Wendepunkt, Apokalypse oder Erneuerung: Was bringt die Mondfinsternis über Europa?

Der Blutmond, also eine totale Mondfinsternis, ist seit Jahrhunderten von Aberglauben umgeben – oft mit düsteren oder apokalyptischen Assoziationen.
In vielen Kulturen – von Babylon über China bis Mittelamerika – wurde der Blutmond als bedrohliches Zeichen gedeutet: für den Tod von Herrschern, drohende Kriege, Naturkatastrophen oder "göttliche Strafen".
In manchen afrikanischen Kulturen gilt er hingegen als Zeichen der "Erneuerung". Die Batammaliba, eine westafrikanische Volksgruppe in Togo und Benin, interpretieren eine Mondfinsternis – insbesondere einen "Blutmond" – als symbolischen Kampf zwischen Sonne und Mond. Sie versuchen, Konflikte beizulegen – und "die Sonne und den Mond zu versöhnen" – indem sie Frieden in ihren Gemeinschaften stiften.
Für Astronomen und Astrologen unserer Zeit ist dieses Ereignis gleichermaßen interessant - auch wenn sich hier wieder die Geister scheiden.
Längste Mondfinsternis seit Jahren
Am Sonntag nun steht uns eine totale Mondfinsternis bevor - mit etwa 82 Minuten die längste seit 2022.
Dabei steht die Erde steht genau zwischen Sonne und Mond. Ihr Schatten fällt vollständig auf den Mond, wodurch dieser verdunkelt wird. Nur rot gefärbtes Licht dringt durch die Erdatmosphäre und fällt gebrochen auf den Mond – daher seine rötliche Erscheinung und der populäre Ausdruck "Blutmond".
Dr. Florian Freistetter ist Astronom und Wissenschaftsautor. Aus wissenschaftlicher Sicht gebe es an den Finsternissen nicht mehr viel zu beobachten, sagt er: "Da hat die Astronomie in den letzten Jahrhundert alles erforscht, was sinnvoll erforschbar ist. Das bedeutet aber gleichzeitig: Ich kann den Anblick einer Finsternis in Ruhe genießen, ohne mich um die Wissenschaft kümmern zu müssen."
Stichwort "Wissenschaft": In der Antike und im Mittelalter waren Astrologie und Astronomie nicht getrennt – beide befassten sich mit der Beobachtung der Himmelskörper und existierten mit ihren verschiedenen Deutungen nebeneinander. Von Babylon über Griechenland, Indien bis in die arabische Welt wurde Astrologie gepflegt und war fester Bestandteil der Medizin, der Philosophie, der Kirche und der Politik.
Zeitalter der Aufklärung sorgte für eine Zäsur
Das änderte sich mit der Zeit der Aufklärung, einer Epoche, die etwa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert dauerte. Sie hatte ihren Ursprung in Europa und verbreitete sich später weltweit.
Der Franzose René Descartes (1596–1650) war maßgeblich an dieser intellektuellen Bewegung beteiligt, die vor allem die Vernunft zur Basis des Denkens erklärte: "Ich denke, also bin ich". Die Astrologie, die sich mit der Bedeutung der Position der Himmelskörper für das irdische Geschehen beschäftigt, widersprach einer Naturauffassung, in der es nichts gab, was physikalisch nicht erklärbar ist und passte damit nicht mehr in das dominierende Wissenschaftsbild.
Rousseau: Heute ein veraltetes Frauenbild
Übrigens vertraten auch viele Aufklärer, darunter Kant, Rousseau und Voltaire, die Vorstellung, dass Frauen von Natur aus weniger rational und daher besser für Familie und Erziehung der Kinder geeignet seien. Für Rousseau z. B. waren Frauen vor allem Mütter und Gefährtinnen, nicht gleichberechtigte Bürgerinnen.
Dr. Gerhard Meyer, Dipl.-Psychologe, und Forscher in der Abteilung Empirische Kultur- und Sozialforschung an seinem Institut für Grenzgebiete der Psychologie in Freiburg erklärt, dass sich dies eine Ära war, in der sich das Verhältnis des Menschen zur Natur maßgeblich änderte. Es galt "die Vorstellung, dass die Welt wie eine Maschine verstanden werden kann, die nach mechanischen Prinzipien funktioniert, für die Wissenschaft beherrschend wurde - mit der Physik als einer Leitwissenschaft."
Gleichzeitig entstand hingegen zum Ende des 17. Jahrhunderts eine Parallelströmung: das Zeitalter der Romantik. Deren Anhänger lehnten ein mechanistisches Weltbild ab und interessierten sich für die Seele, das Unbewusste und auch Unsichtbare und nur Fühlbare.
Dr. Meyer hält die Astrologie für wissenschaftlich untersuchbar, da "die zugrundeliegenden Planetenbewegungen regelhaft und vorhersagbar sind. Das Problem ist die hohe Komplexität der Zusammenhänge." Er hofft darauf, dass die Künstliche Intelligenz (KI) künftig dabei helfen wird, besser mit dieser Komplexität zurechtzukommen.
"Esoterischer Unsinn"
Für den Astronom Freistetter ist Astrologie ist schlicht und einfach esoterischer Unsinn: "Es gibt absolut keinen Grund, warum das Ganze funktionieren soll und warum die scheinbare Position am Himmel einiger Kugeln aus Gestein, Metall und Gas in Millionen Kilometer Entfernung irgendwie etwas über unser persönliches Leben und unsere Zukunft aussagen soll."
Astrologie könne nicht funktionieren, weil sie in sich komplett inkonsequent ist: "Es gibt keinerlei astroLOGISCHE Regeln, die besagen, welche Himmelskörper im Horoskop eine Rolle spielen und welche nicht", betont Freistetter.
Silke Schäfer, eine der bekanntesten Astrologinnen im deutschsprachigen Raum, die eine eigene Astrologieschule leitet, widerspricht: "Das ist ein klassisches Statement, wie es oft von Astronomen kommt, die Astrologie nur oberflächlich kennen."
Die Regeln der Astrologie seien keinesfalls beliebig, sondern würden in einem umfassenden Fachstudium Schritt für Schritt erlernt. Für Schäfer ist dies ein kulturelles Erbe, das "seit über 2000 Jahren mit einem klar strukturierten Symbolsystem" existiert. Grundlage sei der Tierkreis mit seinen 12 Zeichen, die exakt auf der Ekliptik basieren, also auf der Bahn der Erde um die Sonne. "Es gibt klar definierte Planeten-Herrscher, Aspektwinkel (Konjunktion, Quadrat, Trigon etc.) und Häuser-Systeme."
Astrologie vs. Astronomie
Und warum soll das funktionieren?
"Astrologie beschreibt Sinn-Zusammenhänge, nicht Kausalmechanik", erklärt Schäfer. "Die Planeten "bewirken" nicht etwas im physikalischen Sinn, sondern spiegeln Rhythmen, Zyklen und Archetypen wider, die sich in Natur, Geschichte und Biografie beobachten lassen."
Das Prinzip der Analogie dürfe nicht mit der Kausal-Logik der Physik verwechselt werden.
Der Dipl.-Psychologe Markus Jehle aus Berlin, Autor mehrerer Fachbücher zum Thema Astrologie, geht noch einen Schritt weiter: "Wir benutzen Planetendaten der NASA für unsere Software und die Berechnungen, die wir anstellen, sind hoch präzise." Die Astronomen würden ihre Argumente immer wieder anbringen, um für Aufmerksamkeit zu sorgen.
"Schließlich kann man die Lufttemperatur auch in Celsius und Fahrenheit messen, deswegen verneint es nicht die Richtigkeit der jeweils anderen Maßeinheit."
Astronomen verstünden in der Regel nicht viel von einem "Wissenssystem Astrologie", so Dr. Mayer. "Die Unwissenheit ist hier auf Seiten der Astronomen, denn den Astrologen ist schon seit der Antike bekannt, dass es eine Präzession des Frühlingspunktes gibt: Die Astrologie arbeitet nicht mit Sternbildern, sondern mit Tierkreiszeichen, die einen fiktiven Jahreskreis bilden, der in 30°-Abschnitte unterteilt ist."
Astrologie sei kein naturwissenschaftliches Experiment, fügt Silke Schäfer hinzu, sondern eine "Hermeneutik", eine Deutungskunst. Wie bei der Literaturwissenschaft oder auch der Psychotherapie gebe es Regeln, aber auch Interpretationsspielräume.
"Anstelle sich gegenseitig abzuwerten, wäre es fruchtbar, anzuerkennen: Astronomie und Astrologie beschäftigen sich beide mit dem Himmel. Astronomie mit den messbaren Fakten, Astrologie mit den Bedeutungen für uns Menschen und die gesamte Evolution. Beides ergänzt sich und gehört zusammen. Immer schon."
Frankreichs Ex-Präsident Mitterand ging zur Astrologin
Gibt es Beispiele von zeitgenössischen Politikern, die zu Astrologen gegangen sind? Tatsächlich ließ sich François Mitterrand, bis heute der am längsten amtierende Präsident Frankreichs (1981-1995), regelmäßig von der Schweizer Astrologin Élizabeth Teissier beraten – sowohl zu persönlichen Themen wie seiner Gesundheit als auch zu staatsrelevanten Entscheidungen, etwa dem Golfkrieg oder dem Zeitpunkt für das Maastricht-Referendum.
An diesem Sonntag, dem 7. September jedenfalls erscheint mit dem Blutmond eine totale Mondfinsternis, die in vielen Teilen Europas gut zu beobachten ist. Manche Astrologen betrachten dieses Ereignis als kraftvollen Vollmond, der individuell Wendepunkte mit sich bringen kann. Das, was im Leben ausgedient hat, würde sich deutlich zeigen, damit man es hinter sich lassen kann. Mit Aberglauben hat das nach deren Ansicht nichts zu tun.
Für Dr. Freistetter sind Finsternisse interessant und faszinierend, aber aus einem anderen Grund: "Es ist vor allem ein ästhetisch beeindruckendes Naturereignis und wir können froh sein, auf einem Planeten zu leben, auf dem man so etwas beobachten kann. Die Erde ist in einer einzigartigen Position, so dass Sonne und Mond an unserem Himmel - zufälligerweise - genau gleich groß erscheinen und deswegen einander verdecken können."
Fest steht: Die Mondfinsternis diesen Sonntag können Sie ganz entspannt als Naturereignis genießen: Statistische Untersuchungen zeigen keinen Zusammenhang zwischen Blutmonden und (Natur-)katastrophen.
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