"Wenn Du getötet hast": Präsident Nawrocki fordert erneut Reparationen von Deutschland

Die Feierlichkeiten auf der Westerplatte in Danzig haben nach alter Tradition pünktlich um 4.45 Uhr begonnen - genau zu dem Zeitpunkt, als vor 86 Jahren das deutsche Schlachtschiff "Schleswig-Holstein" das Feuer auf das polnische Militärische Transitlager in Danzig eröffnete. Der Klang der Alarmsirenen durchbrach die morgendliche Stille und rief die Erinnerung an die ersten Salven wach, mit denen der blutigste Konflikt in der Geschichte der Menschheit begonnen hatte.
An der Zeremonie nahmen die wichtigsten Vertreter der polnischen Regierung teil: Präsident Karol Nawrocki, Ministerpräsident Donald Tusk, Sejm-Präsident Szymon Hołownia und der stellvertretende Ministerpräsident und Minister für nationale Verteidigung Władysław Kosiniak-Kamysz. Begleitet wurden sie von Ministern, Parlamentariern und lokalen Regierungsvertretern.
Präsident Karol Nawrocki fordert erneut Reparationen von Deutschland
In seiner Rede konzentrierte sich Karol Nawrocki auf zwei zentrale Themen: die Forderung nach Kriegsreparationen von Deutschland und die Bewertung der gegenwärtigen Bedrohungen.
"Wir müssen die Frage der Reparationen des deutschen Staates regeln, die ich als Präsident Polens im Interesse des Gemeinwohls unmissverständlich fordere", erklärte das Staatsoberhaupt mit Nachdruck.
Der Präsident argumentierte, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit für den Aufbau künftiger Beziehungen unerlässlich sei: "Reparationen werden keine Alternative zur historischen Amnesie sein, aber Polen als Frontstaat, als wichtigster Staat an der Ostflanke der NATO, braucht sowohl Gerechtigkeit, Wahrheit und klare Beziehungen zu Deutschland, aber auch Reparationen vom deutschen Staat."
Nawrocki wählte deutliche Worte, als er auf die moralische Dimension der Reparationsfrage hinwies: "Nur Reichtum, der keine Sünde ist, ist gut, und Reichtum, der [...] auf dem Bruch des Dekalogs beruht, der besagt: Du sollst nicht töten und du sollst nicht stehlen, und wenn du getötet und gestohlen hast, musst du deine Schuld bekennen, dich entschuldigen und Wiedergutmachung leisten."
Der Präsident verwies auch auf die aktuellen Sicherheitsherausforderungen: "Wir stehen vor großen Herausforderungen angesichts des wiederauflebenden Neoimperialismus der postsowjetischen Russischen Föderation. Wir stehen vor der Aufgabe, die EU und die NATO aufzubauen, was wir gemeinsam mit unserem Handelspartner und Nachbarn Deutschland, den Verursachern des Zweiten Weltkriegs, tun."
Am Ende seiner Rede appellierte Nawrocki an die eigene Regierung, Unterstützung zu leisten: „Ich glaube, dass der Ministerpräsident und die polnische Regierung die Stimme des Präsidenten auf internationaler Ebene stärken werden und wir gemeinsam mit unseren westlichen Nachbarn eine wirklich sichere Zukunft aufbauen werden.“
Forderung von Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro
Nawrocki hatte bereits vor seinem Amtsantritt mit Reparationsforderungen gegenüber Deutschland in Höhe von rund 1,3 Billionen Euro für Schlagzeilen gesorgt. Die von Donald Tusk angeführte Mitte-Links Regierung hatte das Thema zuvor nicht mehr aktiv behandelt sondern vielmehr auf ein Zeichen aus Berlin gewartet.
Aus Sicht von Bundeskanzler Friedrich Merz sei die Frage von Weltkriegs-Reparationen rechtlich abgeschlossen, wie er auf seinem Antrittsbesuch in Warschau im Mai erklärte. Man könne jedoch auch weiterhin über gemeinsame Projekte im Rahmen der Wiedergutmachung sprechen.
Nawrocki nannte Tusk daraufhin einen "Kammerdiener des deutschen Staates" und erklärte, für ihn und seine Partei PiS sei die Frage der Reparationen noch nicht erledigt.
Tusk über Weisheit, Feinde und Verbündete
Ministerpräsident Donald Tusk betonte in seiner Rede die strategische Bedeutung des Sicherheitsdenkens für Polen.
„Am besten besiegt man den Gegner ohne Krieg. Das sollte für uns ein heiliges Gebot sein. Wir müssen so stark sein, wir müssen so weise sein, wir müssen so geeint sein, dass niemandem aus irgendeinem Teil der Welt jemals wieder in den Sinn kommt, unser Vaterland anzugreifen”, sagte der Regierungschef.
Der zentrale Teil der Rede des Ministerpräsidenten war der Aufruf zu geopolitischer Klugheit, die das Land zu etwas führen würde, das er als „Zivilisation der Freiheit“ bezeichnete: „Wir müssen klug sein und daher verstehen, wer der Feind und wer der Verbündete ist. Wir müssen genau verstehen, woher diese große Gefahr heute kommt und mit wem wir uns zusammenschließen sollten, um Polen, die gesamte westliche Welt, unsere Zivilisation, die Zivilisation der Freiheit, zu verteidigen.”
Tusk betonte die Bedeutung von Allianzen als Lehre aus dem Jahr 1939: „Polen darf nie wieder allein sein. Polen darf niemals schwach sein.” Der Ministerpräsident verwies auf Polen, seine Verbündeten, das vereinte Europa und die NATO als Säulen der Sicherheit.
Der Regierungschef rief zur Einheit in Fragen der Sicherheit und der Erinnerung auf: „In diesen Fragen müssen wir zusammenstehen, in diesen Fragen dürfen wir keine Zweifel haben.“ Er schloss mit einem dramatischen Appell: „Wir müssen klug sein, wir müssen stark sein, wir müssen vereint sein. Wir müssen uns für Größe entscheiden, denn entweder wird Polen groß sein oder es wird, wie in der Vergangenheit, überhaupt nicht mehr existieren.”
Vor 86 Jahren brach der Zweite Weltkrieg aus
Am 1. September 1939 um 4.45 Uhr morgens begann das deutsche Schlachtschiff "Schleswig-Holstein" mit dem Beschuss des polnischen Militär-Transitlagers auf der Westerplatte, einer der ersten Aggressionsakte des Dritten Reiches gegen Polen. Dieser Moment markierte den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Die polnischen Verteidiger unter dem Kommando von Major Henryk Sucharski wehrten sich sieben Tage lang heldenhaft gegen die Angriffe von See, vom Land und aus der Luft. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 210-240 Polen in dem Depot. Bei den Kämpfen starben 15 polnische Soldaten, etwa 30 wurden verwundet. Auf deutscher Seite wurden schätzungsweise 50 Soldaten getötet und etwa 120 verwundet.
Mehr als zwei Wochen später, am 17. September, griff auch die Rote Armee Polen an und setzte damit die Vereinbarungen des Molotow-Ribbentrop-Pakts um.
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