1000 Tage Krieg in der Ukraine: Nicht nur "Putins Krieg"?
1000 Tage nach Beginn des Ukraine-Kriegs wächst die Wut der ukrainischen Bevölkerung auf die Russischen Staatsbürger. Viele glauben, dass sie nicht genug tun, um den Krieg zu beenden. Die russischen Oppositionellen Julia Nawalnaja, Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Murza organisierten deshalb in Berlin eine Demonstration gegen den Krieg. Die Teilnehmer kamen mit gemischten Gefühlen.
"Russische Staatsbürger und Putins Anhänger sind nicht dasselbe“, sagt Sergei, ein Russe, der zum Antikriegsmarsch gekommen ist, um seinen Protest gegen den Krieg in der Ukraine zu zeigen. Seiner Meinung nach ist es Putins Krieg.
"Die Propaganda des Kremls versucht alles, um die ganze Nation mit dieser terroristischen Organisation in Verbindung zu bringen, die die Macht im Land übernommen hat", sagt Sergei.
Er ist überzeugt: "Es geht überhaupt nicht um Nationalitäten. Wladimir Putin und seine Banditen versuchen auf jede erdenkliche Weise, einen nationalen Konflikt daraus zu machen. Aber in Wirklichkeit ist es nur eine terroristische Organisation, er ist nur ein Bandit und das ist alles".
"Das ist absolut nicht zu rechtfertigen. Der Krieg ist jetzt im dritten Jahr und es sterben immer noch Menschen. Es ist einfach ein Gemetzel", sagt Sergei.
Die Frage der kollektiven Schuld
Doch viele Ukrainer sagen, dass es falsch ist, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin allein die Schuld am Krieg zu geben. Sie sehen eine kollektive Verantwortung für den Krieg von Seiten der russischen Bevölkerung.
Lidia, die ursprünglich aus der Ukraine stammt, wollte zunächst nicht an dem Anti-Kriegs Marsch teilnehmen, doch ihr Mann hatte sie überzeugt. "Wenn die Leute gegen den Krieg sind, unterstütze ich das", sagt sie. Ihrer Meinung nach sollten die Russen jedoch die Verantwortung für den Krieg übernehmen, den sie ihrer Meinung nach hätten verhindern können.
"Sie sagen, dass es sich nicht um kollektive Schuld handelt. Wie kann es keine Kollektive Schuld sein? Es gibt so viele von ihnen. Sie hätten das Regime stürzen können, aber sie sind nicht auf die Straße gegangen. Sie haben nichts getan", sagte Lidia.
2014 sind viele Menschen in Russland auf die Straße gegangen, um gegen die illegale Annektion der Krim zu protestieren. Bis 2020 waren Proteste noch möglich. Doch diese wurden brutal niedergeschlagen. Der Kreml unterdrückt seine Bürger mittels des OMON, einer Polizeimiliz und mittels Verhaftungen, die heute in Russland zur Regel geworden sind.
Während des Marsches kamen die Menschen mit verschiedenen Flaggen. Einige hüllten sich in ukrainische Fahnen ein, andere brachten weiß-blau-weiße Fahnen mit, die den Widerstand gegen die russische Invasion in der Ukraine symbolisieren. Einige Menschen brachten die Nationalflagge der Russischen Föderation mit zu dem Protest. Während einige Russische Bürger sagen, dass sie sich weigern, Putin ihre Nationalflagge zu überlassen, ist sie für viele Ukrainer zum Zeichen des Terrors geworden.
"Ich mag die Trikolore ganz sicher nicht", sagt Lidia. "Ich kann ganz klar sagen, dass die Trikolore sich selbst zerstört hat. Mit der Trikolore zu diesem Marsch zu kommen, war, als würde man die Hitlerfahne tragen, es ist einfach falsch. Man kann nicht mit einer faschistischen Flagge aufmarschieren", sagt Lidia.
"Wenn sie ihnen so wichtig war, hätten die Russen sie seit 2022 verteidigen müssen.“
Viele Ukrainer wünschen sich mehr Unterstützung von Russischen Mitbürgern im Ausland
Inzwischen hat sich eine Gruppe von Ukrainern vor der russischen Botschaft versammelt. Sie kritisieren den Mangel an Verantwortlichkeit innerhalb der russischen Gemeinschaft.
Halina, eine ukrainische Geflüchtete, die in Deutschland lebt, glaubt nicht, dass der Krieg nur Putins Schuld ist. Sie ist wütend, weil sie kein Zeichen der Unterstützung durch die russische Gemeinschaft wahrnimmt.
"Heute bin ich sehr, sehr wütend auf die Russen und ihren Wunsch, sich von Putin zu distanzieren, obwohl auch sie für den Krieg in der Ukraine verantwortlich sind“, meint Halina.
"Ich lebe seit zwei Jahren in Deutschland und sehe zum ersten Mal, dass Russen gegen 'Putins Krieg' demonstrieren, obwohl es ihr Krieg ist", sagt sie.
"Das ist nicht unser Krieg"
"Das ist nicht unser Krieg" - ein Satz, welchen prominente Oppositionsanführer immer wieder sagen. Der russische Aktivist Wladimir Kara-Mursa, der zweieinhalb Jahre in einem russischen Gefängnis saß, weil er sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hatte, sagt, er sei stolz auf die Widerstandsbewegung in Russland.
"Ich bin stolz darauf, dass sich so viele unserer russischen Mitbürger seit Februar 2022 öffentlich gegen den Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen haben", so Kara-Mursa.
"Viele haben dafür ihre persönliche Freiheit aufs Spiel gesetzt. Wir haben heute eine Rekordzahl an politischen Gefangenen. Es gibt heute mehr politische Gefangene in Russland als in der gesamten Sowjetunion Mitte der 1980er Jahre. Die am schnellsten wachsende Kategorie der russischen politischen Gefangenen sind diejenigen russischen Bürger, die sich öffentlich gegen Putins Angriffskrieg in der Ukraine ausgesprochen haben. Und diese Tatsache macht mich stolz“, so der Oppositionsaktivist.
Russland geht brutal gegen seine Bürger vor. Jede unvorsichtige Aussage gegen Putin oder den Krieg in der Ukraine kann zu Verhaftungen und langen Gefängnisstrafen führen.
"Wir dürfen nicht vergessen, dass es im Frühjahr 2014 begann. Und vor fast drei Jahren begann eine groß angelegte Invasion, der größte militärische Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs", erinnert Kara-Mursa.
"Die ganze Zeit über versucht die Kreml-Propaganda so zu tun, als ob alle Russen diesen Angriffskrieg unterstützen, dass alle Russen hinter diesem Regime stehen, dass alle Russen Putins imperialistische Operation unterstützen", sagt er.
Für Kara-Murza ist die Teilnahme der vielen russischen Bürger am Antikriegsmarsch ein echter Beweis dafür, dass die Russen gegen den Krieg sind. "Man kann Wahlen und Umfragewerte fälschen, wie man will. Aber das, was wir heute hier sehen, kann man nicht fälschen. Ein Meer von menschlichen Gesichtern, von Russen, von russischen Bürgern, die hierher gekommen sind, um zu sagen: 'Das ist nicht unser Krieg'."
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