Abschiebung statt Abschluss: Wie eine Berliner Uni mit indischen Studierenden Profit macht
Nie hätte Deep Shambarkar gedacht, dass sein Studium in Deutschland so enden würde. Der 25-Jährige zog vergangenen Juli aus dem indischen Maharashtra nach Berlin, um Business Management im Master zu studieren. An der privaten Hochschule "International University" – kurz IU – hatte er sich eingeschrieben.
"Die meisten Studierenden sind mittlerweile gegangen", sagt Deep. "Viele haben die Uni gewechselt, zumindest die, die aus wohlhabenden Familien kommen. Andere sind wieder nach Hause gegangen. Sie waren hilflos."
Rund 20.000 Euro hat Deep bereits für sein Studium bezahlt – viel Geld für den jungen Mann. Bei einer indischen Bank hatte er dafür einen Studienkredit aufgenommen. "Ich denke nicht, dass die Hochschule mir das Geld zurückzahlen wird", erklärt er. Schon andere hätten ihr Studium abbrechen müssen und seien auf den Kosten sitzen geblieben.
Statt seine Masterarbeit zu schreiben, muss er sich nun mit den Behörden herumschlagen. Im Sommer sollte sein Visum verlängert werden. Doch plötzlich liegt ein gelber Brief des Berliner Landesamts für Einwanderung (LEA) in Deeps Briefkasten: eine Aufforderung zur Ausreise bis zum 3. November 2025. Deep soll das Land verlassen, sonst droht ihm die Abschiebung.
Gebrochene Versprechen
"Ich denke, es liegt daran, dass die Hochschule möglicherweise nicht die richtige Akkreditierung für ihre Kurse hatte", sagt Deep. In einem ähnlichen Fall habe bereits ein Student vor Gericht verloren. "Sie haben gesagt, dass die angemessene Infrastruktur fehle. Es gibt zu wenig Professoren an der Hochschule." Auch Deep hat Einspruch eingelegt. Doch Hoffnung hat er wenig.
Seit März würden immer mehr Studierende zur Ausreise aufgefordert werden. Etwa 300 Fälle kenne er, sagt Deep. Hintergrund sei, dass die Behörden das Studium an der IU nicht als Präsenzlehre anerkennen. Studierende könnten es aus der Ferne absolvieren, in Deeps Fall aus Indien. Dabei sei ihnen ein Studium in Deutschland versprochen worden.
Mit mehr als 130.000 Studierenden ist die IU eine der größten Hochschulen Deutschlands. Etwa 4.500 von ihnen sind Inder. Sie machen gut ein Fünftel der internationalen Studierenden aus.
Viele von ihnen, so wie auch Deep, fanden die Hochschule über die indische Vermittlungsagentur "UpGrad". Das Unternehmen unterstützt Personen, die im Ausland studieren wollen. Das Modell: Der erste Teil des Studiums wird online aus Indien absolviert, in Deeps Fall war es das erste Semester. Anschließend ziehen die Studierenden nach Deutschland, um ihr Studium hier abzuschließen.
"Ein Jahr verschwendet"
Auch Raghav wurde über "UpGrad" an die Hochschule vermittelt. Der 20-Jährige heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben. Von Delhi aus hat er vor Kurzem das erste Jahr seines Bachelorstudiums in Business Administration abgeschlossen. Eigentlich sollte er schon seit September in Berlin weiterstudieren. Stattdessen sitzt er in Indien fest. Sein Visum wurde bisher nicht bewilligt. "Ich fühle mich betrogen", erzählt er Euronews per Videokonferenz.
Einer seiner Freunde studiere bereits in Deutschland. "Er sagt, ich hätte Glück, dass ich mein Visum nicht bekommen habe. Sonst würde ich auch abgeschoben werden", erzählt Raghav.
In Indien habe er wenigstens die Unterstützung seiner Familie. "In Deutschland haben die Studierenden gar nichts", so der Inder.
Am liebsten würde Raghav die Erfahrung einfach abhaken. Viel Zeit habe er schon investiert – "ein Jahr verschwendet", wie Raghav es sagt. Den Traum von einem Studium in Deutschland will er trotzdem nicht aufgeben und plant, es noch einmal mit einer anderen Hochschule probieren. "In der Zwischenzeit lerne ich Deutsch. Ich habe schon B1-Niveau."
Enttäuschung pur
Einfach abhaken und alles vergessen – für Deep kommt das kaum in Frage. "Ich habe viel Zeit und Geld investiert." Eine andere Hochschule sei keine Option. Deep befürchtet, sie würden seine bereits erbrachten Leistungen nicht anerkennen.
Deswegen hofft er, doch noch an der IU seinen Abschluss machen zu können. Etwa sechs Monate bräuchte er dafür noch. "Ich habe nur noch ein paar Module und die Masterarbeit", sagt Deep.
Auf eine Anfrage von Euronews antwortet die IU, die Hochschule würde "bedauern", dass Studierende ausreisen sollen. Anfang 2025 habe das LEA seinen Umgang mit hybriden Studiengängen geändert, "ohne die IU Internationale Hochschule darüber zu informieren."
Ab 2026 gelte eine neue Studienordnung. "Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Präsenzstudiengänge alle regulatorischen Anforderungen für die Visa-Vergabe erfüllen."
Insbesondere, dass das LEA ihre Visa-Vergabe für Studierende, "die unter anderen Voraussetzungen eingereist sind", geändert hat, sei nicht nachvollziehbar, so die Hochschule. In bestimmten Fällen könnten Studierende ihr Studium kostenlos in ihren Heimatländern beenden.
"Mein Leben fühlt sich wie die Hölle an"
Rückblickend sei das Studium "enttäuschend" gewesen, so Deep. "Ich hatte nie das Gefühl, an einer Universität zu sein. Es gab ein paar Klassenzimmer, einige Kurse. Ich habe das richtige Studium für mich gewählt, aber nicht die richtige Hochschule."
Der Berliner Campus an der Frankfurter Allee erinnert mehr an ein Büro als an eine Universität. Hier im "Plaza", in dem auch ein Einkaufszentrum untergebracht ist, hat die IU mehrere Etagen gemietet. Etwa 11.700 Quadratmeter einer umgebauten Hotelfläche nutzt die Hochschule hier – zwischen Optiker und Supermarkt.
Konktakt mit der Hochschule aufzunehmen sei schwierig, erklärt Deep. Nur wenig Unterstützung würde er von der IU bekommen. "Mittlerweile zahlen sie Anwälte, damit die Studierenden nicht ihr eigenes Geld nutzen müssen, um Einspruch einzulegen."
Deep leidet unter dem Druck: "Es ist hart, sich der Situation zu stellen – psychisch und physisch", erzählt er. "Ich werde behandelt wie ein Krimineller."
Wie groß die Belastung ist, zeigt auch das Beispiel eines anderen Studenten. Er möchte anonym bleiben: "Ich fühle mich wie ein Versager. Die Situation hat meine Psyche massiv beschädigt. Manchmal fühle ich mich, als stünde mein Leben kurz vor dem Ende."
Obwohl er legal mit einem Studentenvisum nach Deutschland gekommen sei und weiterhin studiere, stehe auch er kurz vor der Abschiebung. "Ich habe keinen Appetit mehr und leide unter Albträumen und Schlaflosigkeit. Mein Leben fühlt sich wie die Hölle an." Einen Monat hätten die Behörden ihm gegeben, um auszureisen.
Umstrittenes Urteil
Mittlerweile wolle die IU keine internationalen Studenten auf dem Berliner Campus mehr aufnehmen, wie Euronews von Insidern erfährt. In einer Nachricht, die Euronews vorliegt, heißt es: "Aufgrund der anhaltenden rechtlichen und administrativen Unsicherheiten mit der LEA wird die IU bis auf Weiteres alle neuen Studierendenaufnahmen für den Standort Berlin aussetzen."
Ein Gericht habe demnach zwar anerkannt, dass die IU über die notwendige Akkreditierung für Studiengänge sowie ausreichend Personal und Infrastruktur verfüge.
Gleichzeitig habe das Gericht die Anforderungen verschärft, "darunter strengere Anwesenheitskontrollen mit Sanktionen sowie Prüfungen, die ausschließlich auf dem Campus stattfinden." Die Richter hätten deutlich gemacht, dass das Urteil hoch umstritten sei. Es würde dem Hochschulrecht widersprechen.
Neuer Campus in Köln
Ein Sprecher des Berliner Landesamtes für Einwanderung teilt Euronews mit, dass regelmäßig die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen geprüft werden.
Im Fokus stünden dabei, ob Voraussetzungen wie "hinreichender Lebensunterhalt, ordnungsgemäßes Vollzeitstudium, Passbesitz, kein Ausweisungsinteresse etwa wegen der Begehung von Straftaten" vorliegen würden.
Studierende würden vorübergehend sogenannte "Fiktionsbescheinigungen" erhalten. Dabei werde die Aufenthaltserlaubnis "erteilt oder eben versagt." Das gelte auch für Studierende der IU.
Die Hochschule plant nun, in Köln einen Campus zu eröffnen. Ab Oktober 2026 soll es losgehen.
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