"Tod der Demokratie durch tausend Schnitte": Maria Ressa über Trump, Duterte und Big Tech

"Kurz nach Trumps zweiter Amtseinführung warnte ich, dass wir in Amerika eine Philippinisierung erleben werden, was die Zerstörung von Institutionen betrifft", erklärt die Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin, Maria Ressa, gegenüber Euronews.
Sie erlebe momentan ein Déjà-vu an das, was sie unter der Herrschaft des ehemaligen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte erlebt habe.
"Auf den Philippinen brauchte Duterte etwa sechs Monate, um die Institutionen zu zerschlagen", ergänzt sie und spielt damit auf Dekrete des US-Präsidenten Donald Trumps in seiner zweiten Amtszeit an.
Erst vergangene Woche hatte Trump eines seiner Wahlversprechen erfüllt, indem er Zölle "auf die ganze Welt" verhängt hatte. Zwar hat sich Trump schon offen für Verhandlungen gezeigt, doch die genauen Auswirkungen der Zölle auf die Weltwirtschaft sind noch unklar.
Der US-Business Roundtable, der führende Unternehmensverband, warnte jedoch, dass die universellen Zölle "das Risiko bergen, amerikanischen Herstellern, Arbeitnehmern, Familien und Exporteuren großen Schaden zuzufügen", berichtet die New York Times.
"Tod der Demokratie durch tausend Schnitte"
Einige Wochen zuvor hatte Trump angekündigt, die Finanzierung für die Medienunternehmen RFE/RL und Voice of America (VoA) einzustellen. Zugleich bezeichnete er die privaten Medienunternehmen CNN und MSNBC als "unehrlich" und sagte, dass die Sender "abgeschaltet" würden. Ressa nennt diese Entwicklungen den "Tod der Demokratie durch tausend Schnitte" und zieht Vergleiche zu ihrem Heimatland, den Philippinen.
"Die philippinische Verfassung ist im Wesentlichen nach der der USA modelliert, mit drei Staatsgewalten und einer Bill of Rights, in der Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung verankert sind", erklärt sie. "Innerhalb von sechs Monaten nach Dutertes Amtsantritt zerstörte er die Institutionen, die Gewaltenteilung verschwand und er wurde der mächtigste Mann."
Duterte war von 2016 bis 2022 Präsident der Philippinen. Er wurde vergangenen Monat nach einem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs verhaftet und ist nun in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Die Anklage bezieht sich auf seine brutale Drogenkriegsführung, bei der Tausende getötet wurden. CNN berichtet hier von "Todeskommandos", die unter seiner Führung operierten. Die Opferzahl dieser Kommandos reicht von rund 6.000 bis 30.000 Menschen.
Duterte griff auch wiederholt die Presse und die in der Verfassung verankerte Pressefreiheit an und drohte Journalisten mit Gewalt. Besonders Ressa und ihre Nachrichtenwebsite Rappler standen in seinem Visier.
Während seiner Amtszeit wurden mehrere Gerichtsverfahren gegen Ressa eingeleitet, darunter Steuerhinterziehung. Im Januar 2023 wurde sie in vier Anklagen wegen Steuervergehen, die 2018 von der Regierung des ehemaligen Präsidenten Rodrigo Duterte erhoben wurden, freigesprochen.
Trotz Freispruch in diesem Verfahren besteht noch die Anklage auf Online-Verleumdung aus dem Jahr 2019. Der Grund? Ein im Jahr 2012 veröffentlichter Artikel. Amnesty International hat diese Anklage als einen "weiteren absurden juristischen Angriff" auf Ressa und Rappler bezeichnet.
Trotz der andauernden Angriffe und Belästigung blieb Ressa standhaft. Im Oktober 2021 wurden sie und der russische Journalist Dmitri Muratow für ihre "Bemühungen um die Wahrung der Meinungsfreiheit" mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
"Nochmal: Was bist du bereit, für die Wahrheit zu opfern?", fragt Ressa und fügt hinzu, dass ihrer Meinung nach eine Demokratie und ihre Bürger am stärksten sind, "wenn sie handeln, bevor der politische Herrscher Demokratie mit tausend Schnitten tötet."
Die Frage sei zentral, wenn man sich einem Diktator widersetze, erklärt Ressa und nennt als aktuelles Beispiel die Proteste in Georgien gegen die Regierung.
"Big Tech hat unsere Biologie gehackt"
Dass unsere Demokratie in so großer Gefahr sei, wurde Ressa zufolge vor allem durch die Technologie ermöglicht. "Das öffentliche Informationssystem, in dem wir uns befinden, ermöglicht es, Lügen sechsmal schneller zu verbreiten", erklärt die Journalistin und zitiert eine Studie des MIT aus dem Jahr 2018.
Die Studie besagt, dass falsche Nachrichten im Internet schneller und weiter verbreiten als wahre Nachrichten. Dafür haben die drei Forscher etwa 126.000 Beiträge auf Twitter von 2006 bis 2017 analysiert. "Das war, bevor Elon Musk Twitter kaufte und es zu X machte. Heute ist es noch toxischer", ergänzt Ressa.
Auffällig ist das Fehlen einer Legislative, die die Exekutivgewalt kontrolliert, so Ressa. "Es ist notwendig, dass die amerikanischen Bürger verstehen, dass die Art und Weise, wie sie gewählt haben, eine technologiegestützte Manipulation einer Demokratie auf molekularer Ebene darstellt, meint die Journalistin und fügt hinzu, dass "Big Tech unsere Biologie gehackt" habe.
"Sie verändern, wie wir uns fühlen und wie wir die Welt sehen", erklärt Ressa gegenüber Euronews.
Das würde demnach ändern, wie wir handeln und wählen. "Die Gefahr für die Welt heute ist, dass die "Broligarchie", die von Elon Musk repräsentiert wird, tief mit der US-Staatsmacht verflochten ist." Das hat man bei der Amtseinführung, als die Tech-CEOs alle anwesend waren, sehen können", sagt die Rappler-Chefin.
Die Auszeichnung, die Trump will?
Die philippinische Journalistin hat eine Sache, die US-Präsident Trump auch gerne hätte: den Friedensnobelpreis.
Der New York Times zufolge hat sich Trump bereits seit einem Jahrzehnt öffentlich und privat darüber beschwert, dass er den Preis noch nicht gewonnen habe. So haben aktuelle und ehemalige Berater des Präsidenten gesagt, dass der Preis auch bei den Waffenstillstandsvereinbarungen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und im Krieg zwischen Israel und der Hamas eine "große Rolle" spielt.
Ressa erinnert sich an die Opfer, die sie und ihre Kollegen auf den Philippinen bringen mussten, um gegen das autoritäre Duterte-Regime zu kämpfen - eine Arbeit, für die sie mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Gegenüber Euronews betonte sie jedoch, dass "das Tun des Richtigen, auch inmitten von Bedrohungen, der einzige Weg sei, den eigenen Prinzipien treu zu bleiben, unabhängig davon, ob man dafür Belohnungen erhalte".
Zwar sei Ressa als Journalistin kein Fan von Spekulationen, doch ist sie in Bezug auf mögliche Friedensverhandlungen angekurbelt durch die Trump-Administration der Meinung, dass "Friedensvereinbarungen ohne Gerechtigkeit nur zu weiterer Ungerechtigkeit führen würden".
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