Soziales Jahr für Rentner? "Wir brauchen mehr Solidarität der Alten", sagt CDU-Generalsekretär

Rentner würden zu wenig arbeiten. Nach CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann empfiehlt auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Rentner sollten ein verpflichtendes soziales Jahr ableisten.
Der Ökonom fordert, die Alten stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Babyboomer hätten den Generationenvertrag gebrochen und würden die Kosten auf die Jungen abwälzen wollen, sagte er gegenüber dem Spiegel.
"Es wird künftigen Generationen schlechter gehen, und das sieht auch die große Mehrheit der Älteren so. Darum brauchen wir einen neuen Generationenvertrag", so Fratzscher im Interview mit dem Magazin.
Wer sind die Babyboomer?
Die Generation der sogenannten Boomer umfasst die geburtenstarken Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurden zwischen 1946 und 1964 geboren, haben den Großteil ihres Lebens bereits mit Erwerbsarbeit verbracht und sollen nun laut Ökonom Fratzscher nicht in den wohlverdienten Ruhestand, sondern verpflichtend ein soziales Jahr ableisten.
"Mich stört an unserer Debatte, dass wir die Lösung unserer Probleme häufig schematisch den Jungen aufbürden", erklärt Fratzscher dem Spiegel und nimmt Bezug auf die Wehrpflicht, die Pflege und das Gesundheitssystem. Die Lasten müssen laut ihm fairer verteilt werden: "Wir brauchen mehr Solidarität der Alten mit den Jungen."
Fratzscher schlägt ein "verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentner" vor. Die ältere Generation könne sich "beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung" stärker einbringen. Rentner könnten beispielsweise technisch unterstützen. Eine genauere Ausgestaltung wurde nicht dargelegt. Für Menschen, die nicht mehr arbeiten können, solle es Ausnahmen geben.
Dabei zeigen aktuelle Statistiken, dass die Menschen, die jetzt 61 Jahre aufwärts sind, bereits ebenso mit Problemen belastet sind. Im Jahr 2024 galten in Deutschland 19,6 Prozent der Senioren ab 65 Jahren als armutsgefährdet. Es handelt sich um die höchste Quote seit 2020, so das Statistische Bundesamt.
Rentner in Deutschland: Armutsgefährdet, aber ein langes Leben
Rentner gelten als armutsgefährdet, wenn das Nettoäquivalenzeinkommen einer Person weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung beträgt. Im Jahr 2024 lag die Schwelle für Alleinstehende bei rund 1.378 netto pro Monat. Nur ein Drittel aller Rentner bekam 2023 einen Betrag ausgezahlt, der über dieser Schwelle liegt.
In Anbetracht der Tatsache, dass Rentner heutzutage eine längere Lebenserwartung haben - sie ist seit den Fünfzigerjahren um 13,9 Jahre für Männer und 14,9 Jahre für Frauen gestiegen - werden die Rentenkosten pro Lebenszeit einer Person mehr.
"In den Sechzigerjahren versorgten sechs Beitragszahler eine Rentnerin oder einen Rentner. Bald sind es nur noch zwei", sagt Ökonom Fratzscher. Auf die jungen Leute komme zusätzlich zu schwierigen Einstellungsverhältnissen und einer stagnierenden Wirtschaft das Mittragen von mehr Rentnern gleichzeitig zu.
Die demografische Veränderung in Deutschland schreibt Fratzscher klar den Boomern zu. Längeres Leben, weniger Kinder. "Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen? Die Boomer selbst verweigern sich seit 20 Jahren dieser Verantwortung."
Fratzschers fordert daher eine Umverteilung. Nicht mehr von den jungen Erwerbstätigen zu den Rentnern, sondern von reichen und sehr wohlhabenden Rentnern zu ärmeren Rentnern.
So würden jüngere Generationen nicht mehrbelastet. Diese haben laut Fratzscher "deutlich schlechtere Möglichkeiten auf eine selbstbestimmte Zukunft, ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, als das vor 40 Jahren der Fall war", sagte er gegenüber dem Spiegel.
DIW: Boomer-Soli-Modell als Lösung der Rentenproblematik?
Die Anhebung des Rentenniveaus, wie sie beispielsweise der VdK-Sozialverband vorschlagen, würde laut DIW-Präsident nicht ausreichen. Die gesetzliche Rentenversicherung benötige zusätzliche Mechanismen, wie etwa den sogenannten Boomer-Soli. Die mögliche Sonderabgabe habe das Potenzial, das Rentensystem zu stabilisieren, erklärte das DIW in einer Mitteilung Mitte Juli.
Mit dem Boomer-Soli würden Personen mit hohen Alterseinkünften eine Sonderabgabe leisten. Diese Abgaben würden an einkommensschwache Rentner umverteilt. Jüngere Generationen bleiben in diesem Konzept außen vor.
DIW-Steuerexperte Stefan Bach erklärte: "Es wäre nicht fair, die anstehenden Lasten des demografischen Wandels vor allem den jüngeren Generationen aufzubürden. Ein Boomer-Soli kann helfen, für Ausgleich zu sorgen. Er träfe in erster Linie gut versorgte Ruheständler, denen es nicht allzu weh tut, einen zusätzlichen Beitrag zu leisten."
Laut Berechnungen des Instituts würde eine solche Umverteilung mit einer Sonderabgabe für die 20 Prozent Rentner mit dem höchstem Einkommen die Armutsrisikoquote von 18 auf knapp 14 Prozent senken können.
Politisch wurde der Vorschlag des DIW-Präsidenten durchwachsen empfangen. Die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Gitta Connemann (CDU), sagte den Sendern RTL/ntv, ein "Boomer-Soli" raube den Menschen Verlässlichkeit.
Der Chef der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stefan Nacke, warnte gegenüber der Funke Mediengruppe: Der DIW-Vorschlag schaffe neue Ungerechtigkeiten, "wenn Einnahmen der Rentnerhaushalte, aber keine Vermögen berücksichtigt werden". Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) kritisierte den Ansatz.
Dass sich etwas im Rentensystem ändern muss, darüber sind sich alle einig. Auch die Regierung, allen voran Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), hat Anfang August ein Rentenpaket verabschiedet, das die Rente zumindest bis 2031 stabilisieren wird. Die Union hatte darüber hinaus betont, sie will Anreize schaffen, damit mehr Menschen später in Rente gehen.
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