Gewalt gegen Frauen: Eine Krise in Deutschland und Europa
Auf dem Severinskirchplatz in Köln stehen sie in Reih und Glied: orangefarbene Schuhe. Jede Frau, die durch Partnerschaftsgewalt in Deutschland getötet wurde, soll hier eine symbolische Spur hinterlassen. Die Schuhe, mal schlicht, mal schick, mal abgetragen, mal neu, erzählen von Leben, die gewaltsam endeten.
Am 25. November, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, stehen weltweit Aktionen und Proteste im Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen.
Deutschland: Zahlen, die schockieren
Die Dimensionen sind erschreckend: Über 180.000 Fälle häuslicher Gewalt wurden 2023 in Deutschland registriert, ein Anstieg um 6,2 Prozent, wie das Bundeskriminalamt (BKA) berichtet.
Fast jeden Tag wird eine Frau getötet, meist durch Partner oder Ex-Partner – insgesamt 360 Femizide in einem Jahr. Digitale Gewalt, Bedrohungen und Stalking nahmen um 25 Prozent zu, doch die Dunkelziffer ist immens. Laut Bundeskriminalamt erlebt jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt.
Aktionen wie die Schuhe in Köln oder eine Installation von Schaufensterpuppen in Mönchengladbach – jede für eine Frau, die durch Partnerschaftsgewalt getötet wurde – lassen das Ausmaß sichtbar werden. In Bochum bringt ein Flashmob namens "Break the Chain" Menschen zusammen, um gemeinsam gegen Gewalt zu tanzen. Städte wie Hohen Neuendorf setzen ein sichtbares Zeichen, indem sie die orangefarbene Fahne hissen, die eine Zukunft ohne Gewalt symbolisieren soll.
Bei all den Symbol-Aktionen ist jedoch eines klar: Es muss sich strukturell etwas ändern.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant ein neues Gewaltschutzgesetz, das unter anderem verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter und elektronische Fußfesseln zur Durchsetzung von Kontaktverboten vorsieht. Ob und wann konkrete Regelungen folgen, bleibt jedoch offen.
Auch Organisationen wie UN Women Deutschland betonen, dass die Istanbul-Konvention endlich konsequent umgesetzt werden muss. Diese fordert umfassende Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Frankreich: Proteste nach Vergewaltigungsprozess
In Frankreich bricht sich die Wut offen Bahn. Am Wochenende vor dem 25. November demonstrierten zehntausende Menschen in Städten wie Paris, Marseille und Rennes.
Angefeuert durch einen aufsehenerregenden Massenvergewaltigungsprozess, bei dem 50 Männer angeklagt sind, Gisèle Pelicot unter Drogen vergewaltigt zu haben, gingen in Paris allein 80.000 Menschen auf die Straße.
Sie fordern eine "politische Erschütterung" und umfassende Reformen. Unter den Demonstrierenden herrscht Einigkeit: Die bisherigen Maßnahmen, von Notrufnummern bis zu Anti-Aggressionsarmbändern, reichen nicht aus. Organisationen wie #NousToutes (#WirAlle) verlangen ein Jahresbudget von 2,6 Milliarden Euro, um die Versorgung und den Schutz von Frauen zu verbessern.
Europa: Gewalt, die kaum gemeldet wird
Auch auf europäischer Ebene bleiben Fortschritte schleppend. Jede dritte Frau erlebt in der EU sexuelle oder körperlicher Gewalt oder Drohungen – ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Dies geht aus einer neuen Erhebung hervor, die von der Agentur für Grundrechte (FRA), dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) und Eurostat veröffentlicht wurde.
Zwischen 2014 und 2024 sank der Anteil der betroffenen Frauen nur minimal (31,4 % auf 30,7 %). Besonders junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren sind gefährdet: 41,6 Prozent berichten von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Dennoch meldet nur jede achte Betroffene diese Vorfälle bei der Polizei.
Regionale Unterschiede zeigen, dass Länder wie Finnland und Schweden höhere Zahlen aufweisen, da Gewalt dort offener thematisiert wird. In anderen EU-Ländern bleiben viele Fälle im Verborgenen, da Hilfsangebote oft schlecht finanziert sind.
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