Von Kritik bis Zustimmung : Uneinigkeit über IStGH-Haftbefehl gegen Netanjahu
Der vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) erlassene Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu stößt bei westlichen Regierungen auf ein geteiltes Echo.
Orban lädt Netanjahu demonstrativ ein
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat sich klar positioniert: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren - obwohl auch sein Land zu den Vertragsstaaten des IStGH gehört. Der rechtspopulistischer Ministerpräsident Orban pflegt seit langem gute Beziehungen zu Netanjahu.
"Diese Entscheidung führt tatsächlich zur völligen Diskreditierung des Völkerrechts und könnte sogar Öl ins Feuer gießen. Es gibt keine andere Möglichkeit, als sich ihr zu widersetzen. Deshalb werde ich noch heute den Ministerpräsidenten Israels Benjamin Netanjahu, zu einem Besuch nach Ungarn einladen", sagte Orban im ungarischen Fernsehen.
Das oberste Kriegsverbrechertribunal der Welt erließ am Donnerstag einen Haftbefehl gegen Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant sowie Hamas-Militärchef Mohammed Deif. Der IStGH erklärte, es gebe "vernünftige Gründe" für die Annahme, dass Netanjahu und Galant im Gaza-Streifen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.
EU-Staaten theoretisch zur Verhaftung verpflichtet
Alle 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, darunter auch Ungarn, gehören dem IStGH an. Alle Mitglieder sind theoretisch verpflichtet, Verdächtige, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, festzunehmen, wenn sie ihren Boden betreten. In der Praxis hat der Gerichtshof jedoch keine Möglichkeit, dies durchzusetzen und ist deshalb auf die Kooperation der 124 Mitgliedstaaten angewiesen.
Der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, sagte, dass die Entscheidung des Gerichtshofs von den Mitgliedstaaten "respektiert und umgesetzt" werden sollte.
Trotz Ungarns Widerstand haben Italien, Irland, Belgien, die Niederlande und Frankreich bereits signalisiert, dass sie Netanjahu verhaften würden, wenn er in eines ihrer Länder reist.
Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto sagte am Donnerstag, es sei zwar "falsch", Netanjahu und Galant mit der Hamas zu vergleichen, aber wenn die beiden nach Italien einreisen würden, "müssten wir sie verhaften".
Der irische Premierminister Simon Harris erklärte, die Haftbefehle seien "ein äußerst wichtiger Schritt", und fügte hinzu, sein Land werde die Rolle des IStGH respektieren.
Das belgische Außenministerium erklärte, dass es die Arbeit des IStGH "voll und ganz" unterstütze und dass "die Verantwortlichen für die in Israel und im Gazastreifen begangenen Verbrechen auf höchster Ebene verfolgt werden müssen, unabhängig davon, wer sie begangen hat."
Der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp bestätigte, dass die Niederlande "auf die Haftbefehle reagieren werden".
Bundesregierung reagierte verhalten
Andere Länder reagierten unterschiedlich, signalisierten aber, dass sie der Entscheidung des Gerichts folgen würden.
Frankreichs Außenminister lehnte es ab, zu sagen, ob das Land Galant oder Netanjahu verhaften würde, sagte aber, es werde "im Einklang mit den Statuten des IStGH" handeln.
Der österreichische Amtskollege sagte, die Haftbefehle seien "lächerlich", aber sein Land werde ebenfalls gezwungen sein, Verhaftungen vorzunehmen, sollten Netanjahu und Galant nach Österreich reisen.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte, dass Deutschland "prüfe", wie es auf die Entscheidung des Gerichts reagieren solle, und fügte hinzu, dass das Land an das Gericht gebunden sei und das internationale Recht anerkenne.
Mit dem Haftbefehl wird zum ersten Mal ein amtierender Staatschef eines wichtigen westlichen Verbündeten von einem internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Der Schritt hat zwar symbolischen Charakter, ist aber nicht bindend. Der russische Präsident Wladimir Putin, gegen den ein Haftbefehl des IStGH wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine vorliegt, entging kürzlich bei einem Besuch in der Mongolei einer Verhaftung, obwohl das Land zu den Mitgliedstaaten des Gerichtshofs gehört.
Biden und Israel verurteilen die Entscheidung des ICC
Netanjahu verurteilte die Entscheidung des Gerichts, Haftbefehle gegen ihn und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant auszustellen, und wies das Urteil als "antisemitisch" zurück.
"Dies ist ein dunkler Tag in der Geschichte der Nationen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag, der zur Verteidigung der Menschheit gegründet wurde, hat sich in einen Feind der Menschheit verwandelt," so Netanjahu.
Die Haftbefehle gegen die beiden wurden zusammen mit einem Haftbefehl gegen den Militärchef der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas, Mohammed Deif, erlassen. Deif war einer der Drahtzieher des Hamas-Angriffs auf Israel vom 7. Oktober.
Deutliche Worte der Unterstützung für Netanjahu und Gallant kamen vom wichtigsten Verbündeten USA. Präsident Joe Biden reagierte empört auf das Vorgehen des Tribunals und erklärte, es gebe "keine Gleichwertigkeit zwischen Israel und der Hamas".
Weder Israel noch die USA sind Mitglied des IStGH.
Der israelische Regierungschef widersprach den Anschuldigungen des Gerichts und erklärte, Israel habe den Gazastreifen mit "700.000 Tonnen Lebensmitteln beliefert, um die Menschen im Gazastreifen zu ernähren. Wir versenden Millionen von SMS, Telefonanrufen und Flugblättern an die Bürger von Gaza, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen.
Die Hamas reagierte nicht auf Deifs Haftbefehl, bezeichnete die Entscheidung gegen Netanjahu und Gallant jedoch als "Korrektur eines langen Weges historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk".
Israel hatte zuvor behauptet, Deif bei einem Luftangriff getötet zu haben, die Hamas hat seinen Tod jedoch nie bestätigt.
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