Russische Spionage-Drohnen über Deutschland: Kommt die Gefahr von der Schattenflotte?

In Deutschland sind seit Beginn des Jahres mehrere Hundert Spionage-Drohnenflüge registriert worden, die wichtige Infrastruktur ausspähen. Betroffen sind vor allem die deutsche Küstenbundesländer. Ziel sind militärische Anlagen, aber auch kritische Infrastruktur wie LNG-Terminals. Zuständig ist jedoch nicht immer die Bundeswehr. Für zivile Infrastruktur tragen Polizei und die jeweiligen Betreiber die Verantwortung.
Vergangenes Wochenende zeigte sich die Zuständigkeit der Spezialkräfte, als die Polizei aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen den Frachter "Scanlark" in der Schleuse Kiel-Holtenau wegen des Verdachts auf Spionage und Sabotage stoppte und durchsuchte.
Nach Angaben der Innenministerinnen von Schleswig-Holstein, Sabine Sütterlin-Waack, und Niedersachsen, Daniela Behrens, steht das Schiff im Verdacht als "Basis für Drohnenflüge über kritischer Infrastruktur in Norddeutschland fungiert zu haben". Den Kieler Nachrichten zufolge soll eine Drohne nach bisherigen Erkenntnissen ein Marineschiff überflogen und dabei Aufnahmen gemacht haben. Die Besatzung des Schiffes sollte wohl aus Russland sein, heißt es Berichten zufolge.
Die beiden Innenministerinnen betonten die Bedeutung des länderübergreifenden Vorgehens gegen hybride Bedrohungen. Der Einsatz sei ein "starkes Zeichen" für die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates und zeige den engen Zusammenhalt der Küstenbundesländer, die wegen ihrer strategisch wichtigen maritimen Infrastruktur besonders gefährdet seien.
Das etwa 75-Meter lange Schiff war Berichten zufolge für die estnische Reederei Vista Shipping Agency unterwegs und ist seit 2006 im Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen registriert. Vor Kiel war das Schiff in Rotterdam. Das darauffolgende Ziel sollte Finnland gewesen sein.
Spionage von Bord der "Schattenflotte"
Russland nutzt meist ältere Tanker und Transportschiffe, um EU- und US-Sanktionen gegen seine Energie- und Exportwirtschaft zu umgehen. Eine Recherche von Follow the Money, der Süddeutschen Zeitung, NDR, VRT, De Tijd und Pointer vom vergangenen Monat hat ergeben, dass Moskau möglicherweise auch Drohnen von diesen Schiffen startet, um Aufklärungsmissionen in Deutschland durchzuführen.
Laut Hans-Jakob Schindler, Leiter des Counter Extremism Projects,x ist dies "durchaus möglich", da zahlreiche Schiffe der "Schattenflotte" regelmäßig durch die Ostsee fahren.
Sollte dies der Fall sein, so Schindler, stelle sich hier die Frage der Überwachung der Schiffe und die Kapazitäten der Behörden, die aufgrund der Größe der Ostsee und der Vielzahl der Schiffe wahrscheinlich eingeschränkt wären.
Eine komplette Überwachung jedes einzelnen Schiffes durch deutsche Behörden ist demnach nicht möglich und "möglicherweise auch nicht der beste Einsatz von Ressourcen", ergänzt der Sicherheitsexperte gegenüber Euronews.
Bürokratische Überforderung bei der Drohnen-Bekämpfung
Bevor ein Eingreifen gegen russische Spionagedrohnen möglich ist, muss die Zuständigkeitsfrage geklärt werden. Je nach Tatort ist entweder die Polizei oder die Bundeswehr zuständig, aber nur auf deutschem Territorium.
Starten die Drohnen jedoch in internationalen Gewässern, gibt es keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Einschreiten ist lediglich beim Eintreten in den deutschen Luftraum erlaubt, doch "auch hier stellt sich dann die Frage, ob die Zuständigkeitsfrage ausreichend geklärt ist und ob entsprechende rechtliche Grundlagen bestehen", meint Schindler.
Ob Radarstationen aufsteigende Drohnen effektiv erfassen können, hängt Schindler zufolge vermutlich von deren Größe ab. Größere Drohnen sind demnach einfacher zu erkennen.
"Die Herausforderungen bei solchen Drohnenflügen sind recht vielfältig", erklärt er und fügt hinzu, dass "bei militärischen Einrichtungen in der Regel ein Überflugsverbot besteht, so dass die Piloten der Drohnen, welche sich über solchen Einrichtungen befinden, auf jeden Fall einen Verstoß begehen."
Bei kritischer Infrastruktur oder sich bewegenden Militärtransporten ist dies laut dem Terrorismus-Experten jedoch nicht immer der Fall, da "hier zentral zu klären ist, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es sich hier tatsächlich um einen Aufklärungsfall handelt und nicht um eine private Drohne."
Gesetzeslücke bremst Abwehr aus
Das Innenministerium (BMI) erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Euronews, dass die zuständigen Behörden von Bund und Ländern "ständig miteinander im Austausch stehen, auch mit Infrastrukturbetreibern und weiteren Beteiligten". Es existierten demnach etablierte Melde- und Kommunikationswege, aber auch "die Zusammenarbeit wird je nach Bedarf und unter Berücksichtigung der sich wandelnden Bedrohungslage angepasst", heißt es weiter.
In der vergangenen Legislaturperiode plante die damalige Ampel-Regierung eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG), damit die Bundeswehr illegal fliegende, gefährliche Drohnen abschießen darf, wenn die Polizei technisch nicht in der Lage ist und Unterstützung anfordert.
Die Änderung wurde jedoch nicht mehr verabschiedet. Der Grünen-Abgeordnete und Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz, kritisiert die Union, den früheren Vorschlag der Ampel-Regierung aus "parteitaktischen Überlegungen" nicht mitgetragen zu haben.
Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigt, dass der Gesetzesentwurf dem Diskontinuitätsprinzip unterfallen ist. "Etwaige Änderungen müssen erneut in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden."
Die Meinungsbildung der neuen Bundesregierung zur Anpassung des Luftsicherheitsgesetzes sei noch nicht abgeschlossen, so der Sprecher.
Spionage und Provokation zugleich
Seit Russlands großangelegter Invasion der Ukraine häufen sich nicht nur Spionage-Drohnen-Vorfälle in Europa, sondern auch russische Drohnen, die mutmaßlich aus Versehen aus der Ukraine in den polnischen Luftraum eindringen.
Erst am vergangenen Wochenende stürzte in der Region um Lublin eine Drohne mit russischer Beschriftung auf ein Feld, nachdem sie zuvor aus der Ukraine kommend in den polnischen Luftraum eingedrungen war.
Auch an der Grenze zu Belarus wurden jüngst Drohnenreste mit kyrillischer Aufschrift entdeckt. Die Ermittlungen dauern zwar noch an, doch bestätigten die polnischen Behörden, dass beide Objekte unbewaffnet gewesen wären.
Die Regierung in Warschau warnt, dass es sich dabei auch um gezielte Provokationen handeln könnte. Die Vorfälle zeigen, dass die Bedrohung durch Drohnen nicht auf Deutschland beschränkt ist, sondern den gesamten östlichen NATO-Raum betrifft.
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