Höchststand: Häusliche Gewalt in Deutschland war noch nie so hoch

Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt hat in Deutschland im Jahr 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf aktuelle Daten des Bundeskriminalamts (BKA) berichtet, wurden insgesamt 256.942 Fälle registriert – so viele wie nie zuvor.
Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen Anstieg von rund 3,7 Prozent. Fachleute warnen jedoch: Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, da viele Taten im privaten Umfeld nicht angezeigt werden.
Bereits im Jahr 2023 war die Zahl der Femizide in Deutschland fast dreimal so hoch wie im Jahr zuvor - im Durchschnitt wird statistisch gesehen fast jeden Tag eine Frau getötet. In den meisten Fällen ist der Täter der (Ex-)Partner.
Der Einsatz von Fußfesseln für Straftäter nach spanischem Vorbild wird inzwischen auch in Deutschland diskutiert: In Hessen und Sachsen sind sie bereits im Einsatz, und die Bundesregierung plant eine bundesweite Regelung.
Das Bundesfamilienministerium sieht mögliche Gründe für den Anstieg häuslicher Gewalt in einer wachsenden Gewaltbereitschaft "im Lichte gesellschaftlicher Krisen und persönlicher Herausforderungen". Das Ministerium betonte aber auch, dass eine höhere Anzeigebereitschaft eine Rolle spielen könnte.
Bereits im Februar hatte der Bundesrat – nach dem Bundestag – einem Gesetz zugestimmt, das den Schutz von Gewaltopfern deutlich verbessern soll. Künftig sind die Bundesländer verpflichtet, flächendeckende Schutz- und Beratungsangebote bereitzustellen. Der Bund stellt dafür zwischen 2027 und 2036 insgesamt 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Ein Rechtsanspruch auf kostenlosen Schutz und Beratung soll ab dem 1. Januar 2032 gelten. Bislang waren Betroffene häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt auf vorhandene Kapazitäten – etwa in Frauenhäusern – angewiesen. Interessant auch: Im Jahr 2023 lag der Anteil der Frauen, die nicht in Deutschland geboren sind und Zuflucht in einem der Frauenhäuser gesucht haben, wie bereits im Vorjahr bei 69 Prozent.
Italien
Bei der italienischen Anti-Gewalt-Hotline 1522 waren in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 48.000 Anrufe und Textnachrichten eingegangen - ein Anstieg von 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Die vom italienischen Ministerium für Chancengleichheit veröffentlichten Zahlen zeigen offenbar, dass nach dem brutalen Mord an der Universitätsstudentin Giulia Cecchettin im November des Vorjahres, der eine große Debatte über Frauenmorde in Italien auslöste, viele Frauen Hilfe suchten. Cecchettin war von ihrem Ex-Freund Filippo Turetta umgebracht worden, der nach seiner Flucht nach Deutschland in der Nähe von Leipzig festgenommen wurde. Turetta gestand die Tat gegenüber der Staatsanwaltschaft und meinte, das Giulia "niemand anderem hätte gehören können".
In Italien liegen keine offiziellen Daten über die Zahl der Opfer von Gewalt in Paarbeziehungen oder häuslicher Gewalt vor, die jedes Jahr von der Polizei erfasst werden.
Portugal
Die portugiesische Polizei PSP hat im Jahr 2024 1.281 Personen wegen des Verdachts auf häusliche Gewalt festgenommen - im Vergleich zum Vorjahr deutet dies auf einen Anstieg von 310 (oder 32 %) mehr Festnahmen und 282 (1,8 %) mehr Anzeigen hin.
Die städtische Polizei registrierte außerdem 15.781 Beschwerden im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt.
Von den 1.281 registrierten Festnahmen waren 625 "in flagranti".
Spanien
Nach Angaben des Nacional de Estadística (INE) verzeichnete Spanien im Jahr 2024 8.860 Opfer häuslicher Gewalt, gegen die Schutzanordnungen oder einstweilige Verfügungen erlassen wurden, was einem Rückgang von 2,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. 60,6 % dieser Opfer waren Frauen, während der Anteil der Männer immerhin 39,4 % betrug.
Insgesamt ist in Spanien die Zahl der Frauenmorde seit 2003 um rund ein Drittel gesunken. Auslöser für tiefgreifende Veränderungen waren mehrere aufsehenerregende Gewalttaten gegen Frauen um die Jahrtausendwende. Damals gingen landesweit Frauen auf die Straße – mit Erfolg: Es folgten strengere Gesetze und umfassendere Hilfsangebote für Betroffene.
Gleichzeitig steigt jedoch die Zahl der gemeldeten Sexualdelikte seit Jahren kontinuierlich. Ob dies auf eine tatsächliche Zunahme sexueller Gewalt oder eine wachsende Anzeigebereitschaft zurückzuführen ist, bleibt unklar. Das spanische Innenministerium führt den Anstieg zumindest teilweise darauf zurück, dass solche Taten heute gesellschaftlich weniger toleriert werden – und die Bereitschaft, Täter anzuzeigen, gestiegen ist.
In Spanien kommt eine elektronische Fußfessel als präventive Maßnahme zum Einsatz, um Frauen vor gewalttätigen Ex-Partnern zu schützen. Sie soll potenzielle Täter überwachen und Angriffe verhindern – mit Erfolg: In mehr als 13.000 Hochrisikofällen wurde das System bereits genutzt. Keine der durch die Maßnahme geschützten Frauen wurde bislang getötet.
Rumänien
Die rumänische Polizei hat bekannt gegeben, dass in den ersten sechs Monaten des Jahres 2025 mehr als 61.000 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet wurden, und zwar in fast gleichen Anteilen in städtischen und ländlichen Gebieten.
Die dortigen Polizeibeamten schritten in der ersten Hälfte des Jahres 2025 in 61.431 Fällen häuslicher Gewalt ein.
Dabei ist die Zahl der Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in den ersten sechs Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 19 % zurückgegangen: von 28.117 auf 22.742.
Der größte Anteil der Straftaten entfällt in Rumänien mit 56 % (12.807) auf "Schläge und sonstige Gewalt".
Polen
An aktuelle Zahlen für Polen zu gelangen gestaltet sich schwierig.
2023 war ein Gesetz für zusätzliche Maßnahmen eingeführt worden, die gegen Täter von häuslicher Gewalt ergriffen werden können, darunter psychologische und therapeutische Programme, die darauf abzielen, "den Täter davon abzuhalten, weiterhin Gewalt anzuwenden und Selbstkontrolle und gewaltfreie Konfliktbewältigungsfähigkeiten zu entwickeln".
Tätern, die sich weigern, an diesen Programmen teilzunehmen, drohen Geld- oder sogar Haftstrafen. Das Gesetz ermöglicht auch die Beschlagnahmung von Schusswaffen, Munition und Waffenscheinen bei Tätern, die häusliche Gewalt ausüben.
Nach einer Studie, die von der Regierung in Auftrag gegeben aber niemals offiziell veröffentlicht wurde, haben 60% der polnischen Frauen häusliche Gewalt erlebt und 10% der Männer glauben nicht an einen Tatbestand von Vergewaltigung in der Ehe.
Großbritannien
Für England und Wales liegen Zahlen vom letzten Jahr bis März 2024 vor. Menschen im Alter von 16 Jahren haben schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen irgendeine Form von häuslicher Gewalt erlebt. Davon waren 1,6 Millionen Frauen und immerhin 712.000 Männer.
Nach Angaben des Domestic Abuse Reports 2024 von Women´s Aid berichteten Soziale Dienste, dass die Überlebenden oft nicht genug Geld hatten, um die für sie und/oder ihre Kinder notwendigen Dinge zu bezahlen (79,8 %), und dass sie auf Lebensmittelbanken angewiesen waren (78,8 %). Beunruhigende 62,5 % der Dienste berichteten auch, dass die Opfer wirtschaftlich nicht in der Lage waren, den Täter zu verlassen.
Problematisch bleibt auch heutzutage noch die Art der Berichterstattung vor allem in deutschen Medien, wo Femizide als "Beziehungsdrama" definiert werden, wo Täter "die Kontrolle" über sich verlieren.
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