"Berlin als Zwischenstopp nach Alaska": Was hat Merz virtueller Ukraine-Gipfel erreicht?

Bundeskanzler Friedrich Merz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben nach dem von Merz initiierten virtuellen Gipfeltreffen ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem sie sich auf fünf zentrale Punkte verständigten.
"In Alaska müssen grundlegende europäische und ukrainische Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben", so Merz.
In ihrer gemeinsamen virtuellen Schalte, bei der auch US-Präsident Donald Trump und sein Vize JD Vance anwesend waren, sagt Merz, dass sie verschiedene Punkte für die Verhandlungen deutlich gemacht haben, darunter, dass die Ukraine am Tisch sitzen muss, sobald es ein Folgetreffen gebe.
Merz bekräftigt jedoch, dass ein Waffenstillstand "am Anfang stehen muss", wesentliche Elemente sollten dann anschließend in einem Rahmenabkommen vereinbart werden.
'Rechtliche Anerkennung russischer Besetzungen steht nicht zur Debatte'
"Drittens, die Ukraine ist zu Verhandlungen über territoriale Fragen bereit, dann muss aber die sogenannte Kontaktlinie der Ausgangspunkt sein", erklärt Merz. "Und eine rechtliche Anerkennung russischer Besetzungen steht nicht zur Debatte. Der Grundsatz, dass Grenzen nicht gewaltsam verändert werden dürfen, muss fortgelten.
Der vierte Punkt, der besprochen wurde, sind "robuste Sicherheitsgarantien", jedoch bestätigt der Kanzler, dass konkrete Garantien nicht besprochen wurden. Er betont jedoch, dass die ukrainischen Streitkräfte instand "sein und bleiben müssen", um die Souveränität ihres Landes wirkungsvoll zu verteidigen.
Der fünfte und letzte Punkt ist die Forderung, dass Verhandlungen Teil einer gemeinsamen transatlantischen Strategie sein müssen, nur "dann können sie am Ende am ehesten auch gelingen".
"Diese Strategie muss weiter auf starke Unterstützung für die Ukraine und notwendigen Druck gegen Russland setzen, das heißt, gibt es in Alaska keine Bewegung auf der russischen Seite, dann sollten und müssen die Vereinigten Staaten und wir Europäer den Druck erhöhen", schloss Merz.
Merz erinnert zudem an den Jahrestag des Mauerbaus, der sich heute zum 64. Mal jährt. Der russische Angriffskrieg habe die "Wunde der europäischen Teilung wieder aufgerissen", so Merz.
Warum hat Merz den virtuellen Gipfel geplant?
Diesen Freitag werden sich US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin in Alaska treffen. Dort soll über eine mögliche Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gesprochen werden. Die Ukraine, oder Europa, werden bei dem Treffen jedoch nicht anwesend sein.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat daraufhin kurzfristig einen virtuellen Gipfel geplant, der am heutigen Tage in Berlin stattfand. Der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, ist dafür überraschend in die deutsche Hauptstadt gereist.
Zwei Videoschalten waren geplant: die erste, um 14 Uhr, mit europäischen Staats- und Regierungschefs, darunter Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Finnland, sowie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa und NATO-Generalsekretär Mark Rutte.
Eine zweite Schalte ist für 15 Uhr geplant. Dort sollen auch Trump und sein Vize-Präsident JD Vance teilnehmen.
Vor der Schalte veröffentlichte Trump einen Beitrag auf seiner Social-Media-Plattform "Truth Social", in der er die europäischen Staats- und Regierungschefs "großartige Leute" nannte, die "einen Deal wollen".
Ein Sprecher des russischen Außenministeriums reagierte auch schon auf den Gipfel und sagte: "Wir halten die von den Europäern angestrebten Beratungen für politisch und praktisch unbedeutend."
Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte, die Gespräche dienten dazu, weiteren Druck auf Moskau auszuüben und mögliche Friedensverhandlungen samt Fragen zu Gebietsansprüchen und Sicherheitsgarantien vorzubereiten.
Gebietsabtretungen, 'der absolute Weg ins Nichts'
US-Präsident Donald Trump sagte vor kurzem, dass die Ukraine und Russland einen "Landtausch" vornehmen werden müssen, der für beide Länder "gut" und "schlecht" sein werde. Diese Gebietsabtretungen nennt er einen wichtigen Teil seiner Bemühungen, den Krieg zu beenden.
Welche Gebiete "getauscht" werden sollen, ist bislang noch unklar. US-Medien zufolge wird spekuliert, dass die Ukraine Teile der Region Donezk im Osten des Landes "abgeben" könnte und Russland seine Truppen dafür aus den Regionen Charkiw und Sumy abziehen könnte.
Selenskyj hat diesen Vorschlag mehrmals kritisiert, da die Zustimmung zum so-genannten Tausch ukrainischen Territoriums mit Russland nicht nur äußerst unpopulär, sondern auch verfassungswidrig wäre.
Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy stimmt dem zu und ergänzt, dass diese Gebietsabtretungen "der absolute Weg ins Nichts" seien, dem die Ukraine nicht zustimmen kann".
"Diese Idee, dass die Ukraine irgendwie den Norden der Region Donezk freiwillig räumt, ohne es vielleicht als Russisch anzuerkennen, wäre aus militärischer Perspektive Selbstmord", bekräftigt Trubetskoy und begründet dies mit den Verteidigungsstellungen, die mittlerweile seit elf Jahren in der Region ausgebaut wurden.
Sollte die Ukraine die Region an Russland abtreten, müssen diese Verteidigungsstellungen neu gebaut werden und "Russland hätte sich ohne etwas zu tun auf dem Schlachtfeld einen riesigen militärischen Vorteil verschaffen", so der Journalist.
'Geiseln des politischen Spiels'
Im April dieses Jahres berichtete CNN, dass Trump-Regierung als Teil des US-Vorschlags, den Krieg zu beenden, bereit sei, die russische Kontrolle über die Krim anzuerkennen.
Bei der Anerkennung der Krim als russisch Territorium "geht es natürlich um mehr als zwei Millionen Menschen, die quasi zu Geistern dieses politischen Spiels geworden sind", meint Trubetskoy, der selber auf der Krim aufgewachsen ist.
Russischen Quellen zufolge leben noch fast zwei Millionen Menschen auf der Krim. Im Dezember letzten Jahres berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Euromaidan Press, dass auf der besetzten Krim eine "massive demografische Verschiebung" stattgefunden habe, bei der rund eine Million neue Einwohner - vermutlich aus Russland - auf die Halbinsel gezogen seien.
Gleichzeitig wurde die ursprüngliche Bevölkerung durch "systematische Repressionen" vertrieben. Seit 2022 wurden außerdem mindestens 20.000 Einwohner in die russische Armee zwangsrekrutiert.
'Außenkanzler' Merz
Nun fast schon seit 100 Tagen ist die schwarz-rote Regierung unter Merz im Amt. Die Bilanz zum Kanzler scheidet sich, wenn es um seine Außen- und Innenpolitik handelt. Die erst vor kurzem vom Kanzler getroffene Entscheidung, vorerst keine Waffen mehr an Israel zu liefern, die bei seiner Kriegsführung in Gaza verwendet werden könnten, hat Unmut in den eigenen Reihen ausgelöst. Grund dafür soll gewesen sein, dass Merz diese Entscheidung nicht mit der eigenen Fraktion besprochen habe.
Auch bei der Bevölkerung ist Merz nicht so beliebt wie seine Vorgänger. Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge sind nur 32 Prozent der Befragten zufrieden mit dem CDU-Kanzler. Bei Olaf Scholz lag diese Bilanz nach 100 Tagen bei 56 Prozent und bei Merkel im Jahr 2006 bei 74 Prozent.
Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge kommt die aktuelle Regierung momentan nur noch auf 37 Prozent. Die Union liegt der Umfrage zufolge auf 24 Prozent, die SPD hingegen nur bei 13 Prozent.
Das Blatt wendet sich jedoch zugunsten Merz, sobald es um die Außenpolitik geht. Sowohl mit dem ukrainischen, als auch mit dem Präsidenten der USA soll er eine gute Beziehung haben. So würde man es auch in der Ukraine sehen, so Trubestkoy.
"Diese persönliche Chemie zwischen Selenskyj und Merz wird in der Bevölkerung schon wahrgenommen", erklärt er und ergänzt, dass man es trotzdem schade finde, dass auch unter Merz keine Taurus-Marschflugkörper an Kyjiw geliefert werden.
"Deutschland investiert jedoch stark in die ukrainische Rüstungsindustrie und fördert die gemeinsame Drohnenproduktion", so Trubetskoy, der meint, dass das durchaus wahrgenommen werde.
"Man hat von Deutschland eine Führungsrolle erwartet. Ich würde jetzt nicht sagen, dass es unter Merz faktisch anders aussieht als unter Olaf Scholz (SPD)", doch falle Trubetskoy Merz' Auftreten "deutlich anders auf". "Das wird in der Ukraine aufgenommen und begrüßt", schließt der in Kyjiw-lebende Journalist.
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