Zwist in der EU über Reform des Schutzes gegen Kindesmissbrauch
Immer wieder kommen neue Fälle von Kindesmissbrauch in Europa ans Licht, und mit der Entwicklung neuer Technologien entstehen auch neue Formen des Missbrauchs. Daher will die EU ihre Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern aktualisieren, denn diese stammt aus dem Jahr 2011.
Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission wurde jedoch von den EU-Justizministern jüngst abgeschwächt. Sieben Mitgliedstaaten, darunter Belgien, Finnland und Irland, gaben deshalb eine Erklärung mit Vorbehalten ab, in der sie die Streichung wichtiger Passagen, insbesondere zur Einwilligungsfähigkeit von Minderjährigen, bedauern: "Wir bedauern sehr, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten sich unfähig zeigte, einen ehrgeizigeren Ansatz zu unterstützen, um sicherzustellen, dass Kinder, die das Alter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit erreicht haben, den stärksten und umfassendsten rechtlichen Schutz vor unerwünschten sexuellen Handlungen erhalten."
Isaline Wittorski, Regionalkoordinatorin für die EU bei der internationalen Kinderschutzorganisation ECPAT International, ist insbesondere darüber besorgt, dass sich die Mitgliedstaaten nicht für eine weiterreichende Verlängerung der Verjährungsfrist ausgesprochen haben. Sie bedauert zudem, dass der Rat der Justizminister nicht das "Grooming" (absichtliche Kontaktaufnahme von Erwachsenen mit Minderjährigen, um diese zu sexuellen Zwecken zu manipulieren) mit Kindern, die schon das Alter der sexuellen Einwilligungsfähigkeit erreicht haben, angesprochen hat. Und: "Die Mitgliedstaaten haben sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen, im Text anzuerkennen, dass ein Kind, das vor Angst erstarrt ist oder unter Betäubungsmitteln steht, als jemand einzustufen ist, der nicht einwilligungsfähig für Kindesmissbrauch ist."
Harmonisierung der Sanktionen
Der Vorschlag der Kommission zielt darauf ab, die Definition von sexueller Gewalt gegen Minderjährige und die Sanktionen in der EU zu harmonisieren und an die neuen Technologien anzupassen. Er ist auch in Deutschland umstritten.
Ziel ist, das Strafrecht zu aktualisieren, um zum Beispiel Live-Streaming von Kindesmissbrauch im Internet unter Strafe zu stellen, sowie Besitz und Weitergabe von Pädophilen-Handbüchern oder sogenannten Deepfakes, also mit künstlicher Intelligenz hergestellten Bild- und Tonaufnahmen von Kindesmissbrauch.
Etliche Europaabgeordnete wünschen sich ebenfalls eine ehrgeizigere Richtlinie. Die sozialdemokratische Europaabgeordnete Birgit Sippel (S&D) aus Deutschland fordert insbesondere längere Verjährungsfristen: "Viele Kinder brauchen nach dem Missbrauch Jahre und sogar Jahrzehnte, bevor sie es wagen, vor Gericht oder zur Polizei zu gehen. Es handelt sich also um einen sehr wichtigen Schritt, der in der aktuellen Richtlinie fehlt", so Sippel gegenüber Euronews.
"Leider ist das, was ich sehe, dass der Rat fast alles verwässert, was die aktuelle Richtlinie verbessern könnte. Es wird daher sehr wichtig sein, dass das Parlament eine sehr starke Position beibehält und den Rat zwingt, weiterzugehen und sich nicht auf die aktuelle Richtlinie zu beschränken", fügt sie hinzu.
Der Text kann noch geändert werden. Nach einer Abstimmung der Europaabgeordneten werden Trilogverhandlungen zwischen der Kommission, dem EU-Rat und dem Europäischen Parlament stattfinden.
Darüber hinaus konnten sich die Mitgliedsstaaten auch nicht auf einen weiteren Text einigen, eine Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Mit dieser Verordnung sollen Plattformen verpflichtet werden, Inhalte, die sexuelle Gewalt gegen Minderjährige darstellen, zu erkennen und zu entfernen. Dieser Vorschlag hatte ein Tauziehen zwischen Kinderrechtsaktivisten und Datenschutzlobbys erzeugt.
In Europa wird schätzungsweise jedes fünfte Kind Opfer einer Form von sexueller Gewalt. Allein im Jahr 2022 wurden in der EU 1,5 Millionen Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern gemeldet.
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