Russen-Terror in Deutschland: Putin nutzt Methoden von Islamisten
Russland setzt in seiner hybriden Kriegsführung gegen den Westen mitunter auf sogenannte "Wegwerf-Agenten". Das sind Zivilisten, die sich – meist über Social Media – anheuern lassen und dann verhältnismäßig kleine Spionage und Sabotageakte durchführen.
Darunter fallen beispielsweise Brandstiftung, Foto- und Videoaufnahmen von militärischer oder kritischer Infrastruktur oder auch das Versenden von Paketbomben. Das Ziel ist immer dasselbe: Das Schüren von Chaos und Unsicherheit in der Bevölkerung.
Bei seiner Regierungserklärung im Oktober beschuldigte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Russland der hybriden Kriegsführung gegen den Westen.
Darunter versteht man eine Kombination militärischer, politischer, wirtschaftlicher und cybertechnischer Mittel, die die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischen. Auch der IS wird beschuldigt, eine Art hybride Kriegsführung gegen den Westen zu führen, indem er über das Internet radikalisiert und verunsichert.
"Es gibt diese Vorstellung, dass hybride Kriegsführung entweder kleine grüne Männchen sind, wie 2014, oder Desinformation", erklärt Kacper Rękawek, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter und Programmleiter am International Centre for Counter-Terrorism (ICCT) im Gespräch mit Euronews. "Dabei gibt es noch so viele andere Aspekte, wie beispielsweise Kriminalität."
"Wenn man sich Russlands Militärdoktrin ansieht, den zwischenstaatlichen Terrorismus – also Staat gegen Staat, sind sie sich der Tatsache ziemlich bewusst, dass hybride Kriegsführung ein Instrument ist, das sie gerne als Option einsetzen", ergänzt Rękawek, der erklärt, dass es in dem Fall immer noch so wie früher ist: Die moralisch fragwürdigen Menschen werden angesprochen und benutzt, da sie vielleicht gefügiger und käuflicher sind. "Das sind die natürlichen Verbündeten Russlands", so Rękawek.
Auf diese Weise kann Russland hybride Kriegsführung betreiben und Kriminelle als Stellvertreter in Europa einsetzen – ähnlich wie es früher auch der Terror-Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) tat, der europäische Kriminelle für gewalttätige Aktionen rekrutierte.
Experten sehen hierin Parallelen: Die Rekrutierungs- und Einsatzmethoden der russischen Geheimdienste ähneln denen des IS, der seit seiner Gründung im April 2013 auf die Errichtung eines totalitären Staates unter Geltung der Scharia abzielt – eines Systems religiöser, moralischer und rechtlicher Regeln, das auf Koran und Sunna basiert.
Für den IS ist demnach eine besonders brutale und auch medial inszenierte Vorgehensweise gegen alle "Ungläubigen" charakteristisch. Dem Verfassungsschutz zufolge sind Einzeltäter oder Kleingruppen inspiriert durch Propaganda die größte Gefahr.
"Putins geheimer Terror in Deutschland": Die ersten drei Artikel aus der Serie
Zwischen Glaube und Einflussnahme
Sowohl Russland als auch der IS verbreiten ideologisch aufgeladene Propaganda.
Der IS richtete sich vor allem an junge, oft marginalisierte Muslime weltweit – Männer ebenso wie zunehmend Frauen – und versprach ihnen Gemeinschaft und Sinn.
In Moscheen in Deutschland wurden zwischen 2012 und 2017 vermehrt Kämpfer rekrutiert, so beispielsweise die Fussilet-33-Moschee in Berlin Moabit. Einer Studie der Konrad-Adenauer Stiftung zufolge haben dort Prediger salafistische Lehren verbreitet und Kontakte zu Kämpfern in Syrien geknüpft. Anfangs riefen sie dazu auf, sich islamisch-dschihadistischen Gruppen wie Dschunūd asch-Schām anzuschließen, später unterstützten sie den sogenannten Islamischen Staat. Die Moschee gilt rückblickend als wichtigstes Rekrutierungszentrum des IS in Deutschland.
Wie der IS zwischen 2013 und 2019 gezielt bestimmte Gruppen mobilisierte, nutzt auch Russland ideologisch passende Botschaften – religiös oder nationalistisch – um Loyalität und Einsatzbereitschaft zu erzeugen.
Rekrutiert Russland auch aus russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland?
Russland wiederum spricht neben Nationalisten auch gesellschaftliche Außenseiter an.
Der ideale "Wegwerf-Agent" ist dabei entweder ideologisch motiviert oder sucht finanzielle Sicherheit, erklärt Dr. Hans Jakob Schindler, Leiter des Counter Extremism Projects (CEP). Anders als bei klassischen extremistischen Gruppen engagieren sich solche "Low-level Agents" selten aus Ideologie allein, da finanzielle Anreize fast immer eine Rolle spielen, so Schindler. "Prekäre wirtschaftliche Verhältnisse plus ideologische Nähe ist praktisch das ideale Paket."
Russland rekrutiert aktiv sozial marginalisierte, oft russischsprachige Personen in Europa, die als Stellvertreter in hybriden Kriegsoperationen agieren sollen. So wird die Verwundbarkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen für die geopolitischen Ziele Russlands ausgenutzt, so der Bericht des International Centre for Counter-Terrorism (ICCT).
Beobachter halten es für möglich, dass Russland in russischsprachigen Gemeinden in Deutschland ebenfalls rekrutieren könnte. Vor allem russisch-orthodoxe Gemeinden stehen aufgrund ihrer Nähe zur orthodoxen Mutterkirche in Russland unter Beobachtung.
"Die russisch-orthodoxe Kirche ist sehr nah am Kreml und unterstützt seit 2014 und erneut 2022 die Angriffskriege Russlands", merkt Schindler an, betont jedoch, dass er die Kirche nicht als "besonders anfällig" bezeichnen würde.
Ein orthodoxer Geistlicher, der zu seiner eigenen Sicherheit anonym bleiben wollte, erklärte im Gespräch mit Euronews, dass das Narrativ der Russen inzwischen ein "bisschen vorsichtiger" geworden ist. "Ihre Diözesen sagen zum Beispiel – und das war natürlich die Direktive aus der Moskauer Zentrale des russischen Patriarchats – 'wir mischen uns nicht ein in die politische Diskussion, wir sind hier nur, um den religiösen Bedürfnissen, der Menschen vor Ort zu dienen'. Das gilt es zu hinterfragen", meint er.
Die Kirche fungiert als ideologische Stütze des Kremls und mobilisiert die Bevölkerung, indem Patriarch Kyrill I. und andere Kirchenführer den Krieg religiös legitimieren und als Schutz orthodoxer Werte gegen westliche Einflüsse instrumentalisieren.
Im März vergangenen Jahres hat die Russische Orthodoxe Kirche per Dekret verkündet, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ein "heiliger Krieg" mit dem Ziel, die ukrainische Unabhängigkeit zu beseitigen und die russische Herrschaft zu etablieren, sei. Zudem hieß es: "Die Welt vor dem Ansturm des Globalismus und dem Sieg des Westens zu schützen, der dem Satanismus verfallen ist."
Dem orthodoxen Priester zufolge wird in manch russisch-orthodoxen Gemeinden ein ganz bestimmtes Weltbild vermittelt, wo Bischöfe beispielsweise eine sehr hohe Autorität haben. "Wenn der Gottesdienst zu Ende ist, ist es sehr schwierig, die Positionen dieser Bischöfe zu hinterfragen. Sie sind dort wie Götter, sie beanspruchen eine gewisse Autorität", erklärt er.
Wie Propaganda und Angst Gesellschaften treffen
Sabotage, Desinformation, Destabilisierung: in beiden Fällen zeigt sich der Einsatz hybrider Kriegsführung. Sowohl Russland als auch der IS setzen auf gezielte Propaganda und Desinformation, um Gesellschaften zu destabilisieren. Insgesamt ähneln sich die Strategien beider Seiten, da sie konventionelle Gewalt mit subtilen Unterminierungsmaßnahmen kombinieren.
Die Reaktion hingegen unterscheidet sich gravierend. "Wir waren alle einer Meinung: Der IS ist böse", so Rękawek, der ergänzt, dass das bei Russland nicht der Fall ist, weswegen die Reaktion auf Russlands hybride Kriegsführung nicht so definiert ist wie beim IS. "Man denkt über bestimmte Zielgruppen nach und nennt es Sabotage, man nennt es Ablenkung, aber man will es nicht in denselben Topf werfen. Tatsächlich sind sogar viele Experten, viele Politiker und viele Entscheidungsträger im Westen mit dem Begriff 'hybride Kriegsführung' oder 'hybride Kampagne' einverstanden, weil dieser in der öffentlichen Wahrnehmung noch meilenweit vom Terrorismus entfernt ist", erklärt der Terrorismus-Experte.
Dem Experten für Desinformation und Intelligence Direktor des Cyber Intelligence Institutes, Dr. Christopher Nehring, zufolge ist der Haupteinflusspunkt von hybriden Angriffen die Psyche der Gesellschaft. "Natürlich ist es problematisch, wenn Personen zu Schaden kommen – etwa bei Brandanschlägen von Wegwerf-Agenten – aber strategisch für den Staat als Ganzes hat das keine Bedeutung", erklärt Nehring.
"Die Sicherheit jedes Einzelnen muss zwar so gut wie möglich geschützt werden, doch man darf sich davon nicht strategisch leiten lassen. Bei Terrororganisationen – Stichwort RAF oder Islamischer Staat – war das immer Teil der Kommunikationsstrategie: Terror ist schlimm, aber wir lassen uns davon nicht beeinflussen. Ähnlich gilt: Wir lassen uns auch von Russland nicht durch Kleinkram Angst machen. Gleichzeitig müssen wir psychologische Resilienz aufbauen und kommunizieren", so Nehring und ergänzt, dass klar ist, dass der aktuelle Schutzzustand "noch nicht ausreichend" ist.
Wie schützt man eine Gesellschaft vor hybrider Kriegsführung? Das erfahren Sie im fünften Teil der euronews-Serie über "Putins geheimen Terror in Deutschland."
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