dem Trend widersetzt. Und bevor sich jemand aufregt: Madlibs "Shades of Blue", Danger Mouses "The Grey Album" und Jay-Z/Linkin Parks "Collison Course" zählen nicht in dieselbe Kategorie. Bei den ersten beiden remixte ein Künstler das Werk eines anderen, während es sich bei der dritten um eine kollaborative EP handelte, die absolut umwerfend ist.
Abgesehen von diesen Beispielen kann ich alle anderen Remix-Alben in die Kategorie hastig zusammengeschustertes/kapitalistisches Gimmick einordnen.
Das bringt uns zurück zu Charli XCX. Ich versichere euch, dass ich unvoreingenommen bleibe. Das neue "Guess" mit Billie Eilish gefällt mir bereits sehr gut. Vielleicht muss ich anfangen, die Remix-Alben, die die Diskografie eines Künstlers würdig ergänzen, an beiden Händen abzuzählen?
Ich hoffe, das ist der Fall und es handelt sich nicht nur um die zynische Geldmacherei, die ich befürchte. Ich gehe jetzt los und höre es mir an. Ich überlasse euch in den sicheren Händen meines Kollegen Jonny, der "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" bereits ein paar Mal gehört hat und uns seine Meinung dazu mitteilt.
Grumpy David, raus.
Und Jonny rein!
Als ich im Juni die Rezension zu Charli XCXs "Brat" schrieb, gab es einen Moment, in dem ich mir - wie viele Musikjournalist:innen - sicher war, dass das Album einen großen kulturellen Einfluss haben würde. Es war die perfekte Kombination aus Zeitgeist und wirklich einnehmenden Partyhymnen. "Brat" war immer das Album des Sommers. Es war mit Sicherheit das Album meines Sommers. Meine Lunge kann das bestätigen. Bei der Manchester Pride in diesem Jahr haben ein Freund und ich gezählt, wer mehr gespielt wurde: XCX oder Chappell Roan, die andere Künstlerin des Sommers.
Interessanterweise wurden in den vielen Clubs, in denen ich "Brat"-Songs gehört habe, diese selten verändert. Die DJs erkannten die Unmittelbarkeit von Tracks wie "365" und "Von Dutch" und ihr Tanzflächen-Potenzial. Sie brauchten keine Minimal-House-Remixe, sie waren wie geschaffen für den Dancefloor.
Nach dieser Logik erscheint ein Remix-Album von Charli XCX selbst gar nicht so notwendig. Wenn die Listen für das Album des Jahres kommen, weiß ich schon jetzt, dass ich "Brat" an die Spitze setzen werde. Bleibt eine Frage offen. Stellt "Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" eine echte Weiterentwicklung des Originals dar, oder ist es nur Geldmacherei?
In vielerlei Hinsicht ist es weder das eine noch das andere.
Nur selten wurden die Beats verändert, um sie treibender zu machen. XCX fügt eher Hall hinzu, um die Tracks zu verwaschen, als sie mit den Techno-Beats zu kombinieren, die das Rave-inspirierte Album brillant genutzt hat. "Von Dutch", die aggressivste Single des Albums, wurde von ihrem langjährigen Produktionspartner A.G. Cook neu abgemischt und mit TikTok-Popstar Addison Rae eingesungen. Der Effekt neutralisiert die Giftigkeit des Originals.
Das ist aber nicht das, was XCX anstrebt. Es handelt sich nicht um ein Remix-Album im herkömmlichen Sinne. Es ist eine Gelegenheit, mit Künstler:innen zusammenzuarbeiten, um diesen Songs einen neuen Kniff zu verleihen. Myriaden von Künstler:innen sind auf dem Album vertreten, von offensichtlichen Favoriten wie Lorde und Troye Sivan über große Pop-Namen wie Ariana Grande und Billie Eilish bis hin zu wirklich überraschenden Künstlern wie Julian Casablancas und Robyn.
Die Songs lassen sich in drei Kategorien einteilen: clubtaugliche Remixe, alternative Versionen, die das Feature aufgreifen, und reduzierte Neuinterpretationen.
Auf "Club Classics" interpoliert Charli XCX die Originalversion von "365", ein ironischer Shoutout an sich selbst, während sie gleichzeitig den Schwung des Songs zugunsten eines übermächtigen Beats eintauscht. Das kommt einem traditionellen Remix am nächsten, was zwar erfrischend ist, aber einfach nichts wirklich Bemerkenswertes ergibt.
Ein besseres Beispiel für den Remix-Stil ist "Talk Talk". Troye Sivan, mit dem XCX derzeit gemeinsam auf Tournee ist, ist hier zu hören. Sivans schräger Pop passt perfekt zu XCXs "Brat"-Ästhetik und der Song fühlt sich an wie ein echtes Duett zwischen den beiden Stilen, das aus einem der schwächeren Tracks des Originalalbums einen der stärksten macht.
"Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" grenzt dann an Langweiligkeit, wenn Tracks scheinbar nur dazu dienen, zu zeigen, welche Stars Charli XCX ins Studio locken kann. Ariana Grande trägt nichts zu "Sympathy Is A Knife" bei, da ihre Strophe das Thema Bestrafung durch die begrenzte Linse der Eitelkeit diskutiert, während die neue höhere Energie des Tracks von seinen einst wirklich bissigen Texten ablenkt.
Auf der anderen Seite brauchen Tracks wie "Everything Is Romantic" nicht unbedingt Caroline Polacheks Mitwirkung, aber ihre Ergänzung mit frechen Zeilen wie "Free bleeding in the autumn rain", die mit einem Augenzwinkern auf das Original verweisen, und Polacheks ikonisches Trällern schaffen es, den Song auf ein neues Niveau zu heben.
Als Fan der ruhigeren Tracks auf "Brat" sind einige der erfrischendsten Momente die, in denen XCX sich von traditionellen Remixen fernhält. "I Might Say Something" war schon immer ein nachdenklicher Slow-Burn-Song, aber mit Jon Hopkins neoklassischem, minimalistischem Ansatz wurde das auf die Spitze getrieben. Matty Healy von The 1975 steuert eine Strophe bei, die mit seinem typischen Spiel zwischen Toilettenhumor und Ernsthaftigkeit in das Katergefühl des Songs passt, während die beiden über ihre Ängste nachdenken. Zumindest hat XCX das Unmögliche möglich gemacht und Healy nicht unausstehlich wirken lassen.
Erst am Ende des Albums bekommen wir die Art von EDM-Einflüssen, die ein traditionelles Remix-Album braucht. Die Aufnahme von Shygirl macht "365" nicht wirklich besser und lässt den Abschluss des Originals trotz des tieferen Basses etwas weniger frech wirken. Das ist aber nicht mehr der Schlusspunkt. Jetzt ist es der Bonustrack "Guess" mit Billie Eilish im Schlepptau. Eilish fügt dem Track einen wohltuenden Sound hinzu, der das tiefe Pochen der neuen Bassline unterstützt und das Album würdevoll beendet. Während Eilish verführerisch auf XCXs Gesang antwortet, wird man in eine Welt der glorreichen sapphischen Dekadenz entführt.
Wenn nur das ganze Album so gut wäre.
"Brat And It's Completely Different But Also Still Brat" ist ab sofort erhältlich.