Zurückkehren oder bleiben: Ein Dilemma der nach Europa geflüchteten Syrer

Eine dampfende Teekanne, Wassermelone in Scheiben und Cashewnüsse stehen auf dem Couchtisch. Ahmad Alhamada empfängt uns in seiner Wohnung in Gent, Belgien.
Ahmad kommt aus Idlib im Nordwesten Syriens und floh 2012 aus dem Land, nachdem die Demonstrationen gegen das Regime niedergeschlagen worden waren. Mit dem Sturz von Baschar-al Assad am 8. Dezember 2024 wurden die Karten neu gemischt. Der 30-Jährige überlegt. Soll er nach Syrien zurückzukehren, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen?
Andere haben diesen Schritt bereits getan. Laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) sind zwischen dem 8. Dezember 2024 und dem 24. Juli 2025 fast 720.000 Syrer in ihr Heimatland Syrien zurückgekehrt.
40 Prozent kamen aus dem Libanon zurück, 37 Prozent aus der Türkei. 15 Prozent waren zwischenzeitlich in Jordanien und fünf Prozent kehrten aus dem Irak zurück. In Europa ist die Bereitschaft zur Rückkehr geringer. 81 Prozent der im Mai befragten syrischen Flüchtlinge und Asylsuchenden in Europa hatten laut einer Umfrage des UNHCR nicht die Absicht, in den nächsten zwölf Monaten nach Syrien zurückzukehren.
Rückkehrprogramme in Belgien für Geflüchtete
Ahmad lebt in Belgien. Von dort sind seit dem ersten Januar 2025 159 Syrer freiwillig nach Syrien zurückgekehrt, wie die belgische Bundesagentur für die Aufnahme von Asylbewerbern (Fedasil) berichtet. Die Agentur verwaltet die Programme zur freiwilligen Rückkehr von Belgien in die Herkunftsländer. Diese Programme richten sich an alle Migranten, unabhängig davon, ob sie Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber oder Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung sind.
Diese Programme umfassen die Transportkosten und Reiseunterstützung. Für einige Migranten können sie auch ein Startgeld und Unterstützung für die Reintegration im Herkunftsland umfassen. So haben Rückkehrende finanzielle Förderung, die für den Aufbau eines Kleinstunternehmens, die Anmietung oder Renovierung einer Wohnung oder die Erstattung medizinischer Kosten verwendet werden kann.
Für Syrer gibt es solche Reintegrationsprojekte noch nicht, doch werden sie derzeit von Fedasil vorbereitet.
Wiederaufbau in Syrien: So will Ahmand das Land unterstützen
Ahmad plant, in zwei bis drei Jahren nach Syrien zurückzukehren, um zum Wiederaufbau des Landes beizutragen, wenn die Lage es zulässt. "Es gibt viele Dinge, die getan werden müssen. Das Land hat viele Bedürfnisse. Ich habe hier ein gutes Leben (...), aber ich denke, dass das Land wirklich Unterstützung braucht", versicherte er.
Die Priorität ist seiner Meinung nach die Entwaffnung der Milizen und die Einheit des Landes. Sobald diese Bedingungen erfüllt sind, "können wir zurückkehren und das Land wieder aufbauen und Syrien in die Welt zurückbringen", glaubt er. Auch wenn sein Projekt noch nicht konkret ist, möchte er insbesondere die Demokratie in Syrien über seinen Verein, das Demokratische Zentrum für Menschenrechte (DCHR), fördern.
Er fügt hinzu, dass die in Europa ansässigen Syrer auch eine Vermittlerrolle beim Wiederaufbau ihres Landes spielen könnten: "Wir können europäischen Unternehmen helfen, Möglichkeiten in Syrien zu finden. Und wir können auch der syrischen Regierung helfen, Unternehmen für Investitionen zu gewinnen", versichert er.
Verhaftung und Folter: Ahmads Studium in Damaskus
Ahmad studierte an der Universität Damaskus, um Ingenieur zu werden, als 2011 die Anti-Regime-Proteste begannen. Er war Mitbegründer der "liberalen Studentenbewegung" und nahm an den Protesten gegen Baschar al-Assad teil, den er als "Diktator" bezeichnete: "Das Land war wie ein Gefängnis, man durfte nicht reden, man durfte keine Meinung haben und wenn man es tat, wurde man getötet", sagte er.
Von der Universität verwiesen, wurde er verhaftet und drei Monate lang im berüchtigten Saidnaya-Gefängnis nördlich von Damaskus inhaftiert. Er war Scheinhinrichtungen und Folter mit Strom ausgesetzt, bevor er von einem Gericht freigesprochen und freigelassen wurde, um seiner Meinung nach Platz für andere Gefangene zu schaffen.
Daraufhin floh er mit seinen Eltern und Geschwistern aus Syrien und ließ sich im Libanon nieder, um in der Nähe seines Heimatlandes zu bleiben. Dort blieb er drei Jahre lang, eröffnete unter einem libanesischen Alias einen kleinen Laden und half bei der Eröffnung von Schulen für syrische Kinder.
Der Libanon ist das Land, das weltweit die meisten Geflüchteten pro Kopf aufnimmt. Die libanesische Regierung schätzt, dass sich etwa 1,4 Millionen Syrer im Libanon aufhalten, von denen mehr als 700.000 vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) als Flüchtlinge registriert wurden.
Flucht nach Europa
Angesichts der sich verschlechternden Lebensbedingungen und der Drohungen der Hisbollah beschloss Ahmad, den Libanon zu verlassen. "Der Libanon wurde gefährlicher für die Syrer, die in der Region gegen Assad und den Iran sowie gegen die Hisbollah sind. Also waren wir auch ein Ziel für die Hisbollah, meine Familie ebenfalls", sagt Ahmad. Er besteigt in der Türkei ein Boot, überquert das Mittelmeer nach Griechenland und gelangt dann über Nordmazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland.
Der Taxifahrer, der ihn und seine beiden Freunde über die Grenze zwischen Serbien und Ungarn bringt, bedroht sie in einem Wald mit einem Messer und versucht, 2.000 Euro von ihnen zu erpressen, erzählt Ahmad weiter. Nach einer insgesamt zweiwöchigen Reise kommt er 2016 schließlich in Belgien am Nordbahnhof in Brüssel an.
Heute arbeitet er im IT-Bereich einer öffentlichen Verwaltung und hat die doppelte Staatsbürgerschaft Belgiens und Syriens. In Belgien gründete er einen kleinen Verein, das Demokratische Zentrum für Menschenrechte (DCHR), und wurde Vorsitzender eines Vereins, der die syrische Gemeinschaft in Belgien vertritt.
Wiedersehen mit Syrien: "Ein sehr bewegender Moment"
Als Ahmad am 8. Dezember 2024 aufwacht, entdeckt er noch halb im Schlaf beim Blick auf sein Handy, dass Baschar al-Assad in der Nacht geflohen ist. "Es war ein großer Tag", erinnert er sich. Er feierte den ganzen Tag in den Straßen von Brüssel mit der syrischen Gemeinschaft und stieg drei Tage später in ein Flugzeug nach Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Von dort nimmt er ein Taxi bis zur syrischen Grenze, die er zu Fuß überquert.
Die Fotos der Familie al-Assad, die normalerweise am syrischen Grenzübergang aushängen, sind verschwunden. "Es war nur die syrische Flagge zu sehen, das ist mehr als genug", freute sich Ahmad. Der Grenzposten wird nun von Soldaten der Freien Syrischen Armee besetzt. Er fällt ihnen in die Arme und weint an ihrer Seite. "Es war ein sehr bewegender Moment", erinnert er sich.
Zuerst machte er sich auf den Weg zu seiner Universität in Damaskus. "Ich wurde abgeschoben und jetzt bin ich wieder da und Baschar al-Assad ist weg. Für mich ist das also eine Art Gerechtigkeit und Karma", freut er sich. Dann reist er nach Homs, Hama, Idlib und Aleppo: "Ich musste jede Stadt umarmen und durch die Straßen laufen und mit den Menschen sprechen", sagt er.
Er beschreibt zerstörte Städte, Frauen, die mit Fotos in der Hand nach ihren Angehörigen suchen, aber auch Szenen der Freude und Heiterkeit. Er trifft sich mit Familienmitgliedern in Idlib. Sein Haus wurde - wie ein großer Teil der Stadt - zerstört. Er will es wieder aufbauen. Doch vorerst kehrte er zurück nach Belgien.
In Europa bleiben: Syrien bleibt "ein Schlachtfeld"
Auch die 27-jährige Aisha Abbas lebt seit 2017 in Antwerpen, Belgien. Sie stammt aus Darkoush, einer Kleinstadt in der Nähe von Idlib im Nordwesten Syriens an der türkisch-syrischen Grenze.
Das Regime von Baschar al-Assad fällt Anfang Dezember 2024, gestürzt durch eine Rebellenoffensive unter der Führung der Organisation Hayat Tahrir al-Sham. "Ich konnte es nicht glauben. Es fühlte sich wie ein Traum an", erinnert sich Aisha. Sie erzählt, sie habe zwei Tage lang nicht geschlafen, weil sie sich so sehr an die Nachrichten klammerte.
Sie bedauert, dass ihr Vater, der "sein ganzes Leben für diesen Moment gelebt hat", nicht mehr da ist. Ihr erster Gedanke: sie kann das Land, in dem sie geboren wurde, endlich wiedersehen. "Ich möchte die Straßen sehen, ich möchte die Gesichter der Menschen sehen, ich möchte sehen, wie sie leben", sagte sie.
Eine endgültige Rückkehr in ihr Heimatland schließt sie jedoch aus, in erster Linie wegen der unsicheren Lage. "Wie können Sie erwarten, dass ein Ort, an dem seit 14 Jahren Krieg herrscht, für die Menschen sicher ist (...) es ist ein Schlachtfeld", sagt sie. "Der Sturz der Regierung wird nicht wie ein Zauberstab alles wieder gut machen".
Sie wüsste zunächst nicht einmal, wohin sie gehen sollte. "Ich habe kein Haus. Ich weiß nicht, ob ich arbeiten oder ein Leben haben kann. Ich hätte keine Freunde. Die Hälfte meiner Familie ist tot. Ich habe sogar Angst vor dem Gedanken, Syrien zu besuchen und die Orte zu sehen, an denen vielleicht niemand mehr da ist", erklärt sie. Zum dritten Mal von vorne anzufangen, nachdem sie bereits alles verloren hatte, entmutigt sie auch bei der Rückkehr. Sie strebt ein Leben in Belgien an, in Antwerpen, das "ziemlich international" ist, oder in Gent, "einer sehr ruhigen Stadt".
Proteste endeten gewaltsam
2011 nahm Aishas Vater an den Protesten gegen das Regime von Baschar al-Assad teil, die von den Machthabern gewaltsam niedergeschlagen wurden. "Wir waren nicht sicher, weil er eine wichtige Person in der Revolution war", erklärt Aisha. Im Juni jenes Jahres floh die 13-jährige Aisha daher mit ihren drei jüngeren Brüdern und ihrer Mutter aus Syrien zu ihrer Tante auf die andere Seite des Flusses Orontes, nach Antiochia in der Türkei.
"Ich habe nicht einmal Taschen gepackt", erinnert sie sich, "ich dachte, ich würde im September zum Schulbeginn wieder da sein". Schließlich nahm sie den Unterricht in einer "Schule" wieder auf, die von der syrischen Gemeinde in einer Wohnung eröffnet worden war. "Ich war ein Jahr lang wirklich deprimiert, bis mir klar wurde, dass wir hier ein Leben hatten und dass wir daran arbeiten und eine neue Gemeinschaft aufbauen mussten, um neue Freunde zu finden", sagt Aisha. Ihre Mutter eröffnet eine kleine Werkstatt, in der Frauen ihre Entwürfe wie Kleider, Häkelkreationen oder Kunsthandwerk herstellen und verkaufen können. Die Familie bleibt sieben Jahre in der Türkei.
Aishas Vater erreicht schließlich Europa, indem er mit einem Boot von Mersin in der Türkei über das Mittelmeer nach Griechenland nimmt und dann nach Antwerpen fährt. Über die Familienzusammenführung kann Aisha mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter mit dem Flugzeug zu ihm kommen. "Das Leben in der Türkei war wirklich hart für uns und es wurde nicht besser. Es wurde immer schlimmer", erklärt die Studentin, "er dachte, dass Europa vielleicht besser für die Schule und die Arbeit wäre".
Ein neues Leben aufgebaut
Die sechsköpfige Familie lebte zunächst in einer Einzimmerwohnung, bevor es ihr gelang, eine Wohnung auf dem Land zu mieten. "In Belgien war es ganz anders, weil ich mich anders fühlte, wie ich mich kleidete, wie ich sprach. Ich sprach kein Niederländisch, ich sprach die ganze Zeit Englisch. Ich fühlte, dass ich anders war, und es war wirklich schwierig", erinnert sich Aisha. Da sie bereits dreisprachig ist - sie spricht fließend Arabisch, Türkisch und Englisch -, lernt sie leicht Niederländisch und macht einen Bachelor in Marketing und Kommunikation.
Um ihr Studium zu finanzieren, arbeitet sie in einem Zero-Waste-Bioladen und gibt Keramikkurse. Im Herbst beginnt sie ein Bachelorstudium in Kommunikation und strebt eine Tätigkeit im Marketing oder im Journalismus an. Da sie keinen Flüchtlingsstatus erhalten hat, muss sie ihre Aufenthaltserlaubnis jedes Jahr erneuern und versucht, die belgische Staatsbürgerschaft zu erwerben.
Mehr als sechs Millionen Syrer waren Ende 2024 Geflüchtete oder Asylsuchende, hauptsächlich in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. In der EU gab es etwa 1,3 Millionen syrische Geflüchtete oder Asylsuchende, hauptsächlich in Deutschland, Schweden und Österreich.
Bereits am Tag nach der Flucht von Baschar al-Assad kündigten europäische Länder, darunter Deutschland, Dänemark und Österreich, an, die Prüfung von Asylanträgen von Syrern aussetzen zu wollen. In diesem Jahr haben Syrer im Vergleich weniger Asylanträge in EU-Ländern gestellt, wie aus den am 8. September veröffentlichten Zahlen der Asylbehörde der Europäischen Union (EUAA) hervorgeht. Sie stellen nicht mehr die wichtigste Nationalität unter den Asylbewerbern in der EU dar, sondern werden von Venezolanern und Afghanen überholt. Einige Gruppen von Syrern sind jedoch immer noch von Verfolgung bedroht, warnt die Agentur.
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