Faktencheck: Hat Ursula von der Leyen die Wahl in Rumänien annulliert?
Auf der chinesischen Plattform TikTok kursieren Beiträge, in denen behaupten wird, dass die Chefin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, persönlich interveniert habe, um die Wahl des ultrarechten Politikers Calin Georgescu zum rumänischen Präsidenten zu verhindern.
Die beispiellose Entscheidung, die erste Wahlrunde zu annullieren und die Stichwahl abzusagen, wurde am Anfang des Monats jedoch nicht von der EU-Kommissionschefin getroffen, sondern vom rumänischen Verfassungsgericht. Es berief sich dabei auf inzwischen veröffentlichte Geheimdienstinformationen, die darauf hindeuteten, dass das Ergebnis der ersten Runde von einem "staatlichen Akteur" manipuliert wurde.
Von der Leyen, die an der Spitze der EU-Exekutive steht, hatte keinen Einfluss auf diese Entscheidung des Gerichts.
EU-feindliche Konten verbreiten Falschnachrichten
In Videos, die auf TikTok kursieren, wird jedoch fälschlicherweise behauptet, sie habe die Regierung in Bukarest, sowie den scheidenden Präsidenten Klaus Iohannis, unter Druck gesetzt. "Ursula von der Leyen hat den Befehl gegeben, die Wahlen in Rumänien abzusagen. Klaus Werner Johannis hat den Befehl ausgeführt", heißt es in einem TikTok-Video , das sich auf Kommentare eines konservativen politischen Kommentators im französischen Fernsehen stützt.
In einem anderen Video wird behauptet, die Kommissionspräsidentin habe "mit Schaum vor dem Mund in Bukarest angerufen und darum gebeten, alles zu tun, damit Calin Georgescu hingerichtet wird".
Viele der Konten, die diese Falschnachrichten verbreiten, sind bekannt für antwestliche und EU-feindliche Botschaften. Unter anderem verherrlichen sie den wenig bekannten Ultranationalisten Calin Georgescu, der in der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl im November einen unerwarteten Sieg errungen hat.
Einige Webseiten, die sich als Nachrichtenmedien ausgeben, haben von der Leyen ebenfalls eine "unbefugte Einmischung" in die Wahl in Rumänien vorgeworfen. Dabei haben sie sich auf Informationen des ihnen zufolge einflussreichen französischen Medienunternehmens France Soir berufen.
In der Tat handelt es sich jedoch um ein bekanntes Desinformationsportal, das einem Verschwörungstheoretiker gehört. Außerdem wird in dem französischen Originalartikel nicht behauptet, dass die Kommissionschefin irgendeine Rolle bei der Annullierung der Wahl gespielt hätte.
Ähnliche Beiträge, in denen die europäischen und westlichen Machthaber der Einmischung in die Wahl in Rumänien beschuldigt werden, lassen sich auch auf X und Facebook finden.
Rechtsexperten haben die Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts, die Wahl zu annullieren, als "beispiellos" und "ungewöhnlich" bezeichnet.
Die Geheimdienstinformationen, die zu der Entscheidung geführt haben, wurden nicht in vollem Umfang veröffentlicht. Dies bedeutet, dass nur wenig über die Beweise bekannt ist, die das Gericht davon ausgehen ließen, dass die Wahlgesetze als Teil von Georgescus Kampagne im Vorfeld der ersten Abstimmung verletzt wurden.
EU-Exekutive verschärft Überwachung von TikTok
Die Europäische Kommission hat es bisher vermieden, die Entscheidung über die Absage der Stichwahl zu kommentieren. Dies hat sie damit begründet, dass es "Sache der rumänischen Bürger ist, über ihr Schicksal zu entscheiden".
Dennoch hat die EU-Kommission ein Verfahren gegen TikTok eröffnet, um festzustellen, ob TikTok bei Wahlen hart genug gegen die Einmischung von ausländischen Akteuren vorgeht. Vor allem will sich die Kommission das Empfehlungsystem, also den Algorithmus der chinensichen Plattform genau ansehen.
Unter anderem will die Brüsseler Behörde herausfinden, ob TikTok gegen EU-weite Vorschriften verstoßen hat, um den Sieg von Georgescu in der ersten Runde der Wahl zu ermöglichen. Dem Georgescu, der nur wenige Wochen vor der Wahl praktisch unbekannt war, ist eine sehr erfolgreiche Kampagne auf TikTok gelungen, obwohl er selbst dafür kaum Geld investiert haben soll.
TikToks enorme Nutzerbasis in Europa bedeutet, dass das Unternehmen in eine Kategorie von Online-Plattformen fällt, die den strengsten Vorschriften der EU im Rahmen ihres digitalen Regelwerks, dem Gesetz über digitale Dienste (GdD), unterliegen.
Artikel 34 des GdD verpflichtet solche Plattformen dazu, "systemische Risiken" zu mindern, die sich aus ihren Inhaltsmoderationssystemen, Algorithmen, datenbezogenen Praktiken oder ihrer Werbepolitik ergeben.
TikTok sagt, dass es in diesem Jahr bisher die Konten von drei "verdeckten Einflussnetzwerken" entfernt hat, und besteht darauf, dass es über robuste Systeme verfüge, um Wahlprozesse in Ländern wie Rumänien zu schützen.
Eine von der internationalen Nichtregierungsorganisation Global Witness durchgeführte Recherche legt jedoch nahe, dass die Plattform die Inhalte von Georgescu mehr als fünfmal so häufig gepusht hat als diejenigen seines Gegners. Dabei wurde jedoch nicht festgestellt, ob dies mithilfe eines Algorithmus künstlich hervorgerufen wurde.
Die Plattform erlaubt keine politischen Inhalte in ihren kostenpflichtigen Funktionen, wie etwa bezahlte Anzeigen. Der rumänische Geheimdienst hat jedoch berichtet, dass der Geschäftsmann Bogdan Peschir offenbar rund eine Million Euro für Georgescus Kampagne ausgegeben hat. Unter anderem soll er TikTok-Nutzern für die Werbung für die Kampagne Geld gezahlt haben. Das verstößt eindeutig gegen rumänisches Recht.
Peschir hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Anfang des Monats führte die rumänische Polizei eine Razzia bei drei Immobilien durch, die mit ihm in Verbindung stehen sollen.
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