Chaos "Made in Moskau": Wie Russland Deutschlands Extremisten vereint
Etwa einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023, bei dem über 1.200 Menschen getötet worden sind und über 250 verschleppt wurden, tauchten in Paris blaue Davidsterne an Hauswänden auf.
In Frankreich ging man zunächst von einem antisemitischen Motiv aus. Jedoch wiesen die Indizien nach den Ermittlungen auf eine russische Desinformationskampagne hin.
Zwei moldauische Paare sprühten die Davidstern-Graffitis offenbar für eine geringe Geldsumme auf Anweisung einer Person aus dem Ausland auf Hauswände in der französischen Hauptstadt. Ziel sollte das Schüren von Verwirrung und Misstrauen gewesen sein – jedoch fehlte eine eindeutige antisemitische Botschaft.
Putin-Memes und kleine Aufträge
Auch in Deutschland werden Menschen angeheuert, um kleine Sabotage- und Spionageakte für ausländische Akteure durchzuführen. Der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundeskriminalamt (BKA), der Verfassungsschutz (BfV) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) gehen davon aus, dass Russland für die Anheuerung der sogenannten "Wegwerf-Agenten", auch bekannt als "Low-level Agents", verantwortlich ist.
Als Wegwerf-Agenten bezeichnet man Personen, die oft über soziale Medien für eine meist geringe Geldsumme angeheuert werden, um kleinere Aufträge durchzuführen, wie etwa Aufnahmen von kritischer oder militärischer Infrastruktur, Brandanschlägen oder Graffitis. "Teilweise werden sie auch auf ideologischer Basis rekrutiert", erklärt der österreichische Desinformationsanalyst Dietmar Pichler.
"Man schaut: Sind sie in irgendwelchen Gruppen [in den sozialen Medien]? Sind sie schon radikalisiert? Sind sie vielleicht verzweifelt? Hier im Westen sind es oft Personen, von denen man weiß, dass sie Putin‑Bilder liken oder entsprechende Memes teilen. Dann werden sie kontaktiert, man versucht, sie zu gewinnen und langsam aufzubauen", meint Pichler im Gespräch mit Euronews.
Die politische Gesinnung ist hier nebensächlich, da "Russland alle extremistischen Bestrebungen in Deutschland und ganz Europa unterstützt", erklärt der Terrorismusexperte und Leiter des Counter Extremism Projects (CEP) Dr. Hans Jakob Schindler.
Ihm zufolge ist es für Russland nicht wichtig, ob die Gruppierungen links- oder rechtsextrememistisch oder gar islamistisch sind. Wichtig ist nur, wie viel Störung sie verursachen können.
Laut Schindler geht es dabei nur darum, dass sie als Teil der hybriden Kriegsführung – also als Gruppe oder Netzwerk – nicht unbedingt direkten Schaden anrichten, aber Spaltungen und Unsicherheit erzeugen.
Lesen Sie die ersten zwei Artikel aus der Serie "Putins geheimer Terror in Deutschland"
Vom Neonazi bis zum Stalinisten
So liegt der Schluss nahe, dass Russland aufgrund der westlichen Unterstützung für Kyjiw, versucht, mit Sabotage- und Spionage-Akten der Ukraine zu schaden, doch zielt die hybride Kriegsführung gegen den Westen primär darauf ab, Chaos, Unsicherheit und Spaltung zu schaffen.
Der Präsident des Verfassungsschutzes Sinan Selen sagte RTL-Nachtjournal Spezial, dass "die Ansprache reduziert sich nicht auf einzelne Personen oder Parteien" reduziere. "Wo man aber schon eine Auffälligkeit sieht, ist, dass das Bemühen gerade in den politischen Rändern sehr stark stattfindet", so Selen. "Links wie rechts versucht man hier Kontakte aufzugreifen und aufzubauen, weil man sich verspricht, dass man hier erfolgreich ist."
Auch der Rechtsextremismus-Forscher Dr. Johannes Kieß bestätigt bei Euronews, dass viele extremistische Gruppierungen ideologische Verbindungen nach Russland haben.
Zwar gebe es durchaus Strömungen in der extremen Rechten, die klassisch antislawistisches Gedankengut haben – wie es auch die Nationalsozialisten gepredigt haben, so Kieß. Was jedoch in den vergangenen Jahrzehnten beobachtet wurde, ist, dass die Neue Rechte sich diesbezüglich ein Stück weit verschoben hat. Die Feindbilder haben sich von klassischer Rassenlehre zu Ethnopluralismus verschoben.
So, ergänzt Kieß, hat Russland seinen Platz bei den Neuen Rechten gefunden. Ethnopluralisten sind der Überzeugung, dass jede "Ethnie" oder Kultur ihre eigenen Lebensräume und Identitäten braucht und dass unterschiedliche Gruppen getrennt bleiben sollten, um ihre "kulturelle Reinheit" zu bewahren.
Kontakte nach Russland
Kieß hat in seiner Forschung, die sich vor allem auf Rechtsextremismus, aber auch auf andere antidemokratische Strömungen konzentriert, immer wieder Hinweise entdeckt. Diese reichen jedoch nicht aus, um zu behaupten, dass eine bestimmte Partei oder Gruppierung direkt von Russland gesteuert wird, so der Experte, der ergänzt, dass es jedoch eine Interessenkongruenz oder Überschneidungen gibt.
Ein anschauliches Beispiel ist seiner Meinung nach die Partei Freien Sachsen. "Es ist bekannt, dass der Vorsitzende bereits russische Kontakte hatte", erklärt Kieß.
"Er hat dort studiert, reiste regelmäßig nach Russland, pflegte Kontakte und vertrat sogar russische Unternehmen als Rechtsanwalt in Deutschland. Es ist allerdings nicht bekannt, dass er tatsächlich Geld aus Russland für den Aufbau der Freien Sachsen erhalten hat", erklärt Kieß, der erneut ergänzt, dass es dafür keine Beweise gebe.
"Dennoch bestehen diese Kontakte, und es werden ähnliche Strategien verfolgt. So gab es beispielsweise eine Reisegruppe der Freien Sachsen nach Russland, als der Krieg noch nicht eskaliert war. Auch während der sogenannten Flüchtlingskrise nach 2015 haben russische Fake-Accounts und Kampagnen, insbesondere im russischsprachigen Bereich in Deutschland, versucht, Konflikte zu verschärfen. Das ist nichts Neues: Schon 2015/16 lassen sich relativ klar Einflussnahmen aus Russland nachweisen."
Kieß zufolge kommt dann noch ein zweites Element ins Spiel: der andauernde Kampf gegen die Moderne – die moderne Gesellschaft und alles, was damit verbunden ist, wie zum Beispiel der Feminismus. Russland ist in dieser Erzählung das "Gegengewicht" zur Moderne, zum Westen und den USA.
Linksextreme Gruppierungen hingegen lehnen die NATO und die USA ab, da sie diese als "imperialistische Akteure" betrachten, die – mit dem Kapitalismus – für die globalen Ungerechtigkeiten verantwortlich sind.
Die Alternative für die meisten extremen Gruppierungen ist demnach Russland. "Es gibt Beispiele, bei denen Neonazis sich mit Palästina solidarisieren, weil sie sagen: Auch das palästinensische Volk habe ein Recht auf Selbstbestimmung – ganz im ethnopluralistischen Sinne", erklärt Kieß.
"Das ist natürlich auch eine Provokation, eine Art, den Linken eins auszuwischen. Gleichzeitig transportiert diese Haltung eine klare Position gegen den Staat Israel, also gegen den Staat der Juden. Da vermischt sich dann vieles sehr schnell miteinander."
Russische Propaganda ist rot
Das Medienprojekt "Redfish" ist ein passendes Beispiel hierfür. "Redfish" gab sich als linkes, basisnahes Nachrichtenportal aus, war aber einer Vice-Recherche vom März 2022 zufolge ein Propaganda-Projekt des Kremls, das die "Tochter" der staatlich russisch kontrollierten Ruptly GmbH genannt wurde.
"Redfish" richtete sich gezielt an linke und progressive Zielgruppen und nutzt reale Themen wie Rassismus oder Kolonialismus, um pro-russische Narrative glaubwürdig zu verpacken.
Zwar kündigte "Redfish" 2023 an, dass es zur Schließung gezwungen worden sei, doch scheint sich schnell mit "Red" ein Nachfolger gefunden zu haben. Das Außenministerium bestätigte im Juni dieses Jahres, dass auch hier Russland das Online-Medium nutzt, um im Rahmen einer Desinformationskampagne die deutsche Gesellschaft zu spalten.
"Red" wurde bis zu seiner Schließung im Mai dieses Jahres vom türkischen Medienunternehmen AFA Medya betrieben, das mit seinem Gründer Hüseyin Doğru bereits auf der EU-Sanktionsliste wegen ihrer Verbindungen zu Russland steht. Auch ihnen wird vorgeworfen, den demokratischen politischen Prozess in Deutschland zu beeinträchtigen.
Auf der "Red"-Website hat das Medium einen Artikel veröffentlicht, in dem es die eigene Schließung kritisiert. Dem Medium wird vorgeworfen, eine Fortsetzung des russischen Russia Today-Projekts "Redfish" zu sein und pro-palästinensische Proteste in Deutschland angestiftet zu haben.
"red.media" bestreitet diese Vorwürfe und betont, ein "unabhängiges, antikoloniales Medium zu sein, das für Palästina und gegen Imperialismus" berichtet.
"Red" wurde vor seiner Schließung im Mai dieses Jahres vom türkischen Medienunternehmen AFA Medya betrieben, das zusammen mit seinem Gründer Doğru bereits Gegenstand von EU-Sanktionen gegen Russland ist und beschuldigt wird, den "demokratischen politischen Prozess" in Deutschland zu untergraben.
Bei den linken Gruppierunge ist der Antisemitismus laut Kieß noch stark vom Stalinismus geprägt. Stalin verbreitete in den 1950er-Jahren massiv antisemitische Propaganda, und Teile dieser Ideologie sind auch in westeuropäische linke Bewegungen eingesickert.
Populismus, Antisemitismus und russische Propaganda
"Am Ende steht sowohl im rechten wie auch im linken Spektrum oft ein Denken, das um das 'Volk' kreist – gegen die 'Eliten'. Dieses populistische Momentum enthält Elemente, die in ihrer Struktur dem Antisemitismus verwandt sind", erklärt der Rechtsextremismus-Forscher Kieß.
Diese Gemengelage aus den verschiedensten politischen Lagern mit russlandfreundlichen Tendenzen, sind anfällig für russische Propaganda und sind somit auch ein Teil der hybriden Kriegsführung. Russland hat damit erreicht, den Westen mit etlichen kleinen Nadelstichen zu verunsichern.
Hybride Kriegsführung wird von Experten teils als Terrorismus eingeordnet und in ihren Methoden mit denen des sogenannten "Islamischen Staats" verglichen. Mehr dazu im vierten Teil der euronews-Serie: "Putins geheimer Terror in Deutschland"!
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