Vor den Wahlen 2026 in Ungarn: Orbán und Magyar starten Wahlkampf im gleichen Dorf

Die beiden größten politischen Kräfte Ungarns haben ihren Wahlkampf in demselben Fünfhundert-Seelen-Dorf gestartet. Traditionell spricht Ministerpräsident Viktor Orbán in Kötcsé jedes Jahr beim sogenannten Bürgerpicknick. Diesmal versammelte sich auch die oppositionelle Respekt- und Freiheitspartei, kurz Tisza, in dem Dorf.
Der Parteivorsitzende Péter Magyar ging zu Fuß von Balatonőszöd nach Kötcsé. Er erklärte bei einer Kundgebung, die beiden Siedlungen würden die zwanzig Jahre der Ära Gyurcsány und Orbán symbolisieren. Die vier aufeinanderfolgenden Fidesz-Regierungen nach 2010 und die Vorgängerregierungen unter Führung der Sozialistischen Partei bezeichnete Magyar als korrupte und erfolglose Ära. Diese Epoche würde nun zu Ende gehen, so der Tisza-Vorsitzende, denn 2026 werde "ein neues Kapitel eines gerechten, friedlichen und freien Landes beginnen, und der Titel dieses Kapitels wird 'ein funktionierendes Land' sein".
Magyar will Ungarn zu verlässlichem NATO- und EU-Mitglied machen
Ungarn werde als wohlhabendes und erfolgreiches Land endlich zum regionalen Anführer aufsteigen, weil es einen angemessenen Lebensstandard bieten und seine Wirtschaft innovativ und wertschaffend sein werde. Die Wirtschaft werde "nicht der Spielball einiger weniger Oligarchen", sondern eine stabile Grundlage für den Wohlstand aller Menschen in Ungarn sein.
Die Gesundheits- und Sozialsysteme sollten "wirklich den Menschen dienen", so Magyar. Die Bildung junger Menschen solle außerdem an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Weiter kündigte der Tisza-Vorsitzende an, dass Ungarn unter ihm ein verlässliches Mitglied der NATO und der EU sein werde.
Zwei neue Politiker:innen der Tisza-Partei wurden bei der Kundgebung in Kötcsé vorgestellt: der Wirtschaftswissenschaftler András Kármán und die Tourismusexpertin Ágnes Forsthoffer, die dritte Vizepräsidentin der Partei wird.
Péter Magyar kam mehrfach auf die Steuerpläne seiner Partei zu sprechen. Orbáns Fidesz-Partei hatte in einer massiven Kampagne behauptet, die Tisza-Partei plane Steuererhöhungen. Zuvor hatte der stellvertretende Tisza-Vorsitzende Zoltán Tarr erklärt, die Steuerpläne seiner Partei könnten nicht öffentlich diskutiert werden, da sie von der Konkurrenz ohnehin verdreht werden würden. Fidesz-Plakate in Kötcsé zeigten, dass die Regierungspartei wohl weiterhin plant, ihrem ärgsten Konkurrenten Steuererhöhungspläne vorzuwerfen.
Viktor Orbán: "Wir sind nicht anti-ukrainisch"
Im Gegensatz zu den offen zugänglichen Kundgebungen der Respekt- und Freiheitspartei war die Fidesz-Veranstaltung in Kötcsé von der Polizei abgeriegelt. Wer nicht eingeladen war, hatte keinen Zugang - einschließlich der unabhängigen Presse, die in den vergangenen Jahren den eintreffenden Regierungspolitiker:innen am Tor Fragen stellen durfte. Während sein Konkurrent Magyar vor allem über Probleme sprach, die den Alltag der ungarischen Bevölkerung, das Sozialsystem und die wirtschaftliche Lage betreffen, konzentrierte sich Ministerpräsident Orbán in einer geopolitischen Analyse auf außenpolitische Prozesse.
Wenn sich nichts ändere, könnte der Haushalt 2028-35 der letzte gemeinsame EU-Haushalt sein, betonte Orbán bei einem Treffen der Stiftung für ein Bürgerliches Ungarn, die von der Fidesz-Partei gegründet wurde, in Bischkek. Er sagte, die EU sei in einem Zustand der Fragmentierung und des Zerfalls. "Und wenn das so weitergeht, was immer wahrscheinlicher wird, dann wird die Europäische Union als das deprimierende Ergebnis eines noblen Experiments in die Geschichte eingehen", warnte er.
In Bezug auf den Krieg in der Ukraine sagte der Ministerpräsident, dass dieser zu einem Finanzierungswettlauf zwischen der EU und Russland geworden sei, bei dem Russland derzeit die Nase vorn hätte.
"Diese Situation schwächt sie, und wir geraten ins Stocken. Die Ukraine wird gerade aufgeteilt. Die Europäer reden heute elegant über Sicherheitsgarantien, aber in Wirklichkeit geht es darum, die Ukraine aufzuteilen. Wir sind nicht anti-ukrainisch", beteuerte Viktor Orbán und fügte hinzu, dass die Regierung sogar ein strategisches Abkommen zwischen der EU und der Ukraine unterstützen könnte.
Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine würde die Europäische Union jedoch in den Krieg führen, warnte Orbán.
Orbán warnt vor "Chaos" der Tisza-Partei
Innenpolitisch sieht der Ministerpräsident zwei Wege für Ungarn. Der eine sei es, sich der Politik Brüssels anzuschließen, was ein "katastrophales Chaos" bedeuten würde. Dafür stünden die Tisza-Partei und die Demokratische Koalition. Der andere Weg, der Weg seiner Partei, würde zu Frieden, einer familienfreundlichen Politik und Souveränität führen, so Orbán.
Die komplexe globale Situation erfordere eine erfahrene Regierung, sagte der seit 2010 regierende Ministerpräsident.
"Ungarn ist ein Land mit zehn Millionen Einwohnern. Unser Land ist ein Land ohne natürliche Ressourcen. Unser Land befindet sich inmitten einer unbeständigen Region. Unser Land ist ein Land, das eine besondere Führung braucht. Wenn wir eine dumme Regierung haben, werden wir zugrunde gehen", schloss Orbán. Nach einem Wahlsieg wolle er die V4, also die Visegrád-Gruppe bestehend aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, stärken und Brüssel miteinbeziehen.
Gleichzeitig warnte der Ministerpräsident seine eigenen Leute, dass sie alles tun müssten, um zu gewinnen. "Glauben Sie mir, nichts wird vergessen, alles wird aufgezeichnet und alles wird geregelt", sagte Orbán, was einige Analyst:innen als Warnung interpretieren an diejenigen, die sich von der Fidesz-Partei abwenden könnten.
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