"Bildung schützt nicht vor Radikalisierung": Expertin zu Todesfahrer in Magdeburg
In Magdeburg ist ein Auto in einen Weihachtsmarkt gerast. Mindestens fünf Menschen wurden getötet, über 200 verletzt. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen. Es handelt sich bei ihm um Taleb A., ein in in Saudi-Arabien geborener seit 2006 in Deutschland lebender Arzt.
Um Radikalisierung zu verhindern, wird immer wieder über Präventions- und Bildungsmaßnahmen gesprochen. Die Beraterin im Bereich Terrorismusbekämpfung Rebecca Schönenbach schreibt auf X "Bildung verhindert Radikalisierung nicht [...]"
Euronews hat nachfragt, was sie damit meint. Schönenbach erklärt: "Vor allem im Bereich organisierter Terrorgruppen finden sich gut ausgebildete Personen, historisch haben Gruppen wie die in Deutschland verbotene, islamistische Hizb ut Tahrir an Universitäten für sich geworben. Auch linksradikale Terrororganisationen wie die PFLP ["Volksfront zur Befreiung Palästinas]", die in der EU als Terrororganisation einstuft ist, rekrutieren im Studentenmilieu, was seit dem 7. Oktober 2023 auch an deutschen Universitäten deutlich wird. Mit diesen Beispielen möchte ich darauf hinweisen, dass Bildung Radikalisierung nicht automatisch verhindert, Bildungsprogramme alleine also als präventive Maßnahme nicht ausreichen."
Die radikalen Äußerungen des Talib A.
Im Fall von Talib A. sieht man mittlerweile, dass er seit Jahren online islamfeindliches Gedankengut teilte und mit der Alternative für Deutschland (AfD) sympathisierte. Mit der AfD wollte er eine Akadamie für Ex-Muslime aufbauen, mehreren Medienberichten zufolge sagt er: "Wer sonst bekämpft den Islam in Deutschland?"
Übereinstimmenden Medienberichten zufolge waren bereits Warnhinweise von Saudi-Arabien bei deutschen Behörden wegen Talib A. eingegangen.
Denn Taleb A. war v. a. auf X (ehemals Twitter) aktiv. So kündigte er auf der Plattform Vergeltung gegenüber dem deutschen Staat an. "Ich versichere euch, dass zu 100 Prozent bald die Rache kommt. Auch wenn es mich mein Leben kostet." Er beschuldigte den deutschen Staat der Islamisierung und postete außerdem im Juni: "Wir brauchen AfD, um die Polizei vor sich zu schützen."
Euronews hat Rebecca Schönenbach gefragt, wie sie die Radikalisierung älterer Personen auf X einschätzt:
"Das Potential für Online-Radikalisiering besteht nicht nur auf Twitter, auch auf anderen sozialen Plattformen werden Ältere angesprochen. Generell teilt die Generation über 50 eher Fake News, da sie diese offensichtlich weniger gut erkennen als jüngere Online-Nutzer. Bei dem Täter aus Magdeburg kommen aber mehrere Faktoren zusammen, seine X-Aktivität zeigt zwar eine radikale Einstellung, aber ob die Radikalisierung online erfolgte, ist fraglich."
Schönenbach weist darauf hin, dass es bisher zu dem Täter von Magdeburg "keine öffentlich gesicherten Erkenntnisse über sein soziales Umfeld, psychische Erkrankungen, persönliche Kontakte oder über andere Faktoren, die seine Radikalisierung beeinflusst haben könnten" gebe.
Taleb A. wurde den Behörden bereits gemeldet
Schönenbach erklärt weiter: "Fest steht, dass er von mindestens zwei Personen bereits Behörden gemeldet worden war, also über Monate, wenn nicht Jahre, auffällig war. Da stellt sich auch die Frage, ob sein berufliches Umfeld Verhaltensauffälligkeiten registriert hat." Zum jetzigen Zeitpunkt sei jedoch zu viel unklar, "um eindeutige Aussagen zu treffen", ergänzt Schönenbach.
Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge soll im Dezember 2023 bereits eine Anzeige gegen Taleb A. eingegangen sein. Die Anzeige bezog sich auf X-Postings von A., in dem er sagte, Deutschland werde "einen Preis" bezahlen für die angebliche Verfolgung saudi-arabischer Flüchtlinge. Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt ging der Anzeige nach. Die Bewertung des LKA ergab, dass sich aus den Aussagen keine konkrete Bedrohung ergeben habe.
Auch der Verein der Säkulären Flüchtlingshilfe erklärt in einer Stellungnahme, er habe in der Vergangenheit Kontakt mit dem mutmaßlichen Täter gehabt. Der letzte außerrichterliche Kontakt fand 2018 statt. "Ursprünglich bestand die Überlegung einer Zusammenarbeit, um die Hilfe für atheistische Geflüchtete aus Saudi-Arabien zu koordinieren. Diese Kooperation scheiterte jedoch", heißt es in der Erklärung.
Seitdem habe der Kontakt zu Taleb A. nur noch über Anwälte und Gerichte stattgefunden. Der Verein berichtet, dass Mitglieder im Jahr 2019 "nach übelsten Verleumdungen und verbalen Angriffen durch ihn" Anzeige bei der Polizei erstatteten. "Wir konnten in der gesamten Zeit keinen Grund ausmachen, welcher seine Diffamierungskampagne und die Aggressivität seiner Vorwürfe erklärt", heißt es in der Erklärung weiter.
Mittlerweile ist Spiegel-Informationen zufolge auch bekannt geworden, dass der mutmaßliche Täter am 19. Dezember also einen Tag vor der Tat in Magdeburg vor Gericht erscheinen sollte. Ihm wurde wegen des "Missbrauchs von Notrufen" im Februar 2024 in Berlin ein Strafbefehl erteilt. A. hatte Einspruch eingelegt.
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