"Best-Athlete"-Modell: Frankreich und Deutschland wollen EU-Waffenproduktion bündeln

Der französische Präsident Emmanuel Macron empfängt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) an diesem Donnerstagabend in seiner Sommerresidenz an der Côte d’Azur, im Fort de Brégançon.
Merz ist nach Helmut Kohl und Angela Merkel erst der dritte deutsche Regierungschef, der auf der Mittelmeerfestung empfangen wird. Während Merkel dafür 15 Jahre auf eine Einladung warten musste, erfolgt der Besuch für Merz deutlich früher.
Ein Abendessen bildet den Auftakt eines Treffens der Regierungen beider Länder: Am Freitag kommen sie zum sogenannten Ministerrat in der südfranzösischen Küstenstadt Toulon zusammen. Im Mittelpunkt sollen die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik stehen.
Frankreich und Deutschland wollen in der Europäischen Union die Verteidigungsindustrie effizienter gestalten. Auf dem deutsch-französischen Ratstreffen für Sicherheit und Verteidigung wollen Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Friedrich Merz über den Vorschlag sprechen, das sogenannte „Best Athlete“-Modell einzuführen.
Damit sollen für jede Kategorie von Waffensystemen die leistungsstärksten Unternehmen ausgewählt werden. "Die Logik des 'Best Athlete'-Modells besteht darin, die Anzahl der Waffensysteme in Europa zu reduzieren", erklärten Beamte des französischen Präsidentenpalastes.
Diskutiert werden soll zudem die Ausweitung der französischen nuklearen Abschreckung auf die gesamte EU sowie gemeinsame Verteidigungsprojekte und die Stärkung der industriellen und technologischen Verteidigungsbasis in Europa.
Rafale, F-35 und Gripen
Die EU will die Produktion von Verteidigungsgütern ausbauen, da befürchtet wird, Russland könnte noch vor Ende des Jahrzehnts angreifen. Bisher wird dieses Ziel jedoch durch die Fragmentierung des Sektors erschwert: Viele Mitgliedstaaten setzen traditionell auf ihre eigene Rüstungsindustrie aus Sicherheitsgründen.
Das zeigt sich auch im Ukraine-Krieg - das Land musste lernen, die von europäischen Ländern gelieferten unterschiedlichen Waffensysteme gleichzeitig einzusetzen und zu warten.
Europa nutzt aktuell mindestens vier verschiedene Kampfjet-Modelle – den in Europa gebauten Eurofighter Typhoon, die Rafale, den JAS Gripen sowie die US-amerikanische F-35. Bei den Panzern kommen zahlreiche Modelle zum Einsatz: der deutsche Leopard, der französische Leclerc, der britische Challenger, der italienische Ariete, der US-amerikanische Abrams und der südkoreanische K2.
Bis 2030 sollen Hunderte von Milliarden Euro in den Verteidigungssektor fließen. Aktuell laufen verschiedene Initiativen, um Beschaffungen zu bündeln – mit dem Ziel, Kosten zu senken, die Interoperabilität zu verbessern und gleichzeitig die europäischen Produktionsketten zu stärken.
Frankreichs Präsident Macron setzt dabei auf eine europäische Bevorzugung bei der Rüstungsbeschaffung. Schon im vergangenen Jahr sorgte dies bei anderen EU-Staats- und Regierungschefs für Diskussionen: Einige befürchteten mögliche Reaktionen der USA, andere kritisierten, dass vor allem die französische Industrie profitieren könnte.
Auch ein mögliches "Best Athlete"-Modell wird zwangsläufig auf Widerstand stoßen und ähnliche Kritik hervorrufen.
Das "Best-Athlete"-Modell: Pro und Contra
Ester Sabatino, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Verteidigungs- und Militäranalysen am Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS), sieht "Best Athlete"-Modell eine „vernünftige Entscheidung“. Sie erklärt, dass Unternehmen mit schnellen und erprobten Entwicklungs- und Produktionszyklen voraussichtlich besser in der Lage seien, die Nachfrage zu bedienen.
Dies könnte zwar zu einer geringeren Anzahl von Modellen militärischer Ausrüstung führen, aber nicht unbedingt zu einer geringeren Anzahl nationaler Varianten derselben Ausrüstung. Zudem könnte ein solcher Ansatz die Zahl industrieller Alternativen und den Wettbewerb einschränken, was wiederum Innovationen bremsen könnte.
"Überlegungen zur Versorgungssicherheit würden es auch schwierig machen, das Modell von Ländern zu akzeptieren, die keine solchen 'Best-Athlete'-Modelle haben. Im Falle europäischer Hauptstädte wie Warschau, die in die Weiterentwicklung ihrer nationalen Verteidigungsindustrie investieren, könnte es einen starken Widerstand gegen das Modell geben, da es die Verwirklichung ihrer eigenen nationalen Ambitionen verhindern könnte", so Sabatino.
Polen kauft einen Großteil seiner teuren militärischen Ausrüstung in den USA und Südkorea. Anfang dieses Monats gab das Land bekannt, dass es weitere 180 Panzer im Wert von über 6 Milliarden Euro von Südkorea kaufen wird.
Äußerst komplexe Arbeit
Es ist derzeit unklar, ob der Ansatz von Frankreich und Deutschland auch größere paneuropäische Initiativen und Programme wie den Eurofighter oder MBDA – ein Gemeinschaftsunternehmen französischer, britischer und italienischer Firmen für Raketen- und Waffensysteme – umfassen wird.
Beim Treffen auf dem deutsch-französischen Rat für Sicherheit und Verteidigung geht es um gemeinsame Verteidigungsprojekte, darunter u.a. das Future Combat Air System (FCAS), ein Kampfjet, und das Main Ground Combat System (MGCS), ein Kampfpanzer.
Das Future Combat Air System steht jedoch im Mittelpunkt eines Konflikts. Das französische Unternehmen Dassault verlangt, 80 % der Arbeiten am Projekt zu übernehmen.
Jacob Ross, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, erklärt gegenüber Euronews, dass Teile der Industrie und Interessengruppen in beiden Ländern das Projekt blockieren wollten, um nationale Alternativen voranzutreiben.
"Es besteht ein großer Druck auf Merz, Macron und ihre jeweiligen Verteidigungsminister, eine Lösung für den anhaltenden Konflikt um das FCAS zu finden. Sollte das Projekt scheitern, wäre das ein fatales Signal für die deutsch-französische Führungsrolle in Europa im Bereich der industriellen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich", fügte er hinzu.
Für die erfolgreiche Einführung eines "Best-Athlete"-Modells in anderen EU-Staaten sei eine einheitliche Position auf politischer und industrieller Ebene nötig. Ross merkt an, dass dies momentan nicht gegeben sei, da die Industrien der beiden Länder zu unterschiedlich ausgerichtet seien und Deutschland traditionell amerikanische Produkte kaufe, die im eigenen Land nicht produziert werden.
Frankreich hat bereits betont, dass die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Beschaffungspolitik "äußerst komplex" sei. Letztlich gehe es darum, die Anzahl der Waffensysteme in Europa zu reduzieren, deren Nutzung zu vereinheitlichen und sie in Europa herzustellen – ohne die nationale Souveränität oder die Robustheit der Produktionskapazitäten zu gefährden. Dies sei eine schwierige Aufgabe.
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