Brüssel, meine Liebe? Läuft Europas Politik die Jugend davon?

Die bisherige Weltordnung ist bedroht - vor allem durch die Aggression Russlands und den Isolationismus der USA. Dazwischen muss sich Europa nun allein behaupten. Ziel ist es, ein stärkerer und unabhängiger geopolitischer Akteur zu werden. Brauchen wir dazu eine gemeinsame europäische Identität? Wie sieht die aus? Kann Europa durch seine Werte und Kultur weltweit Einfluss nehmen, sozusagen Europas Soft Power?
Darrüber diskutieren diese Woche bei Stefan Grobe Quintus von Roedern, Beauftragter für Politik und Interessenvertretung beim European Movement International, Roland Freudenstein, Leiter des Brüsseler Büros der Free Russia Foundation und zuvor viele Jahre Politischer Direktor des Wilfried Martens Centre für Europäische Studien und Vincent Oehme, Nachwuchspolitiker von den Jungen Liberalen.
Es steht alles in den Verträgen! Die Europäische Union gründet sich auf gemeinsame Werte: Würde und Achtung der Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.
Doch damit fühlt sich Europa zunehmend allein. Die bisherige Weltordnung scheint der Vergangenheit anzugehören, nachdem Vladimir Putin und Donald Trump die Axt an das regelbasierte Miteinander der Staaten gelegt haben.
Daher das Interesse Europas, ein stärkerer geopolitischer Akteur zu werden, weswegen die EU-Spitzen seit Monaten aus alten Freunden noch engere Partner machen wollen.
Und daher die Frage: Was macht Europa so einzigartig? Vielleicht die Fähigkeit, die Welt durch Kultur und Werte zu beeinflussen. Und diese Werte sind es, die Europas politische Identität ausmachen. Doch ist dies auch eine Identität, die die Menschen teilen? Oder haben wir am Ende 27 Identitäten?
Ist der Nationalstaat fürs Gefühl zuständig und Europa für den Kopf?
Wie wichtig ist eine europäische Identität für junge Menschen, also für die, die nie etwas anderes als die Europäische Union erlebt haben und mit ihr aufgewachsen sind?
Ein anderes Thema: Weltweit nimmt das Vertrauen in politische Institutionen ab, und kaum eine Bevölkerungsgruppe ist so desillusioniert wie junge Menschen. Bei den letzten Europawahlen ging die Wahlbeteiligung der unter 25-Jährigen um 6 Punkte zurück, obwohl eine große Mehrheit unter ihnen der EU positiv gegenübersteht. Wie ist es um das Verhältnis junger Menschen zu Politik und Europa bestellt? Wie kann es verbessert werden?
Rund 75 Millionen Menschen in der EU sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. In erster Linie sind sie es, die den europäischen Integrationsprozess voranbringen müssen. Doch sieht es dafür alles andere als ermutigend aus.
Jugendliche waren die Wählergruppe mit der geringsten Beteiligung an den Europawahlen im vorigen Jahr. Zugleich sinkt ihr Vertrauen in politische Institutionen und die Politik im Allgemeinen und es steigt der Zulauf zu rechtsextremen Parteien.
Experten sehen eine "Grund-Frustration" bei jungen Menschen, die schon seit der Finanzkrise zu beobachten und durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg noch verstärkt worden sei. Dies habe zu “maximaler Ernüchterung” geführt und zum Zulauf zum Populismus, der einfache Antworten biete.
Letztes Thema: Die wachsende Bedrohung der psychischen Gesundheit junger Menschen in der EU ist eine in der breiten Öffentlichkeit kaum diskutierte Krise. Doch gehören Depressionen und Zukunftsangst für viele Jugendliche zum Alltag. Die Pandemie hat diese Situation noch verschlimmert. Dazu kommen die Auswirkungen des digitalen Zeitalters, sprich: soziale Medien, und eine unsichere wirtschaftliche Lage. Für viele bleibt nur der letzte Ausweg.
2023 nahmen sich in Deutschland rund 500 junge Menschen bis 25 das Leben, drei Viertel davon Jungen und nur ein Viertel Mädchen. Wie ist das zu interpretieren, haben Jungen mehr Angst vor dem Leben, mehr Herausforderungen, mehr Stress?
Zahlen aus der Schweiz zeigen, daß Mädchen öfter versuchen, sich das Leben zu nehmen als Jungen, aber den Versuch überleben - anders als Jungen. Ist es also bei Mädchen eher ein Warnsignal an die Umwelt als eine endgültige Krisenbewältigung?
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