Trumps Putin-Politik ist eine Gefahr für Europa

Fährt US-Präsident Donald Trump eine 'Appeasement'-Politik gegenüber Wladimir Putin? Der russische Präsident und Initiator des Angriffskrieges gegen die Ukraine "lache" doch nur über Trumps Bemühungen, einen Frieden zu vermitteln, äußerte die Außenbeauftragte der Europäischen Union, Kaja Kallas, unlängst im Euronews-Interview. "Putin verspottet all diese Initiativen Trumps", so Kallas, "nach den Gesprächen in Alaska hat Putin seine Angriffe noch intensiviert."
Bereits im Februar, am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens, hatte Kallas der neuen Führung in Washington vorgeworfen, im Ukraine-Konflikt einen 'Appeasement'-Kurs zu steuern: "Warum geben wir (Russland) alles was es will, noch bevor die Verhandlungen begonnen haben", kritisierte sie Donald Trumps Eingehen auf die Wünsche des Kreml. "Das ist 'appeasement', das hat noch nie funktioniert!"
'Appeasement', das Wort taucht immer häufiger in den hitzigen Debatten auf. Und es wird so gut wie ausnahmslos in abwertender Absicht gebraucht. Doch was genau ist damit gemeint? Rufen wir mal in Manchester an. An der dortigen Universität lehrt Christian Goeschel 'Neuere Europäische Geschichte'. Der Professor, Jahrgang 1978, gilt als einer der aktuell profiliertesten 'Appeasement'-Forscher der jüngeren Historikerzunft.
Als das Telefon in Manchester klingelt, kämpft Goeschel gerade mit Computerproblemen - und freut sich über die Unterbrechung. Er redet gerne über sein derzeitiges Spezialforschungsgebiet. Zusammen mit seinem Kollegen Daniel Hedinger (Berlin, Kyoto, Leipzig, München) bereitet er gerade ein neues Buch vor, "München '38 - Die Welt am Scheideweg", das Anfang des kommenden Jahres im C.H. Beck Verlag erscheinen wird.
"Seit 1938, als der britischer Premierminister Neville Chamberlain und sein französischer Kollege Edouard Daladier Nazideutschland über den Kopf der Tschechoslowakei hinweg Konzessionen gemacht haben, hat das Wort 'appeasement' im allgemeinen Sprachgebrauch und in der politischen Debatte einen schalen Beigeschmack bekommen", meint Goeschel. "Wir müssen uns bewusst werden, was Appeasementpolitik genau auf Deutsch bedeutet, nämlich Beschwichtigungspolitik", so der Historiker. "Es ist der Versuch, durch weitgehende Zugeständnisse kriegerische Auseinandersetzungen und Kriege zu vermeiden."
Bei der Münchner Konferenz 1938 waren Chamberlain und Daladier vor den Drohungen Adolf Hitlers eingeknickt. Großbritannien und Frankreich ließen die Tschechoslowakei im Stich. Im Münchner Abkommen wurde festgelegt, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland an Deutschland abtreten und das Gebiet innerhalb von zehn Tagen räumen müsse. Chamberlain und Daladier waren den leeren Versprechungen des deutschen Diktators auf den Leim gegangen, statt Frieden zu halten entfesselte Hitler nur wenige Monate später den Zweiten Weltkrieg.
Kann man München 1938, also die Abtretung des Sudetenlandes an Nazideutschland, tatsächlich mit 2025 und der Forderung Putins nach Abtretung großer Teile der Ostukraine vergleichen? Anders gefragt: Sind historische Analogien sinnvoll? Auf alle Fälle, glaubt Goeschel und betont im gleichen Atemzug, dass ein Vergleich keine Gleichsetzung sei. Das ist ihm wichtig, denn "Geschichte wiederholt sich nicht Eins zu Eins." Aber auch wenn man aus der Geschichte keine direkten Handlungsanleitungen für tagesaktuelle Entscheidungen ableiten könne, "so können wir doch versuchen, aus der Geschichte zu erfahren, welche Fehler zu vermeiden sind."
"Es ist ja nicht so, dass Putin genauso wie Hitler ist, darum geht es nicht. Es geht darum, wie liberale Demokratien, wie der Westen vorgehen soll, um grundlegende Werte, also Freiheit, demokratische Gewaltenteilung und das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu bewahren", betont Goeschel. Oder anders formuliert: "Wie geht der Westen mit expansionistischen Diktatoren um?"
Seit der Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ins Weiße Haus habe sich die Lage "verkompliziert", analysiert Historiker Goeschel mit diplomatischem Fingerspitzengefühl, "weil Trump gegenüber Putin kein sehr robustes Auftreten an den Tag legt, im Vergleich zum dominanteren Auftreten seines Amtsvorgängers Biden."
Euronews: Welche Fragen ergeben sich daraus, Herr Professor Goeschel, auch im historischen Vergleich mit 1938?
Goeschel: Was würde geschehen, wenn sich Putin die ganze Ukraine einverleibt? Was kann passieren, wenn die westlichen Mächte die Ukraine preisgeben würden? Was würde passieren, wenn Donald Trump, wenn die westlichen Mächte über den Kopf der Ukraine hinweg einen 'deal' mit Putin abschlössen? Das wäre katastrophal. Denn es würde den Appetit Russlands auf weitere territoriale Eroberungen anheizen.
Euronews: So wie damals bei Hitler, der nach der Einverleibung des Sudetenlandes weiter auf Eroberungszug ging?
Goeschel: So jemand wie Putin ist nicht zu beschwichtigen, so wie 1938 auch Hitler nicht zu beschwichtigen war. Hitler hat damals gesagt, das Sudetenland sei seine letzte territoriale Forderung. Die Regierungschefs Großbritanniens und Frankreichs haben ihm geglaubt. Dabei ging es Hitler um etwas ganz anderes, es ging ihm um die großflächige Eroberung von 'Lebensraum im Osten'.
Euronews: Ist das ein angemessener oder ein etwas 'schräger' Vergleich?
Goeschel: Noch einmal: Wir können nicht einfach Putin mit Hitler gleichsetzen, das ist nicht der Punkt. Aber eine historische Rückbesinnung auf das Münchner Abkommen von 1938 ist eben auch kein schräger oder dummer historischer Vergleich. Es geht auch darum, durch historische Analogien unsere heutige Analysefähigkeit zu schärfen. Es geht darum, besser zu verstehen, was passieren kann, wenn westliche Mächte sich zu zaghaft gegenüber expansionistischen Diktaturen verhalten und ihnen erlauben, sich Territorien anzueignen.
Euronews: Und die Warnung der EU-Außenbeauftragten Kallas, Trump dürfe nicht über den Kopf der Ukraine, auch nicht über den Kopf der Europäer hinweg einen 'deal' mit Putin einfädeln? Gibt es auch hier einen Bezug zu München '38?
Goeschel: Mit dem Wissen um das Münchner Abkommen von 1938 im Kopf sollten wir uns darauf besinnen, was es bedeutet, wenn westliche Mächte, so wie heute Donald Trump, versuchen, über den Kopf der Betroffenen hinweg 'deals' zu machen.
Euronews: Um auf das Wort 'appeasement' zurückzukommen, wäre es richtig oder falsch, die russlandpolitischen Positionen von AfD und BSW als Appeasement gegenüber Putin zu bezeichnen?
Goeschel: Appeasement wäre in diesem Zusammenhang wohl der falsche Begriff. Darum geht es mir nicht. Ganz unabhängig von sogenannten Russlandverstehern gab es ja schon unendlich viele Versuche, Putin zu beschwichtigen. Es gab das Minsker Abkommen, an dem die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel maßgeblich mitbeteiligt war. Es gab das Entgegenkommen der rot-grünen Regierung unter Schröder gegenüber Russland. Es wurden international so viele vergebliche Versuche gemacht, Putin zu beschwichtigen...
Euronews: Wie erklären Sie sich die jahrelange Blindheit der allermeisten Entscheidungsträger gegenüber dem Expansionsstreben Russlands?
Goeschel: Gestern wie heute haben wir es von Seiten der westlichen Mächte mit einer völligen Fehleinschätzung der militärischen Ziele des Gegners zu tun. Hinzu kommt: Die westlichen Demokraten, alle verantwortungsvollen Politiker wollen Krieg vermeiden. Krieg ist das allerletzte Mittel der Konfliktlösung. Und: Es ist nicht gut bestellt um die militärische Verteidigungsbereitschaft Europas. Wir haben uns allzu lange auf den militärischen Schutzschirm der USA verlassen. Das sind die Hauptgründe, warum es so lange gedauert hat, bis wir aufgewacht sind und erkannt haben, wie gefährlich Putin ist.
Im Euronews-Interview hatte die EU-Außenbeautragte Kallas gewarnt, Russland teste den Westen und versuche, die EU-Länder gezielt zu spalten, um die Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. „Putin testet eindeutig den Westen", so Kallas, "er testet, wie weit er gehen kann. Jetzt liegt es an uns, wie und wie stark wir darauf reagieren, was wir zulassen.“
Euronews: Herr Professor Goeschel, angesichts dieses Kallas-Weckrufs und einmal angenommen, Sie würden gebeten, Regierungspolitikern in einer Krisenrunde den einen oder anderen historisch gut fundierten Ratschlag zu erteilen, was wäre das?
Goeschel: Es wäre vermessen von uns Historikern, zu glauben, dass wir tagesaktuelle Entscheidungen mitbeeinflussen könnten. Was wir aber durchaus machen können: Wir können verständlichere Bücher schreiben. Wir können uns in politische Debatten einmischen. Damals beobachteten auch andere Mächte genau, was in München 1938 vereinbart wurde. Japan und Italien beispielsweise zogen die Lehre aus dem Münchner Abkommen, dass expansionistische Politik möglich ist. Politiker entscheiden selbst, ob und was sie aus der Geschichte lernen wollen, im Guten oder im Schlechten.
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