Politologe nach Nacht der Hoffnung: „Frieden in Ukraine wird Merz in CDU und im Volk nicht retten“

Vor kurzer Zeit wäre es eher undenkbar gewesen, dass Deutschland mit am internationalen Tisch der Mächtigen sitzt, wenn es um Krieg oder Frieden geht. Nun reiste am Montag der Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach Washington zu US-Präsident Donald Trump, um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu unterstützen.
Deutschland war in der historischen Nacht der Hoffnung vertreten – und es folgte sogar Lob! "Friedrich Merz ist eine starke Person, ein starker Kanzler, er ist mein Freund", sagte Trump am Montag. Für seine Regierung und seine Partei ist dieser außenpolitische Erfolg ein kleines Aufatmen in den eigenen Reihen. Denn dort herrscht miserable Stimmung.
Zwischen SPD und Union kracht es bereits wie in den letzten Ampel-Jahren. Auch innerhalb der Union breitet sich unter Merz' Kanzlerschaft eine Unzufriedenheit aus, die an das letzte Merkel-Kanzlerjahr erinnert. Einige in den obersten Reihen von Union und SPD rechnen nichtmal mehr selbst damit, dass diese Regierung zwei Jahre halten kann.
Nützt Merz' Außenpolitik dem Koalitionsfrieden? Und: Falls es einen Frieden in der Ukraine mit deutscher Unterstützung tatsächlich geben könnte, würde Merz' Kanzlermacht wieder gefestigt? Steigt dann wieder seine Beliebtheit in der Bevölkerung?
Politikwissenschaftler Klaus Schroeder meint gegenüber Euronews: "Die Ukraine ist nicht DAS Thema der Deutschen. Ein Frieden in der Ukraine wird Merz weder in der Regierung noch in der Union oder im Volk retten. Deutschland hat innenpolitisch zu viele Probleme – wenn er diese nicht konsequent löst, dann wird er als Kanzler schnell scheitern!"
Das sind Merz' innenpolitische Probleme
Während Kanzler Friedrich Merz seinen Schwerpunkt auf die Außenpolitik legt, vernachlässigt er die Innenpolitik. Und dort warten gewaltige Probleme. Ob in den Bereichen Sicherheitspolitik, Migration, Wirtschaft, Energie, Rente oder Bürgergeld: Der CDU-Kanzler scheut eine Klartext-Politik – also eine klare Linie, die er gegenüber seinem kleineren Koalitionspartner SPD (erhielt bei der Wahl 16 Prozent) durchsetzt. Zu groß scheint Merz' Angst, den Koalitionspartner zu verärgern.
Innerhalb der Union wird bereits getratscht: CSU-Bundesinnenminister Alexander Dobrindt greife innenpolitisch härter durch als sein Bundeskanzler. Denn der Innenchef hat eine harte, konservative Grenzpolitik durchgesetzt. Die verstärkten Grenzkontrollen an allen Landgrenzen hatte er erst kürzlich – trotz Gegenwind aus der SPD – verlängert. Und auch die Europäische Asylreform, kurz GEAS, will er verschärfen und trotz aller Bedenken des roten Partners durchsetzen. Linkspolitischer Gegenwind? Das treibt Dobrindt gar noch mehr an, sagen ihm Mitarbeiter im Innenministerium nach.
Anders hingegen die Stimmung im Kanzleramt: Dort zweifelten in den letzten Wochen selbst engste Vertraute an Merz. Erst hebte er – entgegen seines Wahlversprechens – die Schuldenbremse auf, um Milliardenschulden zu machen. Dann versuchte er die Wahl von Verfassungsrichter-Kandidaten ohne Absprache mit seinen Abgeordneten durchzupeitschen. Obendrauf kommt die ausgebliebene Stromsteuersenkung.
Und schließlich sorgte die neue Israel-Politik von Friedrich Merz, die mit der jahrelangen Grundhaltung der Union brach, für den Total-Aufstand in seiner Partei. Öffentlich kritisierten Unions-Politiker den Kanzler, warfen ihm öffentlich erneute Nicht-Absprache vor, als Merz ein Waffenlieferungs-Einschränkung an Israel verhängte. Der Vorwurf: Merz handle im Alleingang.
Die Bundesregierung hatte seit 60 Jahren diplomatischer Beziehungen mit Israel eine klare Linie: Die Sicherheit Israels gehört zur deutschen Staatsräson. Die Linie der Union war ebenfalls Jahrzehnte klar: Israel hat das Recht sich selbst gegen islamistische Terroristen zu verteidigen.
"Wenn Merz nur ein Außen-Kanzler sein will, wird er scheitern"
Die Nacht der Hoffnung am Montag endete mit einem Telefonat zwischen Trump und Putin. "Ich habe mit den Vorbereitungen für ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj an einem noch zu bestimmenden Ort begonnen", teilte Trump auf seiner Plattform Truth Social mit. Falls das stimmt, könnte es bald schon zu direkten Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine kommen. Merz selbst glaubt nun an direkte Gespräche in den nächsten zwei Wochen.
Kann sich Merz also innenpolitisch mit einer besseren Außenpolitik seine Kanzlermacht retten – wenn er Deutschland zurück aufs internationale Parkett bringt und im Koffer Hoffnung auf Frieden in der Ukraine nachhause bringt?
Professor Klaus Schroeder meint, Merz' Partei könne nicht ohne klare Realitätspolitik überleben. Die AfD sei der Union "dicht" auf den Fersen. "SPD und Union sind aktuell wie zwei angeschlagene Boxer, die sich noch gegenseitig festhalten, bevor sie völlig umkippen. Beide haben Angst vor der AfD."
Politologe Schroeder: "Beide Volksparteien zittern vor ihrem Machtverlust – und der tritt ein, wenn sie keine Politik IM Land FÜR das Volk machen. Wenn Merz nur ein Außen-Kanzler sein will, wird er scheitern."
Die Umfragen für Kanzler Merz sinken in den Keller. Nur jeder dritte Deutsche (32 %) ist laut einer Umfrage von Anfang August von infratest dimap (ARD) mit der Politik von Merz zufrieden. Zum Vergleich: Unter Olaf Scholz (SPD) war es zum Zeitpunkt jeder Zweite. 65 Prozent der befragten Deutschen sind also mit dem CDU-Kanzler unzufrieden.
Auch eine aktuelle INSA-Umfrage für die Bild-Zeitung zeigt: Nach knapp 100 Tagen der neuen Koalition ist die Mehrheit der Bürger unzufrieden mit Merz. Nur 27 Prozent sind demnach zufrieden mit der Arbeit von CDU/CSU und SPD. Noch im Juni waren 37 Prozent zufrieden, bloß 44 Prozent unzufrieden.
Sicherheitsexperte Nico Lange (CDU-Mitglied) sieht das anders. Er sagt: "Ich habe überhaupt gar nicht den Eindruck, dass Friedrich Merz Außenpolitik nach Umfragen macht. Ein außenpolitischer Erfolg würde ihm nützen, auch innenpolitisch. Das wäre sicherlich nicht schlecht."
Merz könne durchaus mit dem Thema Ukraine punkten: "Wenn er klar bleibt und gemäß seiner Überzeugungen pro-europäisch sowie pro-transatlantisch handelt, dann wird er von der Bevölkerung belohnt. Denn dann handelt er als Kanzler für seine Überzeugungen statt taktisch nach irgendwelchen Umfragen zu handeln."
"Sicherheitsgarantien für Ukraine könnte Merz schaden"
Professor Klaus Schroeder prophezeit: Das Thema Ukraine könnte Friedrich Merz bei der Frage nach Sicherheitsgarantien womöglich "zum Verhängnis werden".
Denn laut dem Wall Street Journal soll US-Präsident Donald Trump den europäischen Staatschefs, darunter Merz, signalisiert haben: Trump sei nicht bereit für eine Stationierung von US-Truppen in der Ukraine, sondern die Europäer müssten diese alleine übernehmen. Auch ist in Gespräch ein Beistandsversprechen, nach dem Vorbild des Nato-Artikel Nr. 5. Dann könnte ein russischer Angriff auf die Ukraine womöglich ein Bündnisfall werden, also ein russischer Angriff auf Beistandspartner wie Deutschland.
Am Montag schloss Merz nach dem Gipfel nicht aus, ob Deutschland sich an europäische Truppen in der Ukraine beteiligt. Er werde dies mit der Koalition in Berlin besprechen, sagte er. Es sei "zu früh, um darauf eine endgültige Antwort zu geben."
Schroeder: "Solche Sicherheitsgarantien könnten Merz' Kanzlerschaft massiv schaden. Hier muss er die Nerven gegenüber Trump behalten und darf nicht zu weit einknicken."
Er erklärt weiter: "Trump will selbst keine US-Soldaten auf ukrainischen Boden, er will keinen Cent an die Ukraine zahlen. Nur die EU Staaten sollen das machen. Am Ende wird genau diese Frage die Bundesregierung und die Gesellschaft zerreißen. Denn die Deutschen sind nicht bereit für die Ukraine zu sterben, sie wollen sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen. Innenpolitisch werden solche Sicherheitsgarantien also ein Desaster!"
Der Politologe Nico Lange hingegen betont, Deutschland müsse "dabei sein und mitgestalten". Lange erklärt: "Man gewinnt zwar keine Popularitätspreise, wenn man sagt 'Wir müssen auch als Deutsche was machen, sich beteiligen' hinsichtlich Sicherheitsgarantien."
ABER: Ansonsten würde Merz eine "schlechte Tradition der deutschen Sicherheitspolitik fortsetzten." "Sollen wir etwa ganz nach dem Motto 'Das betrifft uns nicht, das wäre nicht so schlimm' weitermachen?", fragt er.
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