Welche europäischen Länder sind häufig Opfer russischer Desinformation?

Ehemalige Sowjetstaaten und Balkanländer sind laut einer neuen Studie die Hauptziele des Desinformationsnetzwerks Pravda des Kremls.
Das Zentrum für Information, Demokratie und Staatsbürgerschaft an der Amerikanischen Universität in Bulgarien untersuchte zwischen Dezember 2024 und März 2025 mehr als 640.000 Veröffentlichungen im Netzwerk.
Dabei stellte sich heraus, dass 52 Prozent aller Veröffentlichungen auf Länder der ehemaligen Sowjetunion und des Balkans entfielen, obwohl diese einen unverhältnismäßig geringen Anteil an der Bevölkerung der untersuchten Länder ausmachen.
Die drei Länder, die am stärksten von der Pravda-Desinformation betroffen sind, sind die Republik Moldau, Lettland und Estland. Serbien und Armenien sind unter den ersten fünf Ländern zu finden.
Litauen, Georgien, die Slowakei, Bulgarien und die Tschechische Republik runden die Top 10 ab.
Die Nähe dieser Länder zueinander und die Statistiken zeigen, dass es ausgeklügelte Bemühungen gibt, Desinformation in Regionen zu verbreiten, die für den Kreml von strategischem Wert sind, so die Studie.
"Sechs der zehn wichtigsten Zielländer beherbergen kritische Energieinfrastrukturen, die europäische Märkte mit russischen Lieferungen verbinden, was auf ein potenzielles strategisches Interesse an Regionen mit Bedeutung für die Energiesicherheit hindeutet", heißt es in der Studie.
"Das Zielmuster der Pravda stimmt mit den dokumentierten Strategien überein, Informationen als Mittel zur Ausweitung des Einflusses in Regionen zu nutzen, die als strategisch wertvoll gelten", heißt es weiter. "Der systematische Charakter der Verbreitung lässt eher auf eine koordinierte Kampagne als auf unabhängige Medienaktivitäten oder organisches Publikumsinteresse schließen."
Bei dem Pravda-Netzwerk handelt es sich um eine Reihe von Websites, die für die Verbreitung von pro-russischer Propaganda eingerichtet wurden.
Die Aktivitäten des Pravda-Netzwerks, das auch als Portal Combat bekannt ist, verbreiten seit 17 Jahren Fake News in verschiedenen europäischen Sprachen; die ersten Ökosystem-Domains und Veröffentlichungen wurden 2013 entdeckt.
Die französische Agentur Viginum, die für die digitale Überwachung und den Schutz vor internationaler Einmischung zuständig ist, war die erste, die dem Netzwerk auf die Spur kam. Im Februar 2024 veröffentlichte sie einen Bericht, in dem sie eine groß angelegte Desinformationskampagne in Europa identifizierte.
Warum steht die Republik Moldau so hoch im Kurs, wenn es um russische Desinformation geht?
Einer der Gründe ist die geografische Lage des Landes: Es liegt zwischen der Ukraine und Rumänien und bildet damit eine Grenze zwischen Ost- und Westeuropa - zwei unterschiedlichen Einflussbereichen, wie die Studie zeigt.
Ein weiterer Grund ist der politische Kontext: Das Land erhielt im Juni 2022 den Status eines EU-Beitrittskandidaten und hat derzeit mit Spannungen zwischen pro-westlichen und pro-russischen Gruppierungen zu kämpfen.
Dies hängt auch mit der Geschichte des Landes zusammen: Als ehemalige Sowjetrepublik hat die Republik Moldau wirtschaftliche, kulturelle und historische Verbindungen zu Moskau und versucht gleichzeitig, sich der EU anzunähern.
Warum hat es Russland speziell auf Osteuropa abgesehen?
Laut Sophia Freuden, Forscherin beim American Sunlight Project - einer Initiative, die die US-Demokratie vor der Bedrohung durch Desinformation schützen will - konzentriert Russland seine Desinformation stärker auf die Länder, die ihm aufgrund langjähriger außen- und innenpolitischer Praktiken am nächsten stehen.
"Das Russische Reich, die Sowjetunion und die Russische Föderation haben alle eine territoriale Expansion als Mittel der Machtprojektion und des angeblichen Überlebens praktiziert", sagte sie gegenüber EuroVerify. "Es ist kein Zufall, dass die Ukraine schon vor dem Euromaidan und dem anschließenden Krieg im Donbass zu den Hauptzielen russischer Desinformation gehörte."
Sie merkte an, dass der Balkan ein "interessanter Fall" sei, weil Moskau diese Länder historisch gesehen nicht als "russisch" betrachtet habe.
"Stattdessen wird der Balkan sowohl als historische "Einflusssphäre" Russlands betrachtet - wobei zur Rechtfertigung stark auf die Philosophie des offensiven Realismus zurückgegriffen wird - als auch, was noch wichtiger ist, der Balkan wird als Hintertür nach Europa betrachtet", so Freuden. "Da viele Länder auf dem Balkan EU- und/oder NATO-Mitglieder sind oder, wie Serbien, danach streben, sind sie nun besondere Mittel, um russische Desinformation in einem Informationsraum zu platzieren, der zunehmend geschlossen und feindlich gegenüber russischer digitaler Einmischung ist."
"Dies gilt umso mehr, als die EU Schritte unternimmt, um Einrichtungen wie RT den Betrieb in Europa zu verbieten", fügte sie hinzu.
Welche Arten von Desinformationsnarrativen werden in diesen Ländern verbreitet?
Wie in vielen anderen Teilen der Welt konzentrieren sich die von pro-russischen Akteuren verbreiteten Desinformationsnarrative auf den Krieg in der Ukraine, die USA und die NATO.
"Das Hauptziel der russischen Desinformationsoperationen seit Beginn des Krieges besteht darin, das falsche Narrativ zu verkaufen, dass Russland irgendwie gezwungen war, in die Ukraine einzumarschieren, weil die Ukraine eine Marionette der Vereinigten Staaten und der NATO geworden war", so Freuden. "Sie versuchen, dieses Narrativ in der ganzen Welt, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Westens, als Mittel zur Rechtfertigung ihres Krieges zu verkaufen".
Sie sagte, sie habe russische Desinformation untersucht, die z.B. mit Anti-Impf-Verschwörungstheorien auf den Balkan abzielten, was besonders während des Höhepunkts der COVID-19-Pandemie der Fall war. Russland versuchte damals, seinen eigenen Impfstoff zu bewerben und die westlichen Bemühungen zur Eindämmung des Virus zu delegitimieren.
Russland neigt auch dazu, separatistische oder rechtsextreme, ethnonationalistische Narrative in Ost- und Südosteuropa zu verstärken.
"Der Hauptgrund dafür ist, die europäische Bevölkerung zu spalten und Fremdenfeindlichkeit sowie Anti-EU-Stimmung zu schüren", so Freuden. "Ein geteiltes Europa ist viel leichter zu erobern als ein geeintes Europa."
Was kann Osteuropa tun, um der russischen Desinformation zu begegnen?
Die Länder sollten einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz zur Bekämpfung von Desinformation verfolgen, so Freuden.
"Die Vermittlung von Informationskompetenz an Kinder und Erwachsene - von der Medienkompetenz über die digitale Kompetenz bis hin zur KI-Kompetenz - ist von entscheidender Bedeutung", sagte sie. "Die Bevölkerung wird nur dann immun gegen russische Desinformation sein, wenn sie lernt, diese zu erkennen und zu vermeiden."
Sie fügte hinzu, dass Regierungen ihre eigenen Agenturen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen finanzieren sollten, um ausländische Desinformation zu überwachen und zu bekämpfen.
"Mit dem Zusammenbruch von USAID werden viele Projekte und Agenturen zur Bekämpfung von Desinformation auf der ganzen Welt geschlossen", so Freuden gegenüber EuroVerify. "Das hilft antidemokratischen Akteuren wie Russland und China nur dabei, ihre totalitären außenpolitischen Ziele auf anfällige Bevölkerungsgruppen zu übertragen."
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