"Sie untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat" - Handwerk beklagt fehlende Entlastungen

Deutschlands Handwerker sind unzufrieden mit der aktuellen Bundesregierung.
Das berichtet Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), im Gespräch mit der Bild-Zeitung. Zahlreiche Mitglieder seines Verbandes hätten sich zuletzt mit deutlicher Kritik und wachsendem Unmut an ihn gewandt. Grund sei vor allem der bisher ausgebliebene wirtschaftspolitische Umschwung, den Bundeskanzler Friedrich Merz vor der Sommerpause in Aussicht gestellt hatte.
Vertrauen in die Regierung steht auf dem Spiel
Nach den Aussagen Dittrichs sei von Aufschwung und Investitionswille in der Breite des Mittelstands bisher nichts zu bemerken. Statt der erhofften Entlastung von KMUs hätten lediglich Reiche und Menschen mit hohem Einkommen von der Politik der schwarz-roten Koalition profitiert. Die Entscheidung, die im Koalitionsvertrag angekündigte Stromsteuersenkung nicht wie geplant umzusetzen, sorgt ebenfalls für Unverständnis. Dittrich zufolge habe diese Maßnahme das Vertrauen vieler Handwerksbetriebe „massiv erschüttert“. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein zentrales Wahlversprechen der CDU sowie eine festgehaltene Vereinbarung im Koalitionsvertrag innerhalb weniger Tage zurückgenommen werde. Die Begründung, es fehle an finanziellen Mitteln, reiche aus Sicht des Verbandes nicht aus. Die Bundesregierung müsse diese Entscheidung dringend korrigieren, so Dittrich.
Ernüchternde 100 Tages Bilanz
Wie ernüchternd die ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung für das Handwerk war, zeigt sich in der von dem Spitzenverband veröffentlichten 100-Tages Bilanz. Auch hier warnt Dittrich bereits vor einem Vertrauensverlust, spricht von Ernüchterung und Frust in den eigenen Reihen. Zwar wird das noch vor der Sommerpause beschlossene Investitionssofortprogramm grundsätzlich positiv bewertet. Insgesamt aber komme der Mittelstand in der Wirtschaftspolitik bislang zu kurz. Die Regierung müsse nun “zügig und kraftvoll nachlegen”. Forderungen wie flexiblere Arbeitszeiten oder die Abschaffung der Bonpflicht seien hier einfache Stellschrauben, die die Regierung schon längst hätten angehen müssen.
Kritik an Kommission zu Sozialsystemen
Skeptisch äußerte sich Dittrich auch zur geplanten Kommission zur Zukunft der Sozialsysteme, die in der kommenden Woche erstmals tagen soll. Es brauche “mehr als eine Kommission”. Es gehe um “um zukünftige Finanzierbarkeit, um Zukunftsfestigkeit, um Generationengerechtigkeit”, so die Einschätzung des ZDH in seiner 100-Tage Bilanz. Arbeit bis über das 68. Lebensjahr hinaus ist für den gelernten Dachdecker dabei kein No-Go. “Wenn wir miteinander die Grundlagen dafür schaffen, bin ich überzeugt, dass dort mehr geht. [...] Wir müssen die Hilfsmöglichkeiten Exoskelette, Robotik, KI nutzen, damit Menschen länger im Arbeitsleben sein können.”, so Dittrich im Bild-Interview.
Bürokratie, Mindestlohnerhöhungen und Steuererhöhungen mit Sorge betrachtet
Zusätzliche Sorgen bereitet dem Handwerk die aktuelle Bürokratiebelastung. Dittrich sieht die Gefahr, dass widersprüchliche Vorschriften das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben. Zur Veranschaulichung nannte er das Beispiel eines Fleischerbetriebs, der seinen Fußboden fliesen wolle: Nach Hygienevorschrift müsse die Fliese glatt sein, damit sie keine Keime aufnehmen könne, laut Arbeitsschutz hingegen müsse sie rau sein, um ein Ausrutschen zu verhindern. Solche widersprüchlichen Vorgaben seien aus seiner Sicht willkürlich. “Sie untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat. Das macht mir große Sorgen. Wenn du das Gefühl hast, du kannst die Regeln sowieso nicht einhalten, dann wird es beliebig.” So Dittrichs aussage im Bild-Interview.
Die öffentliche Überlegung von Finanzminister Klingbeil im ZDF-Sommerinterview, wonach Steuererhöhungen notwendig sein könnten, hat beim Handwerk Besorgnis ausgelöst. ZDH-Präsident Jörg Dittrich warnte vor einem erneuten Wortbruch der Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag habe sich die Regierung klar zu Haushaltsdisziplin und mehr Effizienz im Staatsapparat bekannt, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme. Bevor über Steuererhöhungen nachgedacht werde, müssten zunächst alle Einsparpotenziale in Regierung und Ministerien konsequent geprüft werden.
Der "Wachstumsbooster" der Bundesregierung
Der Bundestag hatte den sogenannten "Wachstumsbooster" am 26. Juli verabschiedet. Ziel dieser Maßnahmen sei es laut Aussagen des Finanzministeriums die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken und die wirtschaftliche Dynamik zu fördern.
Kern des Pakets sind steuerliche Entlastungen für Unternehmen. Vorgesehen ist unter anderem die Einführung degressiver Abschreibungen von bis zu 30 Prozent, um Investitionen zu erleichtern – insbesondere in Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität. Zudem ist eine schrittweise Absenkung der Unternehmenssteuerbelastung beschlossen worden.
Parallel zur Reform wurde jedoch auch entschieden, die Stromsteuer zunächst nicht – wie ursprünglich im Koalitionsvertrag angekündigt – für alle Unternehmen und privaten Haushalte zu senken. Eine umfassende Entlastung bleibt damit vorerst aus und steht unter Finanzierungsvorbehalt. Zwar hatte der Bundesrat zuvor eine zügige Umsetzung für alle Verbrauchergruppen gefordert, diese Empfehlung wurde jedoch nicht aufgegriffen.
Die Entscheidung stieß auf breite Kritik. Industrieverbände und Vertreter der Opposition warfen der Bundesregierung Wortbruch vor. Sie bemängeln fehlende Planungssicherheit und warnen vor Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher.
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