"Getäuscht und betrogen": Unterwegs in einer AfD-Hochburg

Bei der vorgezogenen Bundestagswahl in Deutschland am 23. Februar hat die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) ihr bisher bestes Ergebnis erzielt. In Mecklenburg-Vorpommern wurde sie stärkste Partei.
In der Kleinstadt Pasewalk erhielt die AfD 40,4 Prozent der Stimmen. Die malerische Stadt mit ihrer Mischung aus traditionellen Häusern und Plattenbauten aus der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Wiedervereinigung liegt nur 90 Minuten mit dem Zug vom Zentrum Berlins entfernt.
Es ist ruhig und sehr sauber, und es wird viel Wert auf gemeinschaftliche Aktivitäten gelegt. Die Menschen kennen sich untereinander und sind freundlich.
Der Bürgermeister von Pasewalk, Danny Rodewald erklärt uns, dass sich die Menschen in der Region auf Bundesebene nicht gehört fühlen. "Wir sind als kleine Kommunen in unserer Region unterfinanziert. Wir brauchen bessere finanzielle Unterstützung", sagt er.
Rodewald räumt auch ein, dass es in der Stadt mit ihren rund 10.000 Einwohnern, von denen viele über 60 Jahre alt sind, an Freizeiteinrichtungen fehle. Schulen, medizinische Einrichtungen und ein Krankenhaus seien zwar gut ausgebaut, aber es müsse mehr investiert werden, auch in den Wohnungsbau.
"Als kleines regionales Zentrum brauchen wir Unterstützung im Wohnungsbau - nicht nur im sozialen Wohnungsbau, sondern auch im regulären, kommerziellen Wohnungsbau. Ich möchte auch gern die Stadtbewohner hier zu uns aufs Land locken", sagt er.
Rodewald betont, dass die Stadt eine gute Lebensqualität biete. Der hohe Stimmenteil der AfD, die gut doppelt so viele Stimmen erhielt wie die zweitplatzierte CDU mit 17,7 Prozent, bedeute nicht, dass die Einwohner mit ihrem Leben unzufrieden sind.
Ambivalenz zwischen Bundes- und Kommunalebene
Die Bewohner erklären Euronews, dass sie sich ein Ende des Krieges in der Ukraine wünschten, weil sie nicht verstünden, warum Steuergelder für Waffen für die Ukraine ausgegeben werden, während obdachlosen Deutschen die Unterstützung fehle und die Lebensmittelpreise explodierten. Das sind Entscheidungen, die auf Bundes- und nicht auf Landesebene getroffen werden.
"Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Bürgern, die unzufrieden sind, aber nicht unbedingt mit der Kommunalpolitik. Dies war eine Bundestagswahl, man kann diese Ergebnisse nicht 1:1 auf Pasewalk übertragen. Es gibt sicherlich Dinge, die nicht so gelaufen sind, wie sie hätten laufen sollen, und dementsprechend haben sich die Bürger leider von den großen Parteien abgewandt", fasst der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins und Rechtsanwalt Michael Ammon gegenüber Euronews zusammen.
Ammon sagt, dass die neue Regierung, wenn sie gebildet ist, alles tun müsse, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln: "Das ist schwierig genug, denn es gibt einige Faktoren, die wir einfach nicht kontrollieren können. Der Krieg in der Ukraine zum Beispiel - das können wir nicht direkt beeinflussen. Die Preise müssen sinken, die Bürokratie muss abgebaut werden, das wird hoffentlich gelingen."
Wenn es SPD und CDU, die gerade über eine Koalition verhandeln, schaffen würden, eine Politik zur Lösung der Wirtschaftskrise in Deutschland zu machen, "dann wird die AfD mit dem Rest ihrer Politik die Wähler, die sie diesmal unterstützt haben, nicht wirklich ansprechen", hofft Ammon.
Städte gegen ländliche Gebiete
In Groß Luckow nicht weit von Pasewalk haben rekordverdächtige 75 Prozent für die AfD gestimmt, so viele wie in keinem anderen Ort in Deutschland. Das 200-Seelen-Dorf liegt weit entfernt von Einkaufsmöglichkeiten und ist 15 Autominuten von Pasewalk entfernt. Viele der Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern sind abgelegen.
Detlef, ein Landwirt, der Ende des Jahres in Rente gehen wird, freut sich über den Aufstieg der AfD.
"Die AfD ist auf einem guten Weg. Aber ob daraus etwas wird, muss man abwarten. Seit Jahren werden wir hier nur getäuscht und betrogen. Versprechungen, immer mehr Versprechungen. Aber gehalten wird eigentlich nichts. Die Preise für alle Arten von Lebensmitteln sind so teuer geworden", beklagt sich Detlef bei Euronews, während er sich um seinen Garten kümmert.
"Die AfD hier, die wollen, dass es besser wird. Die wollen die Ausländer raus haben - Leute, die hier nicht reingehören. Was haben die hier zu suchen? Die nehmen nur unser Geld. Arbeiten wollen sie auch nicht. Sie bekommen Wohnungen, alles wird ihnen in den Hintern gesteckt, während wir in den Großstädten Obdachlose haben. Keiner kümmert sich um sie. Sie schlafen draußen in der Kälte, Tag und Nacht. Da macht sich keiner 'nen Kopf. Hauptsache, die Ausländer kommen. Und wenn sie erstmal wieder nach Hause geschickt werden, kriegen sie noch Taschengeld - 1.000 Euro. Warum?", schimpft er. Detlef kritisiert die Regierungen, insbesondere die Vorgängerregierungen von CDU und SPD, und glaubt, dass sich die Dinge ändern würden, wenn die AfD an die Macht käme.
Enrico Komning, ein direkt gewählter AfD-Abgeordneter für Groß Luckow, beklagte gegenüber Euronews in einer schriftlichen Erklärung, dass Fachkräftemangel, hohe Steuern und Energiekosten, schlechte Infrastruktur und Bürokratie die Region lähmen würden. Strukturschwache Gebiete wie das östliche Mecklenburg-Vorpommern seien oft vor allem von kleinen und mittelständischen Unternehmen mit nur einer Handvoll Angestellten abhängig. Die Region wäre wirtschaftlich sehr auf den Tourismus an der Seenplatte, die Landwirtschaft und das Handwerk angewiesen.
Komning macht die schlechte Infrastruktur für die mangelhafte wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich und verweist auf den unvollständigen Bau von Autobahnen, die die Städte miteinander verbinden sollten, sowie auf die größeren Städte in der Region, die noch immer nicht durch Hochgeschwindigkeitszüge verbunden seien. "Es ist nicht hinnehmbar, dass wir 2025 immer noch über tote Winkel in weiten Teilen des ländlichen Raums sprechen müssen."
Er hofft auch auf die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im September 2026: "Da gibt es eine große Chance für einen Politikwechsel", sagt er.
Jetzt ist auf Bundesebene erst einmal die neue Regierung gefordert, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Vor allem, wenn sie wieder Wähler für die althergebrachten, etablierten Parteien zurückgewinnen will.
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