Bosniens Autobahn 5c – eine Brücke nach Europa?
In Bosnien-Herzegowina entsteht derzeit eines der größten Verkehrs-Infrastrukturprojekte der Westbalkanstaaten: Der Verkehrskorridor Vc. Euronews hat seinen Reporter Hans von der Brelie vor Ort geschickt. Überall wird gebaut, gegraben und getunnelt. Schafft Bosnien-Herzegowina bis 2030 die Fertigstellung des seit Jahrzehnten geplanten Transeuropäischen Verkehrskorridors? Hier die Reportage.
Die Autobahntrasse Vc verbindet den kroatischen Adria-Hafen Ploče mit der bosnischen Hauptstadt Sarajewo und Industriestädten wie beispielsweise Zenica entlang der Nord-Süd-Achse. Oder besser sollte man formulieren: "Die Autobahn soll irgendwann einmal…", denn auch heute noch fehlen Jahre bis zur Fertigstellung. Unternehmen, die sich entlang der strategischen Verkehrstrasse niedergelassen haben, in der Hoffnung darauf, schon bald ihre Waren reibungsloser in die EU transportieren zu können, beginnen ungeduldig zu werden. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen, Verwaltungshindernissen, Polit-Problemen und, ja, auch zu Korruptionsskandalen.
Es geht voran: Pläne werden nicht nur diskutiert, sondern umgesetzt
Doch jetzt wird Dampf gemacht: Sonderermittler führen Razzien durch und nehmen Verdächtige fest. Junge Projektleiter übernehmen wichtige Streckenabschnitte und bringen Schwung auf die Baustellen. Bosnische Straßenbauingenieure mit internationaler Erfahrung werden aus Afrika zurückgeholt – damit es endlich auch in Europa mal voran geht mit dem Bau dringend benötigter Infrastruktur. Bei Ausschreibungen wird weit gestreut – Türkei, China, Bosnien… Konkurrenz belebt das Geschäft. Pläne werden nicht nur diskutiert, sondern umgesetzt, es geht voran.
Und erste Teilerfolge stellen sich ein: Gerade eben wurde eine gigantische – von der Europäischen Union finanzierte - Riesenbrücke eingeweiht. Derzeit wird auf etwa 60 Kilometern Streckenabschnitt unter geologisch oft schwierigen Bedingungen malocht, dass der Schweiß fließt.
Das Ziel ist ein doppeltes: Die Infrastruktur einschließlich ihrer Verästelungen vernetzt Bosnien-Herzegowina nicht nur mit der Nachbarschaft auf dem Balkan (Kroatien, Serbien, Ungarn, Montenegro…) sondern ermöglicht auch einen besseren Verkehrsanschluss der gesamten Region an die europäischen Logistikzentren und Absatzmärkte. Befördert wird also sowohl der lokale und regionale Warenaustausch, wie auch der Handel mit der Europäischen Union.
Das 336 Kilometer lange Autobahn-Projekt, das quer durch die Berge des Balkans führt, ist ingenieurstechnisch eine echte Herausforderung. Mal ist der Untergrund solider Fels, da freut sich das Herz des Ingenieurs. Mal ist es bröckeliger Stein, Geröll und ein instabiles Durcheinander diverser Gesteinsschichten, davor graut es den Projektleitern. Dann müssen ganze Bergflanken befestigt und stabilisiert werden, Beton wird gespritzt, es kostet Zeit – und Geld.
Seit 23 Jahren wird bereits geplant und gebaut
Ach ja, das Geld! Es wird immer teurer – denn seit 23 Jahren wird bereits geplant und gebaut. Das hat Folgen. Was früher mal billig(er) war, ist heute teuer; ob das jetzt die Milchprodukte im Supermarkt sind oder die Materialkosten auf so einer Superbaustelle, macht da von der Logik her keinen Unterschied – es sei denn in der Größenordnung! Hinzu kommen spekulativ nach oben geschraubte Grundstückspreise auf der geplanten Trasse (doch dem haben die bosnischen Ermittler und Korruptionsfahnder nun einen Riegel vorgeschoben).
Wie dem auch sei, so ein, zwei ganz direkte Fragen sind da schon mal angebracht: Erstens: Braucht Bosnien-Herzegowina so ein Mammutprojekt überhaupt? Zweitens: Warum gibt die Europäische Union dafür so dicke Zuschüsse?
Fangen wir an mit Frage Zwei. Ausgangspunkt der Überlegung: Die EU will Frieden. Überall auf dem Kontinent. Wachstum und Wohlstand befördern den Frieden. Bosnien-Herzegowina will Mitglied der Europäischen Union werden. Das passt ja gut zusammen. Die Wunden des jugoslawischen Staatszerfallkrieges müssen ja irgendwie heilen, und dafür braucht es manchmal einen Arzt aus der Nachbarschaft, der wohnt in Brüssel, hat einen kühlen Kopf und auch noch etwas Geld in der Kasse.
Alle profitieren
Außerdem profitieren von so etwas alle, die Menschen in der Region ebenso wie die Menschen in der EU. Konkretes Beispiel: Immer mehr europäische Unternehmen lassen bereits jetzt in Bosnien-Herzegowina produzieren, denn die Lohnkosten sind hier deutlich niedriger als in der Europäischen Union. Und wenn in Bosnien-Herzegowina die Produktion steigt, dann spült das Steuern auf die klammen Konten des Staates, bringt Menschen in Lohn und Brot, bindet Populationen an ihre Heimatorte und steigert das Bruttosozialprodukt.
Doch ohne gute Straßen dauert es oft lange, die Waren zu den europäischen Kunden zu bringen. Der Verkehrskorridor Vc lenkt Investitionen in die Region und befördert somit Produktion und Handel mit Europa. Entlang der Verkehrstrasse entstehen Industrieparks. Das bedeutet Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand.
Sicher, es gibt auch vereinzelt Proteste. Manche Dorfbewohner hängen an ihren fruchtbaren Feldern. Im bergigen Bosnien-Herzegowina ist Ackerland nicht unbegrenzt verfügbar und dort, wo mehrere Ernten pro Jahr möglich sind, weil die Krume nährstoffreich und das Klima mild ist, beispielsweise in der Nähe von Mostar, verweigern manche Menschen ihre Einwilligung in Entschädigungszahlungen und Enteignungen.
Vorteile einer modernen Verkehrsinfrastruktur
Andererseits sehen viele Bosnier auch die Vorteile einer modernen Verkehrsinfrastruktur. Denn auf den überfüllten, kurvenreichen Bundesstraßen kommt es aufgrund der Überlastung durch LKWs zu überlangen Fahrtzeiten, gewagten Überholmanövern und viel zu vielen tödlichen Unfällen. Eine Autobahn könnte das ändern.
So ein Riesenprojekt kann Bosnien nicht allein stemmen. Die Europäische Union gibt insgesamt Zuschüsse in Höhe von 870 Millionen Euro. Und es gibt günstige Kredite von Europäischer Investitionsbank und Europäischer Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die jeweils über eine Milliarde Euro leihen.
Um es zusammenzufassen: Die Autobahn über Berg und Tal soll Bosnien-Herzegowina der Europäischen Union näherbringen. Seit Jahrzehnten in Planung, ist heute erst weniger als die Hälfte fertig. Doch jetzt beschleunigt sich der Bau: überall entstehen Tunnel und Brücken und längere Streckenabschnitte.
Bosniens Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich
Bosnien geht es heute besser als vor 20 Jahren, das Land reformiert sich, auch mit Hilfe der Europäischen Union. Die Verkehrsinfrastruktur ist (hier und da) besser geworden, auch die Wettbewerbsfähigkeit. Ein gutes Beispiel hierfür ist NCNM, ein Weltmarktführer bei der Herstellung von Hochregallagern. In den bosnischen Werkstätten werden präzise genormte Metallmodule für Logistikunternehmen in der ganzen Welt produziert. Supermarktketten und Lebensmittelkonzerne in Australien, Amerika und Europa verwenden Lagertechnik - zusammengeschweißt in Bosnien-Herzegowina.
Vor der neuen Produktionshalle des bosnischen Hochregallagerweltmarktführers fährt ein großer LKW vor. Ich sage dem freundlichen Fahrer Hallo und frage nach den Touren, die er üblicherweise von hier aus fährt. "Ich liefere oft nach Deutschland, in die Niederlande, nach Österreich und Belgien", zählt Armin Mević auf, während Gabelstaplerfahrer Mirnes den Brummi mit Metallregal-Modulen belädt. Und wie lange bist Du auf Tour, frage ich Armin. "Na ja, hängt vom Ziel ab, manchmal bin ich sieben, dann wieder zehn Tage unterwegs. Aber mir gefällt das, ich mag es, andere Länder zu entdecken, mir mal anzusehen, wie es da so zugeht." Und auch zur von Bosnien-Herzegowina beantragten EU-Mitgliedschaft hat Armin eine klare Meinung: "Unserer Wirtschaft würde es besser gehen, sollten wir der Europäischen Union beitreten können."
Logistik-Chef Mensur Pilav und Fernfahrer Armin Mević freuen sich gleichermaßen über den von der EU vorangetriebenen Ausbau der Transeuropäischen Verkehrsnetze in der Gegend. Die Region hat eine lange Tradition der Stahl- und Eisenverarbeitung. Bereits zur Zeit Jugoslawiens gab es hier zahlreiche metallverarbeitende Betriebe. Das Fachwissen gibt es auch heute noch, in vielen Familien hat sich die Freude an präziser Mechanik und solidem Handwerk von Generation zu Generation erhalten. Es gibt ein gutes Netz an Schulen und Ausbildungsbetrieben. Mit Hilfe der deutschen Bundesregierung haben einige Berufsschulen in Bosnien-Herzegowina umgestellt auf das duale Lehrlingssystem – und das kommt hier vor Ort gut an. Hälfte der Zeit in der Berufsschule, Hälfte im Betrieb – das passt! Dennoch ist es schwierig, genügend qualifizierte Arbeiter zu finden – denn viele Bosnier wandern ab und arbeiten in den Hochlohnländern der Europäischen Union.
Hochregalproduzent NCMC hat (in Bosnien-Herzegowina) 120 Angestellte – und sucht händeringend nach Schweißern, Maschinenbauern und Projektmanagern. Im nächsten Jahr sollen 40 neue Mitarbeiter eingestellt werden. Das Geschäft läuft so richtig rund. "Unser Betrieb ist 100 Prozent exportorientiert", sagt Lieferketten-Manager Pilav. "Im kommenden Jahr wollen wir die Produktion glatt verdoppeln! Wir werden weitere Produktionshallen errichten."
Ich hake nach: "Höhere Produktion, mehr Kunden in aller Welt, das bedeutet dann auch mehr Transport, oder?" – Pilav nickt und ergänzt: "Auch die Zahl der Transporte wird sich verdoppeln. In diesem Jahr haben wir 500 LKW-Fuhren, im kommenden Jahr werden es tausend sein, mindestens."
Warum nicht mit der Bahn?
Mit der Eisenbahn wäre der Transport der Hochregallager zehnmal billiger – und sehr viel umweltfreundlicher. Doch Bosniens Bahnnetz ist völlig überaltert. "Es mangelt an Kapazitäten", seufzt ein Mann aus dem Management der Firma. Gäbe es genügend Güterzüge, das Unternehmen würde von heute auf morgen von der Straße auf die Schiene umsteigen. Doch da zunächst die Autobahn gebaut wird, bleibt es erstmal beim LKW. Einer der Manager bringt es metaphernfreudig auf den Punkt: "Hier bei uns in Bosnien-Herzegowina steht die Eisenbahn ganz am Ende der Fresskette!" Sprich: Zuerst werden alle anderen Infrastrukturprojekte modernisiert und finanziert… dann erst die Bahn. Es ist zum Haare-Raufen: vom nahe gelegenen Doboj im Norden – dort lässt das Unternehmen seine Metallrahmen mit einer Schutzschicht überziehen - zum Mittelmeerhafen Ploče im Süden gäbe es ja sogar eine Bahnlinie. Aber, wie gesagt, es fehlt an Verbindungen, Güterzügen, einem vernünftigen Zeittakt…
Doch das Logistikproblem ist nur eines von mehreren. Logistik-Manager Pilav: "Im Prinzip stehen wir vor zwei Herausforderungen: erstens die Lieferfristen, denn die Straßen sind schlecht. – Und zweitens die Tatsache, dass wir noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind, weshalb wir beispielsweise an der Grenze zu Kroatien bei der Einreise in die EU viel Zeit verlieren."
Mirnes und Armin melden, dass der LKW beladen ist. Armin klettert in die Fahrerkabine, wirft einen Blick in die Frachtpapiere. Dann drückt er den Anlasser-Knopf. Der LKW-Riese schüttelt sich, brummt auf. Mit 420 PS quer durch Europa – es kann losgehen!
Warten, warten - immer warten!
Armin kommt hier aus der Gegend, wohnt immer noch auf dem Land. Wenn er mal nicht LKW fährt, mäht er bei sich im Dorf Gras. Ausgleichssport sozusagen, als Medizin gegen das lange Sitzen hinter dem Lenkrad. Früher hat Armin als Kellner 400 Euro verdient, jetzt als Fernfahrer bekommt er 1.000 Euro im Monat. Er ist stolz auf seinen Beruf. Und er kann erzählen. Denn erlebt hat er schon so einiges - vor allem an den Außengrenzen der EU: "Einmal war es so voll, dass wir auf dem Weg von Bosnien in die Europäische Union 24 Stunden an der Grenze warten mussten. Das ist dann echt ein Problem, wir dürfen ja beispielsweise nur wenig Brotzeit mit uns führen, das ist alles genau geregelt. Wenn wir dann zu lange warten müssen, haben wir Hunger – und nicht an allen LKW-Parkplätzen gibt es die Möglichkeit, sich etwas zum Essen zu kaufen."
Ach ja, und dann das Parkplatzproblem. Armin ist es langsam satt, überall in Europa nach einem LKW-Stellplatz suchen zu müssen. Die Fahrtzeiten sind schließlich geregelt, Pausen sind Pflicht - nur, wohin mit dem Truck? Da sollten die EU-Staaten dringendst ihre Hausaufgaben machen, meint Armint, sprich: Stellplatzbau, aber bitte mit der dazugehörigen Infrastruktur - "damit man als Fahrer auch mal eine Dusche nehmen kann, wenn man tagelang unterwegs ist." Auch das steht übrigens im europäischen Verkehrswegeplan der Europäischen Kommission, und die Mitgliedstaaten sind überein gekommen, das auch umzusetzen in den kommenden Jahren: Parkplätze für Fernfahrer.
Und die Verkehrstrasse Vc, was meint Armin dazu? "Die neue Autobahn durch Bosnien-Herzegowina wird unseren Alltag einfacher machen. Ich freue mich, dass die jetzt gebaut wird und dass wir damit zumindest die größten Städte Bosnien-Herzegowinas miteinander verbinden." Denn im Norden, durch den Teilabschnitt der ebenfalls zu Bosnien-Herzegowina gehörenden Republika Srpska, gibt es politische Probleme: Der dortige "starke Mann" ist ein pro-serbischer Ultra-Nationalist, der nicht viel übrig hat für EU-Projekte. Jetzt klafft ein "Loch" in der Autobahnstrecke, im Norden fehlt ein Stück…
Interview mit Ferdinand Koenig, dem Sprecher der EU-Delegation
Der Verkehrskorridor Vc wird zu großen Teilen mitfinanziert von der Europäischen Union. Deshalb treffe ich mich in Sarajewo mit Ferdinand Koenig, dem Sprecher der EU-Delegation. Auf meinem Laptop spiele ich ihm eine Frage vor, die mir von Logistik-Manager Mensur Pilav mit auf den Weg gegeben wurde: "Was kann die Europäische Union tun, damit es mit dem Bau der Autobahn schneller voran geht", will Pilav von der EU wissen.
Ferdinand Koenig weist zunächst einmal darauf hin, dass die Verantwortung für Planung und Durchführung für Infrastrukturprojekte bei den Behörden Bosnien-Herzegowinas liegt, die EU gebe "nur" das Geld. Doch dann wird Koenig im Interview doch recht deutlich, so deutlich, wie man es mit diplomatischem Fingerspitzengefühl halt sein kann…
Koenig: "Es dauert manchmal länger als zwei Jahre, damit ein von der EU gewährter Zuschuss von den Behörden hier genehmigt wird. Aufgrund der Schwächen in der öffentlichen Verwaltung dauern gewisse Prozeduren länger als notwendig. Doch in dem Maße, in dem das Land auf dem Weg Richtung EU vorankommt, werden (die Verwaltungsstrukturen) gestärkt. Nicht nur im Bereich der Infrastruktur, sondern auch bei Rechtsstaatlichkeit und dem Kampf gegen die Korruption."
Euronews: "Was können Sie tun, dass EU-Gelder nicht in den falschen Taschen landen?"
Koenig: "Der Kampf gegen die Korruption ist eine der wichtigsten Herausforderungen, die Bosnien-Herzegowina zu bewältigen hat, wenn das Land der Europäischen Union beitreten möchte. Dazu gehört der verstärkte Schutz für Whistleblower und die Umsetzung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, wie beispielsweise des Gesetzes zum Interessenkonflikt, das im vergangenen Jahr angenommen wurde."
Euronews: "Warum wird das Geld europäischer Steuerzahler darauf verwendet, Infrastruktur in Bosnien-Herzegowina zu bauen, zumal das Land ja (noch) nicht Mitglied der EU ist?"
Koenig: "Wir wollen diese Region in den europäischen Binnenmarkt integrieren. Das ist auch eine der Prioritäten des Wachstumspaktes für den Westbalkan. Je stärkeres Wachstum wir hier und anderswo in der Region haben, umso besser ist das für alle von uns, überall auf unserem Kontinent. Also, das ist wirklich gut angelegtes Geld!"
Euronews: "Wann wird die Autobahn fertig sein?"
Koenig: "Die Behörden haben 2030 als Zielmarke gesetzt."
Es gibt verbreitete Zweifel, ob dieses Ziel realistisch ist. Denn Bosnien-Herzegowina ist immer noch ein tief zerstrittenes Land. Es geht nicht nur ums Geld. Es geht auch um politischen Willen. Doch falls Bosnier, Kroaten und Serben zusammenhalten, können Brücken in eine bessere Zukunft gebaut werden – und sogar eine Autobahn nach Europa.