'Europa braucht einen Weckruf', warnt Ex-Kulturminister von Belarus
Der belarussische Ex-Kulturminister Pawel Latuschka schloss sich nach der brutalen Niederschlagung der Proteste in Belarus 2020 der belarussischen Demokratiebewegung an. Nun ist er Vizechef des Vereinten Übergangskabinetts, eines politischen Organs der belarussischen demokratischen Kräfte. Aus dem Exil kämpft er für ein freies Belarus. Mit Euronews hat er darüber gesprochen, was die Politik des neuen US-Präsidenten Donald Trump für Europa und den Krieg in der Ukraine bedeutet und warum es gefährlich ist, die Menschen in Belarus im Stich zu lassen.
Euronews: Sie haben als Kulturminister mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zusammengearbeitet. Nun unterstützen Sie die belarussische Opposition. Wie kam dieser Wandel?
Pawel Latuschka: Es war schon immer ein innerer Konflikt. Ab einem gewissen Punkt fängt man an, Kompromisse einzugehen. Man versucht, sich zu rechtfertigen.
Euronews: In der Ukraine tobt der Krieg. Kann Belarus zwischen Russland und der Ukraine vermitteln?
Pawel Latuschka: Lukaschenko ist der wichtigste Verbündete Russlands im Krieg gegen die Ukraine. Nicht Nordkorea, nicht China, nicht der Iran, sondern Lukaschenko. Er stellte Russland strategisch und territorial einen belarussischen Balkon zur Verfügung. […]
2020 wurde ein Fehler begangen. Damals gingen monatelang 1.000.000 Belarussen in Dörfern, Kleinstädten und Großstädten auf die Straßen. Wenn unsere westlichen Partner uns damals zugehört und strenge Sanktionen gegen Lukaschenko verhängt hätten, hätte das möglicherweise das Blatt gewendet. Dann hätte es höchstwahrscheinlich keinen Krieg zwischen Russland und der Ukraine gegeben, oder zumindest nicht mit solch verheerenden Folgen.
Euronews: In früheren Interviews sprachen Sie davon, dass ein möglicher Sieg der Ukraine und der Prozess der Demokratisierung in Belarus eng miteinander verknüpft sind.
Pawel Latuschka: Der Sieg der Ukraine würde sicherlich große Auswirkungen haben. Trotzdem wäre es falsch, darauf zu wetten, dass eine Situation alle unsere Probleme lösen kann. Die Zukunft von Belarus hängt nur von dem belarussischen Volk ab. Zu hoffen, dass jemand in Berlin, Brüssel oder Washington unsere Probleme lösen wird, wäre absolut utopisch. Dennoch würde eine Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine die Niederlage Russlands nach sich ziehen. Das wiederum könnte uns die Chance für echte Veränderungen in Belarus bieten.
Euronews: Donald Trump hat die US-Präsidentschaftswahlen 2024 gewonnen. Zuvor hatte er bereits deutliche Kürzungen der finanziellen Mittel für die Verteidigung in Europa und der Ukraine angekündigt. Wie wird sich seine Politik auf die Sicherheit in Europa auswirken?
Pawel Latuschka: Europa braucht einen Weckruf. Die Verantwortung für die Sicherheit Europas liegt in erster Linie auf den Schultern der europäischen Politiker. Das bedeutet, mehr Ressourcen für unsere eigene Sicherheit mehr Ressourcen für die Bekämpfung der Propaganda [aus Russland und Belarus] und damit eine Stärkung Europas. Ein starkes Europa ist im Interesse der belarussischen demokratischen Kräfte.
Euronews: Heißt das etwa, Trumps Politik könnte für die Ukraine von Vorteil sein?
Pawel Latuschka: Deutschland ist eine der mächtigsten Volkswirtschaften der EU, die einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der Verteidigungsfähigkeiten der EU leisten kann. Wenn Deutschland diese Richtung einschlägt, wird das viele europäische Staaten ermutigen, dies zu unterstützen und die Verteidigung in Europa in viel größerem Umfang zu finanzieren. Das sagen fast alle Staats- und Regierungschefs europäischer Länder. Und wir sprechen nicht nur von zwei Prozent, sondern von mehr als zwei Prozent, wie Präsident Trump im Wahlkampf ursprünglich gefordert hatte.
Euronews: Trump hatte angekündigt, den Krieg in der Ukraine "schnell" zu beenden und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu "zwingen".
Pawel Latuschka: Selbst wenn wir uns einen Waffenstillstand vorstellen, wird er wahrscheinlich zum gegenteiligen Effekt führen. Die russische Propaganda und Lukaschenkos Propaganda werden diesen sogenannten Frieden oder einen Waffenstillstand als ihren Sieg darstellen, als einen Beweis dafür, dass es ihnen gelungen ist, den Westen zur Kapitulation und zum Rückzug von seinen Positionen zu zwingen. Dadurch wird die russische Gesellschaft zu weiterer Aggression motiviert. Das wird nur eine vorübergehende Pause vor einem viel größeren Krieg, der sich erneut in der Ukraine und möglicherweise auch in den Nachbarländern ausspielen wird.
Euronews: Die Ampel-Koalition in Deutschland ist gescheitert. Rechts- und linkspopulistische Parteien gewinnen immer mehr an Zuspruch. Was bedeutet diese politische Instabilität Deutschlands für Europa?
Pawel Latuschka: Ein starkes Deutschland ist ein Garant für ein starkes Europa. Deutschland ist, was die Einhaltung des Völkerrechts, die Achtung der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und aller anderen international anerkannten Standards angeht, führend. Wenn Deutschland dieser Rolle den Rücken zukehrt, droht eine Katastrophe, nämlich die Fortsetzung eines noch größeren Krieges. Das könnte zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, zu einer Eskalation gesellschaftlicher Konflikte innerhalb Europas, was im Interesse der Russischen Föderation liegt. Schließlich investiert Russland enorme Ressourcen, um die europäische Gemeinschaft zu demotivieren, der Ukraine zu helfen.
Euronews: Warum sollte Deutschland die belarussischen demokratischen Kräfte und die Demokratiebewegung in Belarus unterstützen?
Pawel Latuschka: Von Berlin bis nach Minsk ist es nicht weit. Die kurze Distanz birgt eine ernst zu nehmende Bedrohung. Es wird nicht lange dauern, bis ein Soldat an der Grenze zur EU stehen wird, in russischer oder belarussischer Uniform, bereit, das europäische Gebiet zu betreten. Das ist ein reales Szenario.
Wir müssen aufwachen. Wir müssen verstehen, dass das passieren wird. Diktatoren überleben nur, wenn sie ihr Territorium erweitern, wenn sie ihre Imperien wiederherstellen. Putins Aufgabe besteht jetzt darin, die Sowjetunion wiederherzustellen.
Euronews: In Belarus ist die nächste Präsidentschaftswahl für den 26. Januar 2025 angesetzt. Haben die belarussischen demokratischen Kräfte irgendeine Chance, daran teilzunehmen?
Pawel Latuschka: In Belarus gibt es keine Wahlen. Die Atmosphäre der Angst und des Terrors hat dazu geführt, dass nach verschiedenen Schätzungen 500.000 bis 1.000.000 Menschen aus Belarus geflüchtet sind. Wie können wir unter diesen Bedingungen von Wahlen sprechen, wenn es jeden Tag Festnahmen und Verhaftungen gibt?
Euronews: Welche Möglichkeiten hat die belarussische Opposition dann überhaupt, Widerstand zu leisten?
Pawel Latuschka: Das Volks-Antikrisenmanagement [NAM, eine Organisation, die vom belarussischen Koordinierungsrat für einen friedlichen Regierungswechsel in Belarus ins Leben gerufen wurde], das ich leite, hat Beweise zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit [an dem belarussischen Volk] gesammelt. Die litauische Regierung hat den Internationalen Strafgerichtshof (IGH) bereits aufgefordert, Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch das belarussische Regime unter Lukaschenko zu untersuchen und entsprechende Materialien vorgelegt.
Ich frage die deutschen Politiker: Was fehlt Ihnen, um diesen Schritt zu tun und den Appell der litauischen Regierung an das IGH zu unterstützen? Was hindert die Grünen, die doch die deutsche Außenpolitik leiten, heute daran, diesen Schritt zu gehen? Die Antwort hat mich nicht befriedigt.