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EU – ja oder nein? Die Republik Moldau vor einer Entscheidung

• Sep 30, 2024, 3:30 PM
55 min de lecture

Sonnenblumenfelder soweit das Auge reicht. Mit dem Lineal gezogene Landstraßen, die sich am Horizont verlieren. Bunt bemalte Eisengitter vor bunt bemalten Dorfkaten. Die Republik Moldau kann wunderschön sein, ganz ohne Kitsch. Doch die Idylle auf dem flachen Land täuscht. Nein, die Menschen hier sind sich nicht einig darüber, wohin der Weg führen soll. Schnellstmöglich in die Europäische Union? Oder doch Weitermachen mit dem langjährig geübten Sich-Raushalten und Auf-der-Stelle-Treten?

Sicher, eine mehr oder weniger stabile Mehrheit spricht sich für einen Beitritt der Republik Moldau zur Europäischen Union aus. Doch es ist eine knappe Mehrheit. Und sie schwankt, je nachdem, welches Umfrage-Institut, welches Medium sie in in welcher Gegend des Landes durchgeführt hat. Und Russland investiert Millionensummen in Desinformations- und Destabilisierungs-Kampagnen, um das Stimmungsbild in dem kleinen Land doch noch zu drehen.

Derzeit regiert ein pro-europäisches Team in der Hauptstadt Chișinău:. Die Erfolge der Regierung sind beeindruckend: in Rekordzeit konnte den geopolitisch meist vorsichtigen EU-Hauptstädten das Angebot zum Beginn von Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union abgerungen werden. Keine Selbstverständlichkeit dies, aber ein echtes Zeichen europäischer Solidarität mit einem Land, das durch Pandemie, langjähriger Oligarchen-Korruption, Ostalgie, Armut und durch den Krieg im Nachbarland Ukraine schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde - und wird.

Die politische Landschaft Moldawiens ist teilweise immer noch gebildet aus politischen Sümpfen, historischem Sowjet-Geröll in manchen Köpfen… aber auch aus einem Wilden Westen voller Unternehmergeist und Aufbruchstimmung – und einem Wilden Osten voller undurchsichtiger Oligarchen und russischer Soldaten. Mal anders gesagt: Moldau ist verdammt spannend. Und: Ein Land der Widersprüche – denn im Osten findet sich gelegentlich auch eine Prise Westen, und im Westen ganz schön viel Osten. Verwirrend? Nein! Cool.

Kann Moldau EU-Wirtschaft? Die Suche nach Antworten vor Ort

In meinen Rucksack habe ich für diese Recherche aus einem geteilten Land nicht nur den üblichen Elektro-, Ton-, Licht- und Kleinkamera-Krempel gepackt (drückt ganz schön auf die Schultern!), sondern auch eine Leitfrage: Ist Moldaus Wirtschaft wirklich fit für einen EU-Beitritt? Wobei ich meine Antworten nicht im Statistikbüro der Regierung gesucht habe, sondern direkt vor Ort, bei Arbeitern und Fabrikdirektoren, bei Kleinunternehmern und – warum nicht – bei auf der Straße gemachten Zufallsbekanntschaften.

Hereinspaziert! Hereinspaziert! Die Vorstellung beginnt! Im Programm: Bärtige Inder an Abfüllanlagen für moldawisches Bio-Öl! Betagte Ladies im Russland-Rausch! Ein falscher Minister, dem meine Hose missfällt! Ein echter Minister mit einem blöden Schnupfen! Eine nette Weberin voller Europa-Enthusiasmus! Ein heimwehkranker Manager! Ebenfalls mit dabei: Gabelstaplerfahrer Sergei, Super-Stefan und ein Schatten… (Warnhinweis des Autors: Lieber Leser, eine Reportage ist immer subjektiv, sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und – wichtig! – kann nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit zeigen. Aber immerhin: Wirklichkeit so wie sie ist.)

Besuch in Ungheni - Hochburg der Textil- und Lederwarenindustrie.
Besuch in Ungheni - Hochburg der Textil- und Lederwarenindustrie. Euronews

Im Osten weht die Separatistenflagge... Grund genug, sich das für Tag 3 aufzuheben und erst einmal ganz im Westen zu beginnen! In Ungheni, gleich neben der Grenze zu Rumänien, schaukelt – in der lauen Spätsommerbrise gerade etwas schlaff – die Europafahne neben der offiziellen moldauischen Staatsflagge vor Häusern, Geschäften, Betrieben, Fabriken. Auch vor der imposanten Fassade von Covoare.

Teil 1: Solide Textil- und Lederwarenindustrie auf Export orientiert

Die Stadt Ungheni ist im Westen der Republik Moldau so etwas wie ein Kompetenz-Zentrum für die Textil- und Lederwarenindustrie. Covoare – eine Teppichfabrik – ist nur ein Betrieb neben vielen anderen: solider Heimatmarkt, gleichzeitig aber auch (und mit Erfolg) exportorientiert – und dank neuer Technik und modernster Vertriebsmethoden auf eine Weise innovativ, von der sich mancher deutsche oder französische Betrieb eine Scheibe abschneiden könnte.

Die Teppichfabrik wurde gebaut, als Moldau noch Teil der Sowjetunion war. Covoare belieferte das gesamte Sowjet-Imperium mit Teppichen, Läufern, Auslegware, Bodenbedeckungen jeder Art. Noch heute sind die Außenwände der Fabrik im Maxi-Format mit gigantischen Mosaiken bedeckt. Sie zeigen fröhliche Arbeiter und Arbeiterinnen mit, klar, Teppichen: geschickt gesetzte Muster, Freude an der Arbeit, Kreativität – eigentlich nicht schlecht, das Riesen-Mosaik.

“Vermutlich eines der größten sowjetischen Wandmosaike hier in der Gegend”, meint Ghenadie Podgornii, einer der Manager, der mich am Eingang in Empfang nimmt. Der Mann wirkt auf angenehme Weise unkompliziert. Hätte er statt T-Shirt ein Hemd an, könnte man ihn wohl als hemdsärmlig bezeichnen, ein freundlichere Macher, der anpacken kann, den Durchblick hat – und eine Tätowierung auf dem Arm.

Über 2000 Menschen arbeiteten zu Sowjetzeiten hier. Heute sind es nur noch 150.

Über 2000 Menschen arbeiteten zu Sowjetzeiten hier. 1999 nur noch die Hälfte, etwa 1000. Vor 20 Jahren waren es 700. Heute sind es nur noch 150. Das ist schon bitter für eine Region, die stolz darauf ist, eine Hochburg der Textilindustrie zu sein. Sicher, die damalige Produktivität lässt sich mit der heutigen nicht vergleichen (daher die Überbelegschaft zu Sowjetzeiten). Heute gibt es andere Arbeitsabläufe, perfektionierte Maschinen… Und dennoch: In den inzwischen privatisierten Riesenhallen im Halbdunkel wirken die wenigen Arbeiter in ihren vereinzelten Lichtinseln um Fließbänder und Arbeitstische etwas verloren.

Doch die frohe Botschaft lautet: Es gibt die Textilfabrik noch! Sie ist keine Industrieruine, wie ich in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten meiner Euronews-Reportagen quer durch Mittel- und Osteuropa so viele gesehen habe. Nein, hier drohen die Wände nicht einzustürzen. Nein, hier regnet es nicht durch das Dach. Nein, hier räumen keine Metalldiebe die letzten Maschinenreste weg. Ganz im Gegenteil: Hier hat ein Team aus hartnäckigen Arbeitern und Managern einen Weg gefunden, sich mit harter Arbeit, einem unglaublichen Gespür für Moden und Trends, mit einer bewundernswerten Neugierde und Offenheit für neue Märkte einen Platz auf dem Weltmarkt, eine betriebliche Überlebenschance zu sichern. 

Zu Besuch in der Teppich-Fabrik in Covoare.
Zu Besuch in der Teppich-Fabrik in Covoare. Euronews

Einfach war das nicht. Da bricht zuerst die Sowjetunion zusammen – und damit der wichtigste Absatzmarkt weg. Dann die Wirren der 90er Jahre. Obendrauf eine politische chaotische Situation in der Hauptstadt Chișinău: Mal dies, mal das, mal pro-Russland, mal pro-EU, ein dauerndes Hin und Her. Wer will da noch Handel treiben mit einer Teppichfabrik aus so einem Land? Stabilität ist eben kein hohles Wort, kein abstrakter Begriff. Nein, hier geht es um Vertrauen, wer kauft bei wem und wo, zu welchen Konditionen – und funktioniert das alles noch in zwei Tagen? Wenn dann auch noch eine Pandemie zuschlägt und kurz darauf eine Energiepreiskrise plus Krieg im Nachbarland, dann stehen eigentlich alle Zeichen auf rot, in so einer Teppichfabrik. Es stellt sich die Frage: Schaffen wird das?

Ja, sie haben es geschafft! Und heute hoffen Arbeiter und Direktoren, dass es mit dem in Aussicht gestellten Beitritt Moldaus zur Europäischen Union auch bei ihnen in der Fabrik wieder aufwärts geht. Einen ersten Schub gab es bereits vor einem Jahrzehnt: Das Nachbarschaftsabkommen Moldaus mit der EU führte dazu, dass der Handel mit europäischen Kunden sehr viel einfacher wurde.

Für uns dieser Beitrittsprozess, um EU-Mitglied zu werden, eine gute Gelegenheit, diese ganze Bürokratie loszuwerden.
Ghenadie Podgornii
Betriebsleiter Covoare

Ghenadie Podgornii ist der technische Direktor von Covoare. Mit ihm kann ich mich problemlos auf Italienisch unterhalten, hat er doch lange Zeit im EU-Süden gelebt. Fürs Interview schalten wir dann wiederum auf Rumänisch: "Für uns und unsere Fabrik ist dieser Beitrittsprozess, um Mitglied der Europäischen Union zu werden, eine gute Gelegenheit, diese ganze (Export-/Import-) Bürokratie loszuwerden", meint Podgornii ohne lange nachzudenken. Für ihn bedeuten EU und Europäischer Binnenmarkt: weniger Papierkram, weniger Theater mit Zollbehörden. Oder positiv formuliert: Der Traum vom unbegrenzten Marktzugang garantiert freien Warenverkehr – einer der Grundpfeiler der EU. Und für Leute wie Podgornii ist das kein philosophisches Blabla, nein, es ist was es ist, nämlich eine ganze Menge gesparter Zeit, gesparter Kosten, gesparter Nerven. Handfeste Vorteile, die sich messen lassen, auf Heller und Pfennig, oder sagen wir es etwas zeitgemäßer, auf Euro und Cent.

Seine Kollegin aus der Finanzabteilung hat zugehört und nickt. Aliona Tiuticov schaltet sich in das Gespräch ein: "Ja, stimmt", meint die Finanzdirektorin von Covoare. "Und außerdem verbessert sich (als EU-Mitglied) unser Image. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist ein echter Mehrwert."

Ghenadie Podgornii und Aliona Tiuticov denken, dass die EU-Mitgliedschaft Moldaus ihrem Betrieb zugute kommen würde.
Ghenadie Podgornii und Aliona Tiuticov denken, dass die EU-Mitgliedschaft Moldaus ihrem Betrieb zugute kommen würde. Euronews

Wir gehen vorbei an alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus den 80ern. Früher, in der Übergangsphase nach Zusammenbruch der Sowjetunion, gingen 70 Prozent aller Teppich-Ausfuhren weiterhin in ehemalige SU-Regionen, wenn auch in geringerem Umfang. Das hat sich geändert: Heute gehen rund 70 Prozent der Ausfuhren in die EU, nach Rumänien, Deutschland, Polen, die Niederlande, das Baltikum, Skandinavien.

Doch die Frauen und Männer von Covoare haben ihre Lektion gelernt: Suche Deine Kunden überall, auf der ganzen Welt. So gehören mittlerweile auch Japan, Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kasachstan zu den Abnehmern. Das Rohmaterial beziehen die Moldauer Teppichweber aus Neuseeland, der Türkei, Deutschland, Großbritannien, Indien und Bangladesch. Globalisierung und offene Märkte gelten hier in Moldau nicht als Bedrohung, sondern als Chance und Rettungsanker, lerne ich bei den Teppichfabrikanten von Ungheni.

Was sagen die Arbeiterinnen und Arbeiter zur EU-Idee?

Und die Belegschaft? Was halten die Arbeiter von der Europäischen Union? Ich sehe mich mal um in der Fabrik. Witzig, wie in den gigantischen Webstühlen die Fäden abspulen, sich Webmuster in ein mechanisches Ballett verwandeln. Dann ist auf einmal alles still. Maria hat den Knopf gedrückt. Die blonde Frau mit den Lachfältchen um die Augen schwingt sich unter den Fadenfächer der Maschine, greift gezielt hierhin, dorthin, hakt aus und ein. Dann flink wieder hoch über eine kleine Treppe auf den Webstuhl (ein Riesending!), erneut drückt sie den Knopf – und die stampfende, klopfende Polyphonie der Geburt eines neuen Prachtteppichs beginnt erneut.

Dann werden unsere Gehälter steigen.
Maria
Mitarbeiterin Covoare

 "Ja doch, der Europäischen Union beizutreten ist was Gutes", sagt Maria, immer einen wachen Blick auf das für mich unergründliche Wunder der tanzenden Webfäden gerichtet, "denn dann werden unsere Gehälter steigen." – Auch Andrei, einer der Arbeiter, teilt diese Auffassung: "Ich glaube, die Gehälter werden steigen und die Exporte auch." Zusammen mit einem Kollegen schichtet er Teppichrollen in einen Container. "Wir werden mehr Waren nach Europa verkaufen können."

Aber eine der Vorarbeiterinnen, auch ihr Vorname lautet Maria, ist skeptisch: "In den Geschäften werden die Preise noch mehr steigen (wenn wir der EU beitreten), schon jetzt wird alles teurer. Die Preise in den Läden – das ist das Problem!" Sie hat wenig Zeit, die Arbeitsabläufe sind eng getaktet und sie hat alles gleichzeitig im Blick, Maschinen, Kolleginnen, das Fließband weiter drüben... da muss alles nahtlos ineinandergreifen. Und wenn es mal wo hakt, dann fällt auch mal ein harsches Wort, gehört halt mit dazu.

Doch die Mehrheit der Moldauer befürwortet einen EU-Beitritt. Schon heute hat Moldau Zugang zu EU-Förderprogrammen, so konnte die Teppich-Fabrik Photovoltaik-Module auf dem Dach montieren – und damit die Strom- und Betriebskosten senken.

Sergei nimmt mich mit auf eine Runde mit dem Gabelstapler quer durch die immensen Fabrikhallen. Der Elektroflitzer mit seiner Megabatterie ist ein echter Muskelprotz und unglaublich wendig, ich fühle mich wie beim Autoscooter-Fahren auf dem Jahrmarkt. Was hält Sergei von der ganzen Europa-Debatte? Schlechte Zeiten, gute Zeiten? Auf was läuft das hinaus, für die Arbeiter? Sergei formuliert vorsichtig und etwas zurückhaltend, doch mit Zuversicht: "Ich hoffe, dass (mit dem EU-Beitritt) bessere Zeiten anbrechen werden."

Gegen Konkurrenz: Auf Qualität setzen

Bis 2020 wurden hier in der Fabrik noch 3 Schichten gefahren, man arbeitete rund um die Uhr. Heute gibt es noch zwei Schichten – und keine Nachtarbeit mehr. Hat auch seine Vorteile, denke ich mir! Voll ausgelastet sind die Maschinen derzeit nicht. Bei voller Kapazität könnten vier Millionen Quadratmeter Top-Teppichware im Jahr produziert werden, bis 2015 ging das so. Heute sind es weniger.

Denn klar, risikolos ist der Sprung auf den Weltmarkt, in die freie Marktwirtschaft nicht. Da gibt es beispielsweise die Türkei, seufzen die Direktoren: "Die Konkurrenz wird härter." Der Verfall der türkischen Lira macht Teppiche aus der Türkei auf dem Weltmarkt halt billiger – da hilft aus moldawischer Sicht nur eines: Auf Qualität setzen ("denn wir sind besser…").

Eine der größten Umwälzungen setzte erst vor wenigen Jahren ein. Wurden traditionell Teppiche und Auslegware über Grossisten oder Geschäftsfilialen vertrieben, so hat das Internet nun auch diesen Wirtschaftszweig beschädigt - oder soll man sagen bereichert? Nun, zumindest radikal verändert, keine Frage. Doch die Moldauer lernten rasch um und begriffen: Teppiche lassen sich auch gut über Online-Handel und mit Amazon-Hilfe verkaufen. Für die Branche war das eine echte Revolution. Aber eine mit Risiken, denn ohne Grossisten fehlt die Stabilität, Betriebe sind den wechselhaften Launen und Fast-Fashion-Trends der Kunden viel direkter und brutaler ausgesetzt als zur Zeit der Grossisten und Filialen.

Ich bin neugierig geworden. Dieser Betriebsleiter, der hier den Laden am Laufen hält, was ist das für ein Mensch? Ghenadie Podgornii ist wirklich begeistert von seinem Beruf, das spüre ich.

Ich bin zurück nach Moldau gegangen, weil ich in meiner Heimat etwas erreichen wollte.
Ghenadie Podgornii
Betriebsleiter Covoare

Woher kommt die Motivation? "Ich habe zwölf Jahre in Italien gelebt und gearbeitet. Angefangen habe ich ganz unten, als einfacher Lagerarbeiter. Habe mich dann hochgearbeitet zum Geschäftsführer. Ich war wirklich erfolgreich, beruflich anerkannt. Und doch fehlte mir irgend etwas in Italien." - Heimweh? - "Ich bin zurück nach Moldau gegangen, weil ich in meiner Heimat etwas erreichen wollte – und weil ich hier eben zu Hause bin", meint Podgornii. Denn auch das gehört mit zu dieser Geschichte: Moldau hat sich gemausert zum Land der Möglichkeiten. Hier geht noch was. Hier sind die Dinge noch im Fluss. Hier kann man mit etwas Mut, Wissen, Können und einer kleinen oder großen Portion Glück noch wirklich etwas verändern, bewegen, aufbauen.

Nach der Energiepreiskrise zieht der Teppich-Export in die EU jetzt wieder an. Und mit einer ganzen Reihe technischer Verbesserungen, hat es der Betriebsleiter geschafft, die Effizienz der Anlage ganz wesentlich zu verbessern. Weniger Wasserverbrauch. Ein anderer Gaslieferant. Bezug des Rohmaterials direkt vom Erzeuger. Kaum noch Zwischenhändler. Verkleinerung der Produktionspalette. Weniger Kosten also: "Ich konnte die Produktionskosten um die Hälfte senken", zieht Podgornii stolz Bilanz.

Und dann ist da noch eine gute Nachricht: Das Unternehmen will 30 neue Mitarbeiter einstellen. Allerdings: Jetzt muss man die neuen Leute nur noch finden… was gar nicht so einfach ist, da viele Moldauer in Westeuropa arbeiten.

Die Menschen müssen nicht mehr auswandern.
Ghenadie Podgornii
Betriebsleiter Covoare

Zum Abschluss dieses ersten Zwischenstopps noch einmal Ghenadie Podgornii: "Der EU-Beitritt ist ein Vorteil für die Firma, wir werden die Arbeiter besser vor Ort (in Moldau) halten können. Die Menschen können ihr Geld im eigenen Land verdienen und müssen nicht mehr auswandern."

Teil 2: Start-Ups mit Gastarbeitern aus Indien

Fahren wir weiter zu einem Dorf im Zentrum, in der Nähe der Hauptstadt Chișinău. Moldawien ist ein großer Exporteur von landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Pflaumen, Äpfeln, Nüssen und Wein. Igor Golbian gründete BIANTTI, ein Start-Up für Bio-Produkte wie Trockenfrüchte und Sonnenblumenöl. Da er nicht genügend Einheimische fand, stellte er Vertragsarbeiter aus Indien ein.

Ein Start-up für Bioprodukte im Zentrum Moldaus
Ein Start-up für Bioprodukte im Zentrum Moldaus Euronews

Schon Golbians Eltern interessierten sich für Naturprodukte, hatten vom Bürgermeister eine Wiese mit Walnussbäumen gepachtet. Gute Ernten, problemloses Lagern, das Geschäft lief. Doch Golbian, ein echter Selfmade-Mann, wollte höher hinaus. Nach dem Studium an der technischen Universität arbeitete er in mehreren Betrieben als Manager für Großprojekte, von 1998 bis 2020 kümmerte er sich um die Finanzen eines internationalen Multis, die gesammelten Ersparnisse und Erfahrungen als Projekt- und Finanzmanager kamen ihm dann beim Aufbau seines (derzeit noch kleinen) Familienbetriebs zugute.

Zunächst begann es quasi als Hobby, als Nebenbeschäftigung. Wie die Eltern, setzte auch Golbian in einem ersten Schritt auf Walnüsse und Mandeln, 2005 kaufte er Land und pflanzte seine eigenen Bäume. Dann hieß es warten. 2010 die erste Ernte. 2015 kamen Diversifizierung, Vergrößerung, Kauf von Maschinen zur Verarbeitung. Golbian, ein bescheiden auftretender Mann mit leiser Stimme, profundem Fachwissen und einem Sinn für Familie entwickelte ein Faible für Bioprodukte. Er orientierte sich um, verabschiedete sich von den Walnüssen, setzt mittlerweile mehr auf Sonnenblumenöl und Pflanzen-Mehle. 2020 dann der große Sprung, Golbian verließ seinen Arbeitgeber und machte sich völlig selbstständig, ab jetzt war er nur noch für seine Fabrik da, fast ein 24-Stunden-Job.

Golbian kann herhalten als Paradebeispiel für moldawischen Unternehmergeist. Der Mann weiss, was er will - und er plant es präzise bis ins letzte Detail durch, projiziert Investitionen und Expansionsschritte in Fünfjahres-Schritten in die Zukunft, denkt in alle Richtungen. Seine neue, angenehm nach frisch gesägtem Holz riechende Produktionshalle neben dem Dorf hat er bewusst etwas größer angelegt, denn im Obergeschoss will er Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen anbieten, "Urlaub über der Bio-Fabrik" sozusagen.

Gleichzeitig arbeitet er an seiner Idee, zunächst in der Republik Moldau, dann aber auch in der Europäischen Union, eine eigene BIANTTI Bioladen-Kette aufzubauen. "Die großen Supermärkte und andere Zwischenhändler greifen einfach eine zu große Marge ab", gibt Golbian zu bedenken, "das sind oft 30 bis 40 Prozent, das ist einfach zu viel!". Logische Schlussfolgerung: der Aufbau eines eigenen Vertriebs- und Filialnetzes! - Bis es soweit ist, arbeitet er aber auch mit Geschäftspartnern zusammen: Derzeit plant er den Export seiner Bioprodukte nach Rumänien, Belgien, Deutschland und in die Niederlande. Wie bereitet er sich darauf vor?

Mein Tipp: Der Kunde ist König!
Igor Golbian
Start-Up-Gründer

"Mein erster Tipp: Der Kunde ist König! Als Exporteur muss man sich gut über alle technischen Anforderungen informieren, in Bezug auf Verpackungsregeln, Lagerbedingungen, Transport-Logistik, Etikettierung und so weiter. Jedes Detail ist wichtig, man darf nichts außer Acht lassen."

Igor Golbian sieht das Referendum als letzte Chance, um Richtung EU zu gehen.
Igor Golbian sieht das Referendum als letzte Chance, um Richtung EU zu gehen. Euronews

Und mit welchen Schwierigkeiten hat man als Start-Up-Neuling mit globalen Ambitionen zu kämpfen? Golbian denkt kurz nach, dann fällt ihm das Beispiel der Labortests ein. Je nach Zielland und Kundenwünschen muss er eine mal längere, mal kürzere Liste von Zertifikaten erbringen, was genau in seinen Produkten enthalten ist - und was nicht. "Es kommt vor, dass ein Kunde beispielsweise sechs Zertifikate haben will, bei uns in Moldau die Labore aber nur vier dieser Substanzen nachweisen können. Dann muss ich für die restlichen zwei Substanzen alle Proben in ein ausländisches Labor schicken, in die Ukraine oder nach Rumänien oder Deutschland, das kostet Zeit und es sind Zusatzkosten, die dadurch entstehen." Daher der konkrete Vorschlag des Kleinunternehmers an die Regierung, doch bitte das Prüf- und Labornetz in der Republik Moldau auszubauen.

Und dann ist da noch das eingangs erwähnte Problem des Arbeits- und Fachkräftemangels. Da ist natürlich die Arbeitsmigration der Moldauer nach Westeuropa. Aber auch die Binnenmigration vom Land in die Hauptstadt. Aber das reicht nicht als Erklärung. "Die großen Firmen haben den Arbeitsmarkt einfach leergefegt", sagt Golbian. Hinzu kommt der auch von der Regierung geförderte moldawische "Gründer-Boom", überall entstehen neue Betriebe, Start-Ups, Kleinfirmen... im Land fehlt es deshalb überall an Händen, die anpacken können. "Es ist wirklich schwierig, Leute zu finden. Das ist der Grund, weshalb die Arbeitsmigration aus Indien in letzter Zeit so wichtig geworden ist: Geschätzt arbeiten wohl rund 80.000 Inder in Moldau, möglicherweise auch mehr", vermutet Golbian.

Zu den EU-Bestrebungen der Republik Moldau ergänzt Golbian: "Für Moldau und die moldauischen Firmen ist das derzeit ein wirklich wichtiger Moment. Dies ist unsere letzte Chance, auf den Zug Richtung Europäische Union zu springen…"

Eine Vor-Entscheidung fällen die Moldauer beim Europa-Referendum im Oktober. Doch auch die 27 Mitgliedstaaten der EU müssen erst ihr Ja-Wort geben. Das kann noch dauern…  Denn da ist ja noch dieser berühmte "eingefrorene Konflikt" im Osten der Republik Moldau: Transnistrien!

Teil 3: Pro-russische Separatisten in Transnistrien

Die Republik Moldau ist ein geteiltes Land. Im Osten herrschen pro-russische Separatisten. Es leben dort: Moldauer, Russen, Ukrainer und einige kleinere Volksgrüppchen. Viele Menschen hier jonglieren mit mehreren Ausweispapieren, haben in der rechten Westentasche einen russischen Pass, in der linken einen moldauischen - oder umgekehrt.

Als westeuropäischer Journalist brauche ich eine besondere Akkreditierung, um die Kontrollpunkte ungehindert passieren zu können. Rund 2000 russische Soldaten sind noch immer in Transnistrien präsent. Am Rande der "Pufferzone" steht, quasi im Niemandsland zwischen moldauischen und transnistrischen Posten, ein russischer Schützenpanzer. Tipp von Stefan, mein Fahrer und Übersetzer: "Jetzt steck die Kamera mal besser weg!"

Vor 34 Jahren erklärte die überwiegend russischsprachige Region ihre Unabhängigkeit. Aber der winzige Pseudo-Staat entlang der ukrainischen Westgrenze wird international nicht anerkannt, nicht einmal von Moskau - bis jetzt... (obwohl er von dort massiv beeinflusst wird). 

"Herzlich Wilkommen in Tiraspol!": Die pro-russischen Separatisten haben sich für unabhängig erklärt.
"Herzlich Wilkommen in Tiraspol!": Die pro-russischen Separatisten haben sich für unabhängig erklärt. Euronews

Die ostentativ plakatierte Russophilie nimmt gelegentlich bizarre Züge an. So wurde soeben ein neues Gesetz beschlossen. Man darf das rumänische Wort "Transnistria" nicht mehr verwenden, sonst bekommt man 15 Tage Gefängnis. Nur das russische Wort "Pridnestrovie" darf noch verwendet werden. 

Ich bin gespannt auf diesen Drehtag! Hat sich was verändert hier? Ich war bereits vor zehn Jahren, 2014, in der Region unterwegs. Wunderte mich damals über den immensen Einfluss der Oligarchen (das Land wird weitgehend durch das Sheriff-Konglomerat gesteuert), auch über das Porträtfoto Putins im Büro des transnistrischen "Staatspräsidenten".

Mit Russland wird unsere Zukunft besser, schöner und freudiger sein!
Tatiana
Bewohnerin von Tiraspol

Um einen ersten Eindruck zu bekommen, greife ich zum bewährten Mittel der Straßenumfrage zurück. Fragen wir also die Menschen in der separatistischen Hauptstadt Tiraspol: Wenn Moldau EU-Mitglied wird, was würde das für Transnistrien bedeuten? Daria, eine junge Frau, findet die Idee gut: "Das ist eine gute Initiative, und sie würde für beide Vorteile bringen, für Pridnestrovie und für Moldau." - Eine Freundin Darias ergreift das Wort, eine EU-Mitgliedschaft Moldawiens - trotz Separatistengebiet Transnistrien - hält sie für wünschenswert und durchaus möglich, "denn auch in der EU gibt es heute schon Mitgliedstaaten mit ungeklärten Territorialkonflikten", womit sie auf Zypern und den von der Türkei besetzten Norden der Insel anspielt.

An einem Nebentisch sitzt ein junger Vater mit Kinderwagen, Baby und Bekannten. Er meint, dass man hier in Transnistrien nicht das selbe Gehalts- und Lebenshaltungskostenniveau wie in der EU habe, da würde es mit einer Mitgliedschaft nicht so richtig passen. Dann kritisiert er die jüngst von der Republik Moldau eingeführten Zölle und Abgaben auf transnistrische Produkte, die Regierung in Chisinau wolle wohl wirtschaftlich Druck ausüben, damit die Führung in Tiraspol auf politische Forderungen Moldaus eingehe. Die Bekanntenrunde nickt zustimmend zu dieser Meinung.

Ein paar Meter weiter steht rauchend ein junger Mann, Kaffeebecher in der Hand, Artiom heisse er, interessiere sich nicht sonderlich für Politik. Zwar komme er von hier, doch eigentlich würde er in Moskau sein Geld verdienen: "Die meisten Menschen hier (in Transnistrien) wollen nicht in die Europäische Union, die Zukunft liegt bei Russland. Andererseits arbeiten auch viele von hier in der Europäischen Union...". Als ihm der Widerspruch auffällt, muss er lachen.

Tatiana, eine ältere Dame, meint: "Wir warten auf Russland. Mit Russland wird unsere Zukunft besser, schöner und freudiger sein! Denn wir werden als Teil Russlands anerkannt werden. Oder zumindest wird Russland uns als unabhängigen Staat anerkennen."

Ohne russisches Gas – keine transnistrische Industrie mehr?

An diesem Drehtag im Separatistengebiet werden wir von einem "Schatten" begleitet, einem freundlichen Beamten des für internationale Presse zuständigen Büros. Er legt uns keine Steine in den Weg und hält sich eher abseits. Als es zu einer kleinen Debatte mit einem Sicherheitsbeamten eines Industriebetriebes kommt (der nicht möchte, dass ich dort filme, obwohl ich mich auf öffentlichem Grund auf dem Bürgersteig vor der Fabrik befinde und das Betriebsgelände nicht betreten habe), greift er vermittelnd ein.

Transnistriens Schwerindustrie wird quasi kostenlos mit russischem Gas beliefert. Ende Dezember könnte damit Schluss sein. Das Transitabkommen mit der Ukraine wird nicht verlängert. Kein russisches Gas mehr für Transnistrien? Das könnte das Ende für viele große Fabriken bedeuten. Es gibt alternative Quellen und Pipelines... aber wer soll das bezahlen? Die Separatisten in Tiraspol? Die moldauische Regierung in Chisinau?

Unsere offizielle Anfrage, im größten Stahlwerk der Region drehen zu dürfen, wird leider abgelehnt. Gerne hätte ich das Energieversorgungsproblem mit einem Fachmann vor Ort besprochen, auch die Arbeiter zum Thema EU-Kandidatur Moldaus befragt. Nun ja, njet ist eben njet. Also kein Stahlwerk.

In Transinstrieren darf man nicht mehr Transistrien sagen, nur noch die russische Bezeichnung "Pridnestrovie" ist erlaubt.
In Transinstrieren darf man nicht mehr Transistrien sagen, nur noch die russische Bezeichnung "Pridnestrovie" ist erlaubt. Euronews

Seit Anfang dieses Jahres erhebt die Republik Moldau Export- und Importzölle, Mehrwertsteuer und Umweltabgaben von transnistrischen Unternehmen und verstärkt den Kampf gegen Geldwäsche. Aus der Sicht der EU sieht dies wie ein normales Verfahren aus, das lediglich den gemeinsamen Regeln folgt. Aber es ist ein harter Schlag für die transnistrischen Oligarchen, die die politischen und wirtschaftlichen Fäden in der separatistischen Region ziehen.

Außerdem besteht der Verdacht, dass elektronische Bauteile "made in Transnistria" in russische Waffensysteme eingebaut werden. Es geht unter anderem um scheinbar harmlos aussehende Elektromotoren und Spezialbeschichtungen für Chips und Schaltelemente... Was im zivilen Leben in Alltagsgeräten Verwendung findet, könnte auch seinen Weg in Waffen gefunden haben, die in der Ukraine zum Einsatz kommen. Das nennt man "Dual-Use". Große transnistrische Unternehmen wie Elektromash, Moldavisolit und Bender Potential gehören zu den Verdächtigen.

Der Vorsitzende des transnistrischen Industrieverbandes, Jurij Michajlowitsch Tscheban, bestreitet die Vorwürfe, kritisiert die strengen Exportkontrollen, die die Republik Moldau eingeführt hat, und bezeichnet sie als "politisch motiviert". Euronews traf ihn in seinem Büro in Tiraspol: "Mehr als 40.000 Menschen gingen auf die Straße, um zu protestieren. Durch all diese Maßnahmen haben wir bereits etwa 70 bis 80 Millionen Euro verloren, dieses Geld fehlt jetzt in unserem Haushalt." - In den betroffenen Werken habe man die Produktion runterfahren müssen, "statt für den Export in alle Welt wird da nun Straßenbeleuchtung für den Heimatmarkt produziert". In Moldavisolit seien 570 Beschäftigte betroffen, bei Elektromash 600. In einem der Werke werde nur noch ein Fünftel produziert, in einem anderen stehe "seit sechs Monaten die Produktion still".

Zu Besuch beim sogenannten "Wirtschaftsminister" von Transnistrien.
Zu Besuch beim sogenannten "Wirtschaftsminister" von Transnistrien. Euronews

Die Separatistenführung bezeichnet die moldauischen Zölle als "Agression", so zumindest die Wortwahl des "Präsidenten" des international nicht als Staat anerkannten Landstreifens im Interview mit einem russischsprachigen Medium.

Ich habe einen Interviewtermin diesmal nicht im "Präsidium", sondern in einem anderen "Regierungsgebäude", dem "Ministerium" für Wirtschaftsangelegenheiten. Auch hier sind überall russische Flaggen zu sehen. Sergei Obolnik nennt sich "Wirtschaftsminister" von Transnistrien. Der elegant gekleidete Herr fragt ironisch, ob ich vom Fahrradfahren käme - wohl als Kritik an meiner praktischen Reporterjacke und technischer Vieltaschen-Hose zu verstehen.

Der Zusammenbruch der Wirtschaft ist fast erreicht.
Sergei Obolnik
"Wirtschaftsminister" von Transnistrien

Er erklärt gegenüber Euronews: "Viele unserer Waren haben sich um 15 bis 20 Prozent verteuert, aufgrund dieser neu eingeführten Abgaben. Jetzt sind sie teurer als die moldauischen Produkte. - Außerdem verschwinden alle für den Austausch mit dem Westen notwendigen Instrumente, wegen dieser Doppelbesteuerung und der Schließung mancher unserer Bankkonten in Moldau. Das führt dazu, dass der Zusammenbruch der Wirtschaft fast erreicht ist."

Euronews: Was fordern Sie von der (offiziellen) Regierung in Chișinău und von Brüssel?

Obolnik: Vor der Intensivierung dieser Blockade waren wir sowohl auf östlichen, wie auch auf westlichen Märkten erfolgreich präsent. Wir haben das westliche Bankensystem in völliger Transparenz verwendet. Jetzt nimmt man uns die Möglichkeit, mit dem Westen Handel zu treiben - allein aus politischen Gründen. Man sollte Politik und Wirtschaft nicht vermengen.

Euronews: Speziell was das Problem mit den Banken betrifft, nun, da gibt es eben europaweit Regeln und die müssen befolgt werden. Wo ist das Problem?

Obolnik: Das fragen wir uns auch, wo das Problem liegt.

(Anmerkung der Redaktion: Ein hochrangiger Kenner der Materie hat Euronews gegenüber in Chișinău erklärt, dass die verschärfte Überwachung transnistrischer Geldströme und Bankkonten mit dem Verdacht auf Geldwäsche und Finanzierung illegaler Aktivitäten zusammenhängt. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass Moskau in den vergangenen Monaten wiederholt versucht hat, größere Millionenbeträge nach Moldawien einzuschleusen und damit anti-europäische Politiker, Bewegungen und Agenten zu finanzieren. Aufgrund der schärferen Kontenkontrollen greift Moskau mittlerweile auf Bargeld-Transporte zurück, es wurden wiederholt Geldkoffer mit hohen Summen beschlagnahmt, mit dem Geld wurden unter anderem russlandfreundliche Demonstranten bezahlt. In Brüssel und Washington gibt es Erkenntnisse, dass Moskau mit systematischen Destabilisierungsversuchen versucht, die Wahlen in der Republik Moldau zu beeinflussen um eine Kreml-freundliche Regierung zu installieren.)

Euronews: Was halten Sie von einer Wiedervereinigung mit der Republik Moldau - und damit einhergehend einer Mitgliedschaft in der EU. Wären damit nicht alle Ihre wirtschaftlichen Probleme gelöst?

Obolnik: Was derzeit vor sich geht, kann man nicht als Problemlösung bezeichnen. Wenn man jetzt unsere Bankkonten schließt und unsere Exporte blockiert, dann hat das mit der Integration durch wirtschaftliche Annäherung nichts mehr zu tun. Dann geht es nur noch darum, unsere wirtschaftliches Potential zu beschneiden.

Euronews: Die Wirtschaft dieser Region ist gekennzeichnet durch Leicht- und Schwerindustrie. Diese Betriebe hängen von billigem russischen Erdgas ab. Es besteht ein sehr reales Risiko, dass Ende des Jahres der Transit (durch die Ukraine) endet. Wie gehen Sie damit um?

Obolnik: In diesem Jahr war die Versorgung mit Erdgas in Ordnung. Wenn Sie sich ansehen, wie stark insbesondere die metallverarbeitende Industrie von günstigen Energiepreisen abhängt, so wird Ihnen bewusst, dass jeglicher Stopp von Erdgaslieferungen eine humanitäre Krise auslösen wird.

Und was sagt der echte Wirtschaftsminister in Chișinău zu EU-Binnenmarkt, Wettbewerbsfähigkeit - und zu Transnistrien?

Zurück in der offiziellen Hauptstadt der Republik Moldau, zurück in Chișinău, habe ich einen Termin mit dem echten Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Dumitru Alaiba. Die Vorbereitungen für die Integration der moldauischen Wirtschaft in den europäischen Binnenmarkt laufen auf Hochtouren und sind in vollem Gange. Der Minister ist arg verschnupft - nimmt sich aber trotzdem Zeit für ein ausführliches Gespräch:

Euronews: Ist der Beitritt zur Europäischen Union für die Wirtschaft der Republik Moldau eher ein Risiko oder eine Chance?

Alaiba: Das ist die größte Chance, die Moldau, seine Wirtschaft und seine Bevölkerung jemals hatten.

Euronews: Ist die moldauische Wirtschaft in der Lage, sich schon bald in den Europäischen Binnenmarkt zu integrieren?

Alaiba: Wir sind so gut vorbereitet wie noch nie. 65 Prozent unserer Exporte gehen schon heute in die Europäische Union.

Euronews: Sie haben sich einen Zeitrahmen von 5 Jahren gesetzt. Was ist in Ihren Augen die größte Herausforderung?

Alaiba: Wir müssen jeden einzelnen Unternehmer im Lande dazu bringen, dass er beim Wettbewerb auf dem Europäischen Binnenmarkt mithalten kann.

Euronews: Ok, das verstehe ich. Doch hört sich das nach einer etwas allgemeinen Aussage an. Was sagen Sie ganz konkret den Unternehmern?

Alaiba: Wettbewerbsfähig zu sein, bedeutet, die geltenden Standards zu erfüllen. Bei Industriegütern liegen wir schon heute zu 100 Prozent auf EU-Linie und erfüllen alle Normen. Bei landwirtschaftlichen Gütern müssen wir bei Milch- und Fleischprodukten noch etwas nachbessern, da gibt es noch Arbeit. Doch wir machen rasche Fortschritte. In diesem Jahr erhielten wir beispielsweise die Ausfuhrgenehmigung für Geflügelprodukte. Es geht beispielsweise darum, in allen Betrieben die Maschinenparks EU-Standards anzupassen und wenn lokale Unternehmen dabei Hilfe benötigen, dann bekommen sie die von der Regierung.

Euronews: Welche komparativen Vorteile haben moldauische Produkte auf dem EU-Binnenmarkt?

Alaiba: Unternehmungslustig, unsere Manager sind unternehmungslustig. Und weil sie daran gewohnt sind, sich hier, auf einem relativ kleinen Markt, energische durchzusetzen, werden sie das auch auf einem größeren Markt hinbekommen. Wenn sich jetzt der EU-Markt öffnet, bieten sich für die moldauischen Unternehmer quasi unendliche Geschäftsmöglichkeiten.

Euronews: Damit ist meine Frage nur teilweise beantwortet. Deshalb noch einmal, im Vergleich, wie können sich moldauische Firmen durchsetzen und warum? Sind das die im EU-Vergleich niedrigeren Löhne und damit ein Kostenvorteil? Oder sind einzelne Branchen besonders stark? Ihre Analyse bitte.

Alaiba: Sicher, unsere Gehälter sind ein Element unseres kompetitiven Kostenvorteils. Doch wichtiger noch ist unsere Qualitätsoffensive. Beispielsweise unser Obst, das gilt europaweit als hochqualitativ. Oder unser Wein und ganz generell unsere landwirtschaftlichen Produkte. Aber ebenso Industriegüter, auch hier sind wir auf dem europäischen Markt bereits heute recht erfolgreich. Wir sind kein Land, das Schund herstellt. Wir machen uns einen Namen als Qualitätsproduzent.

Da ich am Tag zuvor mit Vertretern der transnistrischen Wirtschaft gesprochen habe, bringe ich das Gespräch natürlich auch auf die dort formulierten Punkte. Aber zunächst einmal ganz allgemein: Was ist mit der moldauischen Region Transnistrien?

Der echte Wirtschaftsminister Dumitru Alaiba freut sich auf 2030 - da wird Moldau seiner Meinung nach EU-Mitglied sein.
Der echte Wirtschaftsminister Dumitru Alaiba freut sich auf 2030 - da wird Moldau seiner Meinung nach EU-Mitglied sein. Euronews

"Sie haben eine separatistische Region im Osten! Wie wirkt sich die Integration der Republik Moldau in die Europäische Union auf Transnistrien aus?", frage ich den stellvertretenden Regierungschef der Republik Moldau. Dumitru Alaiba antwortet (verschnupft, doch diplomatisch): "Dieser (transnistrische) Teil unserer Wirtschaft ist recht gut (in den europäischen Binnenmarkt) integriert, etwa 80 Prozent der Exporte von dort gehen in die Europäische Union."

Euronews: Doch man beschwert sich in Tiraspol über die von Ihnen seit Beginn des Jahres erhobenen Gebühren, Steuern und Abgaben...

Alaiba: Es wird absolut kein Unterschied gemacht zwischen einem Unternehmen, das auf der linken oder der rechten Seite des (Transnistrien abgrenzenden) Flusses liegt. Wir behandeln alle gleich. Natürlich müssen Steuern und Abgaben gezahlt werden, das gilt für alle gleichermaßen.

Euronews: Die Führung dort spricht von "wirtschaftlicher Aggression" und hat (Anfang des Jahres) sogar ein Hilfsersuchen nach Moskau geschickt. Wie gehen Sie politisch damit um?

Alaiba: Sehen Sie, diese Region ist international nicht anerkannt. Doch sie ist auch nicht unter der Kontrolle der moldauischen Behörden, jedenfalls nicht völlig. Und daran müssen wird arbeiten. Doch wenn es um die Integration in den Europäische Binnenmarkt geht, so müssen wir allen Akteuren Gleichbehandlung gewähren. Übrigens auch gegenüber den europäischen Verbrauchern: Wir müssen gewährleisten, dass alle von hier in die EU ausgeführten Produkte den erforderlichen Qualitätsstandards entsprechen.

Es sei unfair, manche große Unternehmen (es geht insbesondere um drei: Elektromash, Moldavisolit und Bender Potential) mit einem "Embargo" zu belegen, heißt es von transnistrischer Seite aus. Auf diese Beschwerde der transnistrischen "Regierung" angesprochen, erklärt Alaiba klar und ernst: "Wenn eine moldauische Firma in der Region Transnistrien Dual-Use-Güter herstellt (Anmerkung der Red.: also Güter die sowohl im zivilen, wie auch im militärischen Bereich verwendet werden können) und beabsichtigt, diese nach Russland zu exportieren, dann genehmigen wir das nicht. Basta!"

Euronews: Wenn der Transitvertrag für russisches Erdgas durch die Ukraine nach Transnistrien Ende des Jahres 2024 endet, steht dann eine wirtschaftliche Katastrophe in der Region bevor? Schließlich steht Transnistrien für Schwerindustrie - und die ist völlig abhängig von billigem Erdgas.

Alaiba: Also das Wort Katastrophe würde ich jetzt nicht verwenden. Doch es stimmt schon, Moldau als Staat, so wie jeder Staat auf diesem Planeten, steht ständig vor neuen Herausforderungen. Sehen Sie, vor 15 Jahren waren wir noch zu 70 Prozent auf den russischen und CIS-Markt hin orientiert. Heute, gerade einmal 15 Jahre später, orientieren wird uns zu etwa 65 Prozent Richtung EU-Markt! Das ist ein unglaublicher Umbau der Wirtschaft, man könnte es geradezu mit einer tektonischen Plattenverschiebung der Wirtschaft vergleichen! Was die Energiepreise betrifft, nun, die schwanken seit zwei Jahren ganz erheblich, nicht nur in Moldau, sondern in ganz Europa. Die Rolle der Regierung ist es, die Wirtschart angesichts dieser Herausforderungen zu unterstützen.

Euronews: Aber präzise, wie wollen sie Erdgas nach Transnistrien bringen, wenn kein russisches Gas mehr durch die ukrainische Transitpipeline strömt? Und wer bezahlt dafür?

Alaiba: Nun, wie soll ich es ausdrücken...? Lassen Sie es mich so sagen: Irgendwann ist mal Schluss mit Freibier! - Das ist meine Antwort auf Ihre Frage. In den 90er Jahren hat unsere gesamte moldauische Wirtschaft von diesen, nun, "politischen Preisnachlässen" (Russlands) profitiert. Doch das muss ein Ende haben.

Es ist ein seltsamer Widerspruch: Die Separatisten in Transnistrien beteuern einerseit ständig ihre Selbstständigkeit, sind aber sowohl von der Unterstützung Russlands wie auch dem Verkauf ihrer Waren auf dem Weltmarkt, einschließlich EU, abhängig. Rein logisch betrachtet wäre eine Wiedervereinigung mit der Republik Moldau und damit einhergehend eine EU-Mitgliedschaft der Königsweg zu Wohlstand und Wirtschaftsaufschwung in der abtrünnigen Region. Doch das blockiert Russland, schon allein durch die Weigerung, seine dort seit Jahrzehnten stationierten Soldaten abzuziehen.

Daher eine wohl etwas naive, aber durchaus angebrachte vorletzte Frage an den stellvertretenden Regierungschef der Republik Moldau: Wird Transnistrien auch Teil der Europäischen Union werden? Dumitru Alaiba antwortet: "Ja, natürlich." Die Frage sei nur wann, "das muss noch geklärt werden!"...

Und wann wird die Republik Moldau Mitglied der Europäischen Union sein? Da sagt Alaiba bestimmt und mit einem breiten Lächeln am Ende: "2030."

Nachtrag: Wenn der Minister mal nicht als Minister unterwegs ist, will ich wissen, sondern sich nach Feierabend mal als "ganz normaler Bürger" auf ein Glas Bier oder Tee mit einem unschlüssigen Mitbürger trifft, mit jemandem, der Angst hat vor Veränderung, dem Unbekannten, womöglich eine russische Propagandasendung gehört hat oder von Moskauer Plattformen gegen eine EU-Mitgliedschaft Moldaus aufgehetzt wurde: Was für ein Argument legen Sie dann auf den Tisch, Herr Alaiba, von Moldauer zu Moldauer? - Alaiba ist von der Frage etwas überrascht, denkt einen Moment nach. Dann meint er: "Also was mir da ganz spontan durch den Kopf geht, ist die jüngste Vergangenheit. Halb Europa hat sich vor 20 Jahren in Richtung Europäischer Union bewegt. Schau Dir doch mal das Gehaltsniveau der Leute in diesen neuen Mitgliedsländern heute an - und vergleiche es mit dem Gehaltsniveau, das sie vor 20 Jahren gehabt haben! Schau Dir die Wirtschaft dort an, wie sie vor 20 Jahren aussah - und wie sie heute aussieht! Die Lebensqualität! Das Schulsystem und das Bildungsniveau! Das Gesundheitssystem! Das Justizwesen! Die Menschenrechtslage! Dank der Integration in die Europäische Union ist es in diesen Ländern zu einer massiven Transformation gekommen - und das ist konkret in den Haushalten, in den Familien, im Leben jedes Einzelnen zu spüren. Das Leben ist besser geworden. Hier geht es nicht um abstrakte Konzepte, ne, es geht darum, was Du im Geldbeutel hast, um Dein Einkommen, um das, was Dir am Monatsende auf dem Konto bleibt! Es geht um rascheres Wachstum! Moldau in der Europäischen Union? Das bedeutet ein besseres Leben!


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