Partei-Streit um Merz' neue Gaza-Politik: In der Union brodelt es hinter den Kulissen

Der Ton des Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) ist seit Wochen ein anderer, wenn es um das Thema Israel geht. Das haben auch seine Parteikollegen bemerkt. Große Teile in der Union sind darüber ganz und gar nicht glücklich. Ein Aufstand droht.
Der interne Konflikt bahnte sich bereits seit Regierungsantritt von Außenminister Johann Wadephul (CDU) an. Wadephul übt seit Tag Eins Kritik an der israelischen Regierung. Beispielsweise wollte er Lieferungen für Waffen, die in Gaza – also gegen die Terrororganisation Hamas – eingesetzt werden, überprüfen lassen.
Die deutsche Kritik began, als Israel Anfang März für zehn Wochen Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockiert hatte. Das Land hatte das damit begründet, dass die Hamas die Hilfsgüter gewinnbringend weiterverkaufen würde, um ihre Waffen zu finanzieren. Mit jedem Bericht über das Leid der Bevölkerung in Gaza verschärfte sich der deutsche Ton gegenüber dem israelischen Vorgehen.
Die Bundesregierung hatte seit 60 Jahren diplomatischer Beziehungen mit Israel eine klare Linie: Die Sicherheit Israels gehört zur deutschen Staatsräson. Und die Linie der Union war ebenfalls Jahrzehnte klar: Israel hat das Recht sich selbst gegen islamistische Terroristen zu verteidigen.
Doch mit der neuen Regierung unter Merz klingt das plötzlich anders – die Politiker in der Union sind stark irritiert. Währenddessen der Koalitionspartner SPD hinter den Türen den neuen Kurs begrüßt.
Hinter den Kulissen löste ein Ereignis besonders großen Frust aus. Frankreich unter Präsident Macron kündigte an, den Staat Palästina anzuerkennen. Auch Großbritannien deutete ähnliches als baldige Möglichkeit an.
Merz ist war bisher nicht bereit, den Schritt einer Anerkennung eines Staates Palästinas zu gehen, doch er formulierte mit seinen zwei Partnern ein gemeinsames Statement an dem besagten Tag. "Wir – Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland – fordern alle Parteien dringend auf, den Konflikt durch einen sofortigen Waffenstillstand zu beenden", teilte er Ende Juli mit.
In der Union las man Merz' Statement jedoch intern so: Erst will Frankreich den Gaza-Streifen, in welchem die Terrororganisation Hamas das Sagen hat, als Staat anerkennen, danach folgt Großbritannien und dann könnte Deutschland unter Merz es auch tun. Für große Teile der Union war diese Vorstellung, die sie zwischen den Zeilen lasen: unvorstellbar.
Der Frust über Merz' Israel-Linie wird immer größer
In den Reihen der CSU kochte es daraufhin hoch. "Ich unterstütze Merz als Kanzler politisch nicht mehr!", schrieb ein Abgeordneter anderen Parteikollegen. "Die CDU ist endgültig verloren", meint ein anderer CSUler. Aus der CSU-Führung hörte man raus: Diesen Kurs wolle und dürfe man nicht mitgehen.
Auch aus dem CSU-geführten Bundesinnenministerium sammelte sich Groll an. Aus dem Umfeld von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hieß es: Söder fände es falsch, wenn Merz die vorherige Linie verlässt, Israel sei einer der wichtigsten Partner.
Die CSU-Abgeordnete und Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Daniela Ludwig, machte ihre andere Ansicht auf X publik: "Seit wann belohnen wir Terror mit einem eigenen Staat? Sich es so einfach zu machen, kann gefährlich werden. Vor allem für unsere jüdischen Freunde."
Viele CDU-Politiker sind entsetzt über Merz' neue Israel-Politik
Hinzu kam kürzlich noch ein neuer Ton: Merz gab kund, dass er sich eine Beteiligung an Sanktionen gegen Israel vorstellen könne. Das gab's noch nie.
Jetzt sagen einige CDU-Politiker öffentlich, was sie von der neuen Israel-Linie von Merz und Wadephul halten. Doch die CDU ist in der Gaza-Frage gespalten wie nie zuvor.
CDU-Außenexperte Armin Laschet, der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist, kritisierte auf den Kurznachrichtendienst X in Richtung Merz: „Warum schafft es unsere Staatsspitze nicht, sich dem Appell anzuschließen, täglich die Namen der deutschen Geiseln zu nennen und die sofortige Freilassung zu fordern?“
Zu unausgewogen finden parteiintern viele CDUler wie Laschet die neue Israel-Linie von Merz, da zu ungenügend Solidarität mit den israelischen Geiseln bekundet werde. Denn darunter sind auch deutsche Staatsbürger, die in den Fängen der palästinensisch-islamistischen Hamas sind. "Wir Abgeordneten sollten trotz aller Meinungsunterschiede zum Nahost-Konflikt wenigstens diese Barbarei an unseren Landsleuten öffentlich und klar benennen", so Laschet.
Die Hamas und die Terrorgruppe Islamische Dschihad hatten in den vergangenen Tagen Videos der israelischen Geiseln veröffentlicht, die sie seit Oktober 2023 gefangen halten und foltern. Zu sehen waren die Geiseln Rom Braslavski und Evyatar David. Braslaviski ist deutscher Staatsbürger, in der Aufnahme ist er vor Hunger ausgemergelt, fleht unter Tränen um Freiheit.
Auch David ist ausgemeregelt, musste im Propaganda-Video sein eigenes Grab mit einer Schaufel aushebeln. Als man ihm Wasser reichte, sah man hingegen einen gutgenährten Arm eines Terroristen.
CDUler wirft Merz vor, sich "der Hamas zu unterwerfen"
Die Merz-Regierung hat Hilfsgütern aus der Luft in Gaza abgeworfen. Mittlerweile mussten deutsche Sicherheitskreise einen schweren Realitätsschock eingestehen. 50 bis 100 Prozent landeten demnach bei der radikalislamischen Hamas - statt bei der Zivilbevölkerung. Auch das sorgt parteiintern für Entsetzen.
So folgt besonders heftig die Kritik von CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Er wirft Merz und Wadephul vor, sich mit ihrer neuen Linie der Hamas zu unterwerfen. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte er: "Die deutsche Nahost-Politik macht einen Riesenfehler, wenn sie sich der kognitiven Kriegsführung der Hamas unterwirft und einer Täter-Opfer-Umkehr das Wort redet."
Kiesewetter stellt die Frage, warum die deutsche Regierung Hilfspakete über dem Gazastreifen abwerfe, „die laut Bundeskanzler bis zu 100 Prozent in Hamas-Hände fallen, also die direkte Unterstützung der Hamas bewirken?"
Es gelte, "unverbrüchlich an der Seite Israels zu stehen und die propalästinensischen israelfeindlichen Narrative in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu entlarven." Die Hamas nehme zwei Millionen Palästinenser in Gaza in Haft, statt ihnen eine Zukunftsperspektive in Frieden und Freiheit zu bieten.
Andere CDU-Politiker befürworten Gaza-Politikwende
Die palästinensischen Terrorgruppen haben noch 50 Geiseln in ihrer Gewalt, davon sind 30 tot. Ihre Freilassung durch einen Deal wird immer unwahrscheinlicher. Eine weitere militärische Ausweitung des Gaza-Krieges zwecks einer Befreiungsaktion wird befürchtet. Zugleich prangert die UN eine Hungersnot im Gazastreifen an.
Auch Außenminister Wadephul sieht inzwischen eine Hungersnot: "Wir beobachten ja seit geraumer Zeit, dass die Blockade, die Israel praktisch ausgebracht hat für den Gazastreifen, zu einer Hungersnot geführt hat, dazu geführt hat, dass Menschen sterben, leiden, dürsten."
Doch laut einer aktuellen Analyse der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) zeichnet sich eine Hungersnot ab, also die schlimmste Form einer Ernährungskrise.
Andere in der Union begrüßten den neuen Gaza-Kurs von Wadephul und Merz. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen fordert von der Bundesregierung, europäische Sanktionen gegen den jüdischen Staat wegen des Gaza-Kriegs zu ermöglichen.
"Wenn sich Israels Politik nicht sehr schnell ändern sollte, wäre auch Deutschland gezwungen, zusammen mit unseren Partnern konkrete Maßnahmen zu ergreifen", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion der Zeit. "Das bedeutet auch, Projekte und Vereinbarungen auszusetzen, die ausdrücklich das Bekenntnis zu humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen beinhalten."
Nach der Veröffentlichung der Geisel-Videos durch die Terror-Organisationen Hamas und den Islamischer Dschihad hatten Merz und Wadehpul sich gegenüber der Bild-Zeitung entsetzt geäußert. Beide forderten die sofortige Freilassung aller Geiseln.
Der Kanzler sagte: „Ich bin entsetzt über die Bilder von Evyatar David und Rom Braslavski. Die Hamas quält die Geiseln, terrorisiert Israel und benutzt die eigene Bevölkerung im Gazastreifen als Schutzschild. Gerade deshalb führt zunächst kein Weg an einem verhandelten Waffenstillstand vorbei. Die Freilassung aller Geiseln ist dafür zwingende Voraussetzung. Israel wird den Zynismus der Hamas nicht erwidern und muss weiter humanitäre Hilfe leisten.“ Die Hamas dürfe in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen.
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