Millionenfach geklickt: Gab es Massenproteste in Athen gegen Migration?

In einem Video, das in den sozialen Medien kursiert,wird fälschlicherweise behauptet, dass sich die jüngsten Massendemonstrationen in Griechenland gegen irreguläre Migranten und Flüchtlinge richten, die im Land ankommen.
Einer der Beiträge, die das Euroverify-Team entdeckt hat, wurde auf X mindestens 1,2 Millionen Mal angesehen und in seiner Reichweite von mehreren Bot-ähnlichen Konten künstlich verstärkt.
Wir haben das Video überprüft und festgestellt, dass es tatsächlich eine Demonstration am 28. Februar in der Nähe des Syntagma-Platzes im Zentrum Athens zeigt. Selbige fand zwei Jahre nach einem tödlichen Zugunglück statt, bei dem zwei Züge in der griechischen Gemeinde Tempi frontal zusammenstießen.
Bei dem Unglück kamen 57 Menschen, viele von ihnen Studenten, ums Leben. Zwei Jahre später warten die Angehörigen der Opfer immer noch auf Antworten, auch ein Prozess hat noch nicht stattgefunden.
Am 28. Februar kam es in Städten in ganz Griechenland zu ähnlichen Demonstrationen, bei denen der öffentliche und private Sektor sowie die Gewerkschaften 24 Stunden lang streikten und viele Unternehmen und Dienstleistungen zum Stillstand brachten.
Schätzungen zufolge versammelten sich an diesem Morgen zehntausende Menschen auf dem Syntagma-Platz in Athen. Auf einem der von den Demonstranten hochgehaltenen Transparente war zu lesen: "Regierung der Mörder".
Behauptungen, die Demonstranten seien wegen gegen irreguläre Migranten und Flüchtlinge auf die Straße gegangen, entbehren jeglicher Grundlage und scheinen Teil einer gezielten Desinformationskampagne zu sein.
Warum sind die Proteste ausgebrochen?
Ein mit Spannung erwarteter Bericht, der am Tag vor den Protesten veröffentlicht wurde, machte menschliches Versagen, veraltete Infrastruktur und größere Systemfehler für das Zugunglück von 2023 verantwortlich.
Die Familien der Opfer und die Opposition werfen der Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis jedoch vor, die Ermittlungen falsch gehandhabt und versprochene Reformen nicht umgesetzt zu haben.
Der öffentliche Aufschrei hat zu einem Misstrauensvotum gegen die Regierung Mitsotakis geführt, das schließlich vom Parlament abgelehnt wurde.
Seine Regierungspartei sieht sich mit dem Vorwurf der möglichen Vertuschung konfrontiert: Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage glauben sieben von zehn Griechen, dass die Regierung die Verantwortlichen deckt.
Berichten zufolge wurde die Unfallstelle wenige Tage nach dem Unfall geräumt, was für Spekulationen sorgte. Für viele besteht der Verdacht, dass wichtige Beweise beseitigt wurden.
Seit dem Vorfall veröffentlichte Videos zeigen eine starke Explosion nach dem Unfall, was nach Ansicht vieler darauf schließen lässt, dass der Güterzug, der frontal mit dem Personenzug zusammenstieß, illegale entflammbare Stoffe transportierte.
Ein von den Familien der Opfer beauftragter Gerichtsmediziner erklärte, dass 30 der 57 Passagiere, die ums Leben kamen, den Unfall zunächst überlebten, dann aber in dem Feuer umkamen, das aufgrund der hochentzündlichen Fracht in einem der Züge ausbrach.
Letzte Woche setzte das griechische Parlament einen Untersuchungsausschuss ein, der prüfen soll, ob der ehemalige stellvertretende Minister für Klimakrise und Katastrophenschutz, Christos Triantopoulos, eine frühere Untersuchung behindert hat, indem er die Beseitigung von Trümmern an der Absturzstelle anordnete.
Was wissen wir über die Desinformationskampagne?
Die beeindruckenden Szenen mit Zehntausenden von Menschen, die sich in der Umgebung des Syntagma-Platzes versammelt hatten, wurden also fälschlicherweise als Anti-Migranten-Protest bezeichnet.
Der X-Account "Radio Europe", der für die Verbreitung irreführender und falscher Informationen bekannt ist, behauptete, das Video zeige einen "massiven Aufstand in Griechenland", bei dem die Demonstranten den "Rücktritt der globalistischen, verräterischen Regierung" forderten.
"Jeden Tag kommen mehr als 500 illegale Migranten mit Booten in Griechenland an", heißt es in dem Beitrag weiter.
Wir haben diese Behauptung anhand von Daten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen überprüft und festgestellt, dass in der Woche des Protests 40 Migranten und Flüchtlinge in Griechenland angekommen sind.
Der Beitrag von Radio Europe wurde auf X mindestens 1,2 Millionen Mal aufgerufen und von einer Reihe von Bot-ähnlichen Konten weiterverbreitet.
Wir haben zudem festgestellt, dass die Inhalte auf Englisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch und Polnisch im Umlauf ist.
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