Putins Vision von Frieden: Unterwerfung der Ukraine und eine schwache euro-atlantische Gemeinschaft
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"Großartige Gespräche mit Russland und der Ukraine. Gute Möglichkeit, diesen schrecklichen, sehr blutigen Krieg zu beenden", kommentierte US-Präsident Donald Trump die Telefongespräche mit Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch.
Die Verhandlungen sollten beim ersten Treffen der US-Delegation mit dem ukrainischen Präsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz Ende dieser Woche beginnen - erste, schwierige Gespräche über mögliche Zugeständnisse und Kompromisse.
Und es sieht ganz danach aus, als ob die Ukraine und nicht Russland drei Jahre nach Beginn des Angriffskrieges dazu gedrängt wird, ihre Erwartungen zurückzuschrauben.
Die Situation für Russland stellt sich hingegen eher günstig dar, da der Kreml "mit einer ziemlich starken Hand in diese potenziellen Verhandlungen geht", meint Neil Melvin, Direktor für internationale Sicherheit bei der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute. Russland habe bereits seine Verhandlungsposition dargelegt - Ansprüche "auf einem sehr hohen Niveau".
"Einige der Forderungen, die Russland in den Verhandlungen stellen wird, wurden bereits anerkannt, wie zum Beispiel, dass die Ukraine kein Mitglied der NATO werden wird", sagt Melvin. "Obwohl es vielleicht einen gewissen Spielraum gibt. Denn wir haben die Diskussion darüber geführt, ob die Ukraine seine Verpflichtung, niemals der NATO beizutreten, einhalten will. Es könnte möglich sein, dass wir in 20 Jahren darauf zurückkommen werden. Die Frage ist also nicht völlig vom Tisch", erklärt er.
Melvin ist sich sicher, dass Putin direkt mit Trump verhandeln will und nicht mit der Ukraine oder den Europäern am Tisch. Russland könnte auch ein viel breiteres Gespräch in Betracht ziehen: "Es wird berichtet, dass es einen Gipfel zwischen Präsident Putin und Präsident Trump in Saudi-Arabien geben wird. Dabei könnte es zu einem Gespräch kommen, das Fragen des Nahen Ostens, allgemeinere Fragen der internationalen Sicherheit, Rüstungskontrolle und die Ukraine umfasst", mutmaßt der Sicherheitsexperte.
"Es besteht also die Möglichkeit, dass es eine Art große Abmachung geben wird, bei der Russland in verschiedenen Bereichen einen Deal anstrebt, um seinen Einfluss auf die Ukraine zu erhöhen."
Bei der Bekanntgabe der Einzelheiten seines Telefongesprächs mit seinem russischen Amtskollegen gab Donald Trump bekannt, dass das Gespräch viel breiter angelegt war und "die Ukraine, den Nahen Osten, Energie, künstliche Intelligenz, die Macht des Dollars und verschiedene andere Themen" umfasste.
Im offiziellen Bericht des Kremls über das Gespräch heißt es, Putin habe die Notwendigkeit betont, "die Ursachen" des Krieges zu beseitigen, und er sei sich mit Trump "einig", dass "eine langfristige Lösung durch friedliche Verhandlungen erreicht werden kann".
Die russischen Behörden haben die "Grundursachen" des Krieges ausdrücklich als die angebliche Verletzung der NATO-Verpflichtungen definiert, nicht nach Osten auf die russische Grenze vorzurücken.
Was Moskau jedoch nicht definiert hat, ist seine Vision für den Frieden.
Will Russland Frieden?
Andrew Novo vom Transatlantischen Verteidigungs- und Sicherheitsprogramm des CEPA erklärt uns im Interview, Putin wolle "den Krieg beenden, zumindest die große Phase des Krieges." Novo betont jedoch, dass ein Waffenstillstand nicht notwendigerweise den Krieg beenden würde. Die große Frage nun sei, wie der Frieden aussehen wird: "Der Westen will Frieden. Die Ukraine will Frieden. Putin will Frieden. Das russische Volk will Frieden. Aber ihre Vorstellungen davon, wie ein Frieden aussieht, sind sehr, sehr, sehr unterschiedlich."
Während der US-Präsident "den Krieg beenden" will, heißt es auch der Europäischen Union, "es geht nicht nur um das Schicksal der Ukraine. Es geht um das Schicksal Europas", wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen es formulierte.
Die ukrainische Regierung hat wiederholt erklärt, sie wolle einen dauerhaften, verlässlichen und gerechten Frieden.
Und was will Moskau?
Sicherheitsexperte Neil Melvin vom Royal United Services Institute ist überzeugt: Der Frieden sei nicht das primäre, vorrangige Ziel Russlands. Schließlich habe Putin diesen Krieg begonnen: "Er hat eine bestimmte Geschichtssicht von Russland - da geht es um ein größeres Russland, ein Russland sogar aus der vorrevolutionären Zeit, der vor-sowjetischen Periode, ein russisches Imperium, in dem viele Gebiete der heutigen Ukraine als russische Kerngebiete betrachtet werden, weil sie von verschiedenen russischen Zaren erobert wurden", erklärt Melvin. Außerdem habe Putin den Krieg losgetreten, "um die euro-atlantische Solidarität und vor allem die Sicherheitspräsenz der USA in Europa zu untergraben."
Diese Ziele würden im Mittelpunkt von Russlands Verhandlungsstrategie stehen und nicht der Frieden, ist Melvin sich gewiss. Und selbst wenn die Ukraine in irgendeiner Form zu territorialen Zugeständnissen gedrängt wird, werde dies für Russland nicht ausreichen: Bei einer Einigung gehe es nicht nur um den Verlust von Territorium, sondern tatsächlich um die "Unterwerfung der Ukraine im weiteren Sinne".
Melvins Erwartung an die Verhandlungen: "Es ist klar, dass die Russen auch auf eine politische Lösung innerhalb der Ukraine drängen werden, die in ihrem Sinne ist, und dass sie auf jeden Fall wollen, dass Präsident Selenskyj ersetzt wird. Sie werden jemanden wollen, der die Föderalisierung der Ukraine vorantreibt, der Russisch zur zweiten Staatssprache macht, der russische Schulen und die russische Kultur institutionalisiert, der der Ukraine vielleicht einen neutralen oder auf jeden Fall einen bündnisfreien internationalen Status gibt, der die Ukraine entwaffnet und den derzeitigen Umfang der Streitkräfte reduziert, und der keine ausländische Militärpräsenz der atlantischen Gemeinschaft zulässt, es sei denn, es handelt sich um ein UN-Friedensmandat."
Maximale Forderungen, minimale Zugeständnisse
Letztendlich wird es um eine Einigung gehen, bei der Russland versucht, maximale Gewinne zu erzielen und nur wenige Zugeständnisse zu machen. Und dies auf Basis der Vorstellung der russischen Führung, dass die "Großmächte Fragen von Krieg und Frieden nach ihren Interessen entscheiden". Deshalb, so Melvin, wolle Putin mit Trump sprechen und nicht mit den europäischen Staats- und Regierungschefs oder der Europäischen Union. Russland werte das erste direkte Gespräch zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten als Anerkennung, als Zeichen, dass die USA "mit der Macht hinter den Kulissen" sprechen wollen, nicht mit den Europäern, und ganz zu schweigen von der Ukraine und deren Präsidenten, den Putin anscheinend abgewiesen hat.
Wolodymyr Selenskyj bekräftigte am Donnerstag noch einmal, keine bilateralen Verhandlungen über die Ukraine hinweg zu akzeptieren.
Das erste Treffen zwischen den US-Regierungsmitgliedern und Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ohne russische Vertreter angesetzt. Die Ukrainer erhoffen sich davon nicht nur mehr Klarheit, sondern auch die Zusicherung, dass die USA die Ukraine nach drei Jahren Krieg weiter unterstützen.
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